Eine unendliche Geschichte

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Kardinäle, Bischöfin, Befreiungstheologe, jüdischer Gelehrter: alles Autoren eines prachtvollen Jesus-Bildbandes.

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Kardinäle, Bischöfin, Befreiungstheologe, jüdischer Gelehrter: alles Autoren eines prachtvollen Jesus-Bildbandes.

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Das Autorenkollektiv, das der Herder-Verlag für den Bildband "Jesus. 2000 Jahre Glaubens- und Kulturgeschichte" versammelt, ist ein buntes; unterschiedlicher könnten die Zugänge nicht sein: Christoph Schönborn, Kardinal in Wien, breitet sein Leibthema - das Christus-Bild und die Christus-Ikone - aus. Im Beitrag unmittelbar davor entfaltet Gustavo Gutierrez, Vater der Befreiungstheologie aus Peru, seine Erkenntnis: "Es genügt nicht , mit dem Munde zu bekennen ..., daß Jesus der Christus ist. An Christus zu glauben bedeutet, auch seine Praxis zu übernehmen."

Die Geschichte Jesu, die sich in den zwei Millennien christlicher Glaubens- und Kulturgeschichte fortsetzt, ist bunt und facettenreich. Der Ansatz, dies durch das Nebeneinanderstellen von ganz unterschiedlichen Beiträgen zu zeigen, gelingt dem reich bebilderten Sammelband: Daß die feministische Theologie ein Umdenken in bezug auf das Jesusbild und seine Vermittlung einleitete, legt Maria Jepsen, lutherische Bischöfin in Hamburg, dar. Aus der östlichen Tradition schöpft der russische Kulturwissenschaftler Serguei Averintsev und bringt "Jesus in der orthodoxen Christenheit" nahe: Beginnend beim Mysterium des Namens und endend - hier berühren einander die Darstellung Kardinal Schönborns und jene Averintsevs - beim Geheimnis des Bildes.

Dazu kommen Näherungen aus den anderen Religionen. Kaum Überraschendes ergibt die Suche nach den jüdischen Wurzeln des Nazareners, die der jüdische Jesus-Forscher David Flusser anstellt. Die Fokussierung der islamischen Jesus-Sicht ist wahrscheinlich unbekannter: Der katholische Religionswissenschaftler und Koranübersetzer Adel Th. Khoury trägt dies zum vorliegenden Jesus-Band bei. Hans Küngs "Jesus und die Weltreligionen" hingegen ist - im Gegensatz zu den anderen Aufsätzen - bloß ein Verschnitt von bereits Publiziertem und setzt sich kaum mit Christus selbst auseinander, sondern entwickelt das Konzept einer Theologie der Religionen.

Daneben findet sich im Band aber auch betrachtende Literatur wie die immer noch gültige Frage nach unserem Christusbild von Ida Friederike Görres (1901-71) aus dem Jahr 1949. Oder die Wiedergabe einer Predigt des Mailänder Kardinals Carlo Maria Martini, der die Entwicklung der Gestalt Jesu in seinem eigenen Leben anhand eines autobiographischen "Reiseberichtes" erzählt.

Auch die über 280 Abbildungen des Buches zeigen die Buntheit der Jesus-Bilder auf: Von frühchristlichen Mosaiken über die Ikonen der Ostkirche und die großen Maler des Abendlandes geht es bis ins 20. Jahrhundert; und hier vom jüdischen Jesusbild Marc Chagalls bis zu den österreichischen Klassikern der Moderne Arnulf Rainer und Alfred Hrdlicka. Gegenwart kommt auch via Photo ins Bild: Christus als Statue auf dem Zuckerhut bei Rio de Janeiro oder Jesus als riesiger Poster neben dem Papstaltar auf dem Revolutionsplatz in Havanna, wo Johannes Paul II. im Jänner 1998 einen Gottesdienst feiert.

Der Kunsthistoriker Christoph Wetzel hat zwischen den Autorenbeiträgen 20 thematisch geschlossene Doppelseiten - zu Themen wie: "Das Jesusbild der Romanik und Gotik", "Jesus auf der Bühne und im Film" oder "Das Turiner Grabtuch" - gestaltet. Leider unterbrechen diese Seiten die Autorenbeiträge unlogisch und verwirren in der Anordnung ein wenig. Unverständlich hingegen bleibt, daß die Autorenbeiträge nur im Inhaltsverzeichnis namentlich gekennzeichnet sind - und nicht am Beginn der Texte: Natürlich ist die Intention der Verleger, die bunten Beiträge zu "Jesus" gleichberechtigt zu präsentieren, richtig. Es ist aber auch einem in der katholischen, protestantischen oder orthodoxen Traditon Verwurzelten zuzumuten, daß er sich gleichberechtigt auf andere Zugänge zu Jesus als die vertrauten einläßt. Das bedeutet gleichzeitig alles andere als eine Verwischung: Es ist nicht gleichgültig, welcher Zugang von Christoph Schönborn stammt und welcher von Maria Jepsen.

Abgesehen von dieser Verschleierung entpuppt sich das Jesus-Buch des Herder-Verlags aber als gelungene Zusammenschau einer unendlichen (Glaubens-)Geschichte.

Jesus. 2000 Jahre Glaubens- und Kulturgeschichte. Verlag Herder, Freiburg 1999. 240 Seiten, 280 Farb- und SW-Abbildungen, geb., bis 31.12.: öS 715,-/e 51,96; ab 1.1.: öS 934,-/e 67,88

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