Eine Verausgabungs-Schauspielerin

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Im Herbst wechselt Publikumsliebling Birgit Minichmayr ans renommierte Münchner Residenztheater, das Martin Kuˇsej ab der Saison 2011/12 leitet. Mit ihm hat die Schauspielerin u. a. die Erfolgsproduktion "Der Weibsteufel“ erarbeitet, welche große Erwartungen in weitere gemeinsame Inszenierungen setzen lässt. In Wien ist Minichmayr vorläufig nicht mehr zu sehen, obwohl sie am Burgtheater als Titelfigur in Wedekinds "Lulu“ ab 14. Mai versprochen war.

Nach einem Zerwürfnis mit Regisseur Jan Bosse einigten sich Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann und Minichmayr darauf, die Produktion zu verschieben, Minichmayr soll in den nächsten beiden Spielzeiten hier aber doch noch als Lulu zu sehen sein. Eine sonderbare Verständigung, bedenkt man, dass die Schauspielerin dann anderweitig verpflichtet ist bzw. ein für 2011 angekündigtes Highlight quasi aufgewärmt Monate oder gar Jahre später zu sehen sein soll.

Die 34-jährige gebürtige Linzerin ging nach der Matura ans Wiener Max-Reinhardt-Seminar und debütierte bereits während des Schauspielstudiums am Burgtheater als Dirne in Schnitzlers "Reigen“. Zwei Jahre später wurde sie auf der Berlinale als österreichischer Shootingstar gefeiert, und tatsächlich ging es karrieremäßig steil bergauf. Ab 2004 arbeitete sie mit Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf, spielte unter seiner Regie in Norris’ "Gier nach Gold“ und Dostojewskis "Schuld und Sühne“. Wer mit Castorf zusammengearbeitet hat, kann wohl kaum eine Mimose sein, denn in seinem Entäußerungstheater geht es an die Substanz. Dennoch ist Castorf als intellektueller Theatermacher und feinfühliger Mensch unter den Regisseuren bekannt, der seinem Berserkertum nicht im Umgang mit dem Ensemble, sondern im künstlerischen Ausdruck Raum gibt.

Neben zahlreichen Gastspielen, etwa am Deutschen Theater in Berlin oder am Zürcher Neumarkt-Theater, wo Minichmayr vor zwei Jahren unter Kuˇsejs Regie in "Das Interview“ von Theo van Gogh und Theodor Holman gespielt hat, war ihre Theaterheimat bislang das Burgtheater. In Stephan Kimmigs Inszenierung von Grillparzers "Das goldene Vlies“ konnte sie hier als Medea ihre außergewöhnliche Bühnenpräsenz unter Beweis stellen, als Narr in Shakespeares "König Lear“ gab sie an der Seite von Gert Voss in akrobatischen Verrenkungen eine unglaublich liebenswürdige, tragikomische Figur.

Immer wieder sind es ihre Körperenergie und Durchlässigkeit, die ihr dabei helfen, stets einen echten Ton zu finden, egal wie missverstanden eine Produktion von Regie und Dramaturgie her auch sein mag. So verlieh sie etwa in Luc Bondys kalter Inszenierung von Handkes "Helena“-Bearbeitung der Titelrolle Sinnlichkeit oder gab in Stefan Bachmanns sonderbarer Interpretation von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald“ der Marianne mit ihrer rotzigen Stimme eine besondere Form von Verletzlichkeit.

Insofern ist nachvollziehbar, dass gerade eine Verausgabungsschauspielerin wie sie neue künstlerische Herausforderungen - fern von rein erotischen Erwartungshaltungen - sucht. In Kuˇsejs unkonventionellen, oft provokanten, dennoch behutsamen Inszenierungen hat sie besondere Erfolge gefeiert und wurde mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet. Auf weitere außergewöhnliche Arbeiten dieser beiden starken Künstler darf man sich freuen; allerdings wird man dafür nun nach München fahren müssen.

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