Eine Vertuschung ist nicht zu tolerieren

Werbung
Werbung
Werbung

Die katholische Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins, Münster, fordert eine schonungslose Aufklärung des Missbrauchsskandals.

* Das Gespräch führte Gerd Felder

S ie ist die erste Frau auf dem Lehrstuhl für Christliche Sozialwissenschaften in Münster: Marianne Heimbach-Steins nimmt zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nicht nur Deutschlands Stellung: Aufklärung ist für sie alternativlos.

Die Furche: Tagtäglich werden immer neue Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bekannt. Handelt es sich um ein verbreitetes Phänomen innerhalb der Kirche?

Marianne Heimbach-Steins: Für die katholische Weltkirche ist das leider überhaupt nicht neu. Seit Anfang des Jahrtausends hat es ja schon in den USA, Irland und Australien eine Flut von Fällen gegeben. Damit ist klar: Das ist ein weitverbreitetes Phänomen, mit dem wir auch in der Kirche rechnen müssen. Allerdings ist es kein genuin kirchliches Problem, aber die Kirche ist auch in dieser Beziehung ein Spiegel der Gesellschaft.

Die Furche: Wie sollte die Kirche damit umgehen?

Heimbach-Steins: Sie darf diese Vorgänge in keiner Weise bagatellisieren und muss sich vor jeder Vertuschung hüten. Hier sind strafwürdige Verbrechen passiert, die bei den Betroffenen lebenslange Schäden hinterlassen haben. Deswegen ist das überhaupt nicht tolerabel, und die Aufklärung dieser Vorfälle ist alternativlos.

Die Furche: Sie fordern aber andererseits, die Kirche solle die Aufklärung nicht allein stemmen.

Heimbach-Steins: In der Vergangenheit hat man Missbrauchsfälle, von denen man wusste, stets innerkirchlich geregelt, indem man den Täter aus seinem Umfeld herausgeholt und ihn – möglicherweise nach einer Therapie – an einen anderen Ort geschickt hat. Dadurch hat man ihn aus der strafrechtlichen Verfolgung herausgehalten. Das darf nicht mehr passieren. Ein angemessener Umgang mit diesen Missbrauchsfällen besteht auch darin, dass die Kirche externe Kompetenz hinzuholt und Ansprechpartner zur Verfügung stellt. Das sollte nicht ausschließlich der Verantwortung von Leuten überlassen werden, die in die kirchlichen Strukturen eingebunden sind.

Die Furche: Sollte jeder Fall, der bekannt wird, sofort zur Anzeige gebracht werden?

Heimbach-Steins: Wo sexueller Missbrauch manifest wird, muss die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden. Wo die Kirche um so einen Vorfall weiß, da ist es mehr als problematisch, darauf zu verzichten. Das Pochen auf eigene Rechtspflege und eigene Strukturen ist kein Ausweg. Es gibt keine rechtliche Gewalt neben dem Rechtsstaat.

Die Furche: Ist aber umgekehrt nicht jeder, der beschuldigt wird, im selben Moment bereits moralisch tot, selbst wenn er unschuldig ist?

Heimbach-Steins: Dafür gibt es Gerichte, die das herausfinden müssen. Selbstverständlich gilt für jeden zunächst einmal die Unschuldsvermutung. Aber weil es beim Missbrauch einerseits um ein schweres Vergehen gegenüber Schutzbefohlenen, andererseits auch um Glaubwürdigkeit und moralische Integrität geht, darf man nicht an der falschen Stelle Rücksicht nehmen. Früher ist da in der Kirche eine andere Elle angelegt worden, indem man die beschuldigten Personen geschützt hat, um letztlich die Institution Kirche zu schützen. So kann man aber das Vertrauen nicht aufrechterhalten.

Die Furche: Worin sehen Sie die Ursachen? Liegt es am Zölibat?

Heimbach-Steins: Es gibt keine ursächliche oder monokausale Verknüpfung von Zölibat und sexuellem Missbrauch. Allerdings kann es etwas mit den Lebensbedingungen von Priestern heute zu tun haben.

Die Furche: Der Jesuit Klaus Mertes, der den Skandal am Berliner Canisius-Kolleg öffentlich gemacht hat, hat der Kirche vorgeworfen, sie leide an „Homophobie“.

Heimbach-Steins: Homosexualität ist ein großes Problem in der Kirche, wie schon der Pastoraltheologe Hanspeter Heinz vor ein paar Jahren angemerkt hat, und zwar vor allem deshalb, weil sie tabuisiert wird. Wo die eigene Sexualität nicht ins Leben integriert wird, besteht die Gefahr, dass sich – in der Verborgenheit vertraulicher Beziehungen und in der Macht über Schwächere – ein „Ventil“ öffnet, egal ob bei Hetero- oder Homosexuellen. Aber ich möchte betonen: Homosexualität ist nicht gleich Pädophilie. Ebenso falsch, wie es wäre, den Zölibat allein verantwortlich zu machen für Missbrauch in kirchlichen Kreisen, wäre es falsch, einen direkten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Missbrauch zu behaupten.

Die Furche: Der Augsburger Bischof Walter Mixa hat die Übersexualisierung der Gesellschaft durch die 68er für den Missbrauchsskandal verantwortlich gemacht.

Heimbach-Steins: Wir dürfen als Kirche jetzt nicht sagen: Die Gesellschaft ist schuld am Missbrauchsskandal, und wäre die Gesellschaft nicht so, wie sie ist, dann gäbe es die Vorfälle nicht. Wollten Kirchenvertreter auf diese Weise die Verantwortung von sich abschieben, stünde das im Widerspruch zur durchgängigen Lehre der Kirche über das Gewissen und die Verantwortung der Person. Die Veränderungen in der Gesellschaft erklären nicht, was in den Schlafstuben kirchlicher Internate an Missbrauch geschehen ist. Sie erklären eher, warum heute solche Vorfälle als strafwürdige Delikte aufgedeckt werden – und das halte ich für einen Fortschritt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung