Eine Vision und ihre Wirklichkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Israel, der Staat, ist die Konkretion der zionistischen Vision. Die jüdische Nationalbewegung wird dennoch weiterhin kontroversiell beurteilt.

Dieser Tage wird ein Teil der Gartenbaupromenade an der Wiener Ringstraße in Theodor-Herzl-Platz umbenannt, der Eingang zur Presse, deren Paris-Korrespondent und Feuilletonchef Herzl war, liegt an diesem Platz. Die Palästinensische Gemeinde Wien und die Vertretung der Arabischen Liga protestierten gegen das Vorhaben, das "eine Verhöhnung aller palästinensischen wie arabischen Opfer der zionistischen Idee" darstelle.

In ein ähnliches Horn stieß die jüdisch-orthodoxe antizionistische Bewegung "Neturei Karta", die gemeinsam mit einer "Antizionistischen orthodoxen Gemeinde" in Wien eine "Rabbinerkonferenz" zum Weltfrieden veranstaltet, zu der auch der wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossene deutsche Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann als "Ehrengast" anreisen soll.

Wien bietet aber nicht nur Obskures: Mitte Juni waren das offizielle Österreich, Vertreter christlicher Kirchen, des geistigen Lebens sowie des Judentums inner- und außerhalb Israels im Wiener Rathaus beim 5. Theodor-Herzl-Symposium beisammen, wo von historischen und religiösen Fragen ausgehend über den Gründer des Zionismus diskutiert wurde - an Visionen wollte man Herzl um nichts nachstehen: Der sozialdemokratische Industrielle Hannes Androsch und ein Panel unter Leitung des austro-britischen Verlegers Lord George Weidenfeld dachte da sogar laut über die Perspektiven eines EU-Beitritts von Israel nach (vgl.dazu das Interview mit Shlomo Avineri, Seite 3).

Wenige Tage später waren - auf Einladung des Israel-Palestine-Project und des Österreichischen Instituts für Internationale Politik - orientalische Juden aus Israel in Wien. Ursprünglich aus dem Irak stammende Juden kratzten dabei, so Gudrun Harrer im Standard, "am zionistischen Narrativ": Der Exodus der Juden aus dem Irak in den fünfziger Jahren sei, so die Erzählungen, ein auch und vor allem von der zionistischen Führung betriebener "Transfer" gewesen. In Israel angekommen, hätten sich die orientalischen Juden als Flüchtlinge, als Entwurzelte erlebt.

Zuletzt wiederum lud die Misrachi-Bewegung, die religiösen Zionisten, in Wien zu einem Symposium über Herzl und das religiöse Judentum ein.

Hier kursorisch aufgezählte Veranstaltungen und Reaktionen rund um den 100. Todestag von Theodor Herzl geben gerade eine Ahnung von der - kontroversiell bewerteten - Bedeutung, welche der Zionismus, jene jüdische Nationalbewegung, die der ursprünglich liberal-säkulare Wiener Feuilletonist begründete, heute noch zeigt.

Apropos säkular: Kurt Schubert, Doyen der Judaistik in Österreich und Europa, charakterisiert im Furche-Gespräch den Zionismus als "einzige noch haltende verbindende Kraft der Juden untereinander". Neben der Erinnerung an die Schoa, die ja schon Geschichte sei, müsse gegenwärtig "die Solidarität mit Israel, Angst mit Israel eine verbindende Kraft für das Judentum" sein.

Dabei ist das Judentum alles andere als homogen. Schubert zeigt dies etwa beim Verhältnis von Zionismus und jüdischer Religion auf: "Es gibt in Israel zionistische Parteien, die extrem religiös sind, andere religiöse Parteien, die den Zionismus ablehnen und der Meinung sind, der König von Jordanien ist auch ihr politischer Herrscher. Und dann gibt es Leute, die sagen, weil die messianische Zeit noch nicht angebrochen ist, müssen wir in der Diaspora bleiben und dürfen nicht nach Israel gehen; andere wiederum sagen: Wenn wir in Israel auch nur einen Quadratkilometer aufgeben, dann wird Gott uns bestrafen - und wir haben uns vor den Völkern weniger zu fürchten als vor Gott!"

Kaum jemand bestreitet, dass der Staat Israel die Konkretion von Theodor Herzls Vision darstellt, und dass dieser Markierungspunkt für alle Juden eminente Bedeutung hat - auch in der Tragik des unbarmherzigen Konflikts mit Palästinensern und arabischer Welt. Herzl selbst hat diesen Konflikt, darüber dürfte in der Bewertung seiner Person weitgehend Konsens herrschen, nicht vorausgesehen.

Judaist Schubert ordnet Herzls Ausgangspunkt historisch als Identitätskrise des Judentums ein: Im Europa des 19. Jahrhunderts emanzipierte sich das Judentum, es kam aus den Ghettos heraus. "Aber", so Schubert, "wenn die normalen sozialen Bedingungen, in denen eine Religion lebt, nicht mehr gegeben sind, dann kommt die Identitätskrise von selbst. Das heißt, das Ende des Ghettos hat für die Juden eine neue Wertskala gebracht - nicht mehr die alte Tradition, nicht mehr die Frömmigkeit, nicht mehr das strenge koschere Leben, sondern das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft, in deren Kultur, in die man sich dann völlig eingelebt und dann selbst geprägt hat."

Aber die Emanzipation hat dem Judentum nicht die ersehnte Anerkennung und schon gar nicht den Antisemitismus zum Verschwinden gebracht. Daher meint Schubert, der Zionismus sei "per definitionem die Reaktion auf die missglückte Emanzipation" der Juden. Und der engagierte Katholik Schubert fügt hinzu: "Scharf gesagt: Das Judentum hat die Krise, die wir als Kirche heute durchmachen, vor 100 Jahren durchgemacht".

Wie ist Herzl aber heute zu sehen? Schubert: "Wir dürfen ihn weder über- noch unterbewerten. Aus seiner Zeit heraus war Herzl jemand, der das, was er Judennot' genannt hat, an sich selber gespürt hat - und der dann gesagt hat: Daher müssen wir einen eigenen Staat haben, in dem wir so leben können, wie wir in Wien gerne leben würden."

Zur Person

Theodor Herzl

2. 5. 1860: geboren in Budapest

1878: Übersiedlung nach Wien, Beginn des Jus-Studiums

1880: erstes Lustspiel

1881: Eintritt in die Studentenverbindung "Albia"

1883: Promotion zum Dr.jur.

ab 1885: freier Schriftsteller

1889: heiratet Juliane Naschauer

1890: erste Aufführung am Burgtheater von "Der Flüchtling", Geburt von Tochter Pauline

1891-95: Paris-Korrespondent der Neuen Freien Presse

1891: Geburt von Tochter Trude

1894: Dreyfus-Prozess

1895: erste Zionismus-Aktivität

1896: Schrift "Der Judenstaat"

1897: Gründung der Zeitschrift Welt (heute: Illustrierte Neue Welt); Erster Zionistenkongress/Basel

1898: Zweiter zionistischer Kongress, Basel; Palästina-Reise, Audienz bei Kaiser Wilhelm II.

1899/1900/1901: Dritter, Vierter, Fünfter Zionistenkongress

1901: Treffen mit dem Sultan

1902: Roman "Altneuland", Geburt von Sohn Hans, Reise nach Konstantinopel

1903: Pogrom in Kischinjow, Reise nach Petersburg; Sechster zionistischer Kongress, Basel

1904: Empfang bei Papst Pius X.

3.7.1904: Tod in Edlach/NÖ, Beisetzung auf dem Döblinger Friedhof in Wien

14.5.1948: David Ben Gurion proklamiert des Staat Israel

1949: Überführung der Gebeine von Wien nach Jerusalem

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung