Eine weltliche Ethik

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Umberto Ecos Rettungsversuch für das, "was man schön fand und woran man geglaubt hat".

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Umberto Ecos Rettungsversuch für das, "was man schön fand und woran man geglaubt hat".

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Vier Moralische Schriften" heißt das schmale Bändchen mit Aufsätzen. Hieße der Autor nicht Umberto Eco, würde man vielleicht Ärmelschoner überziehen, um nicht mit dem Staub in Berührung zu kommen, den ein solcher Titel anzukündigen scheint. Doch Moral kann auch eine Faust sein, die zum Zupacken zwingt - oder zum Schweigen.

In der ersten Schrift, über den Krieg, hält Eco ein Plädoyer für ein beredtes Schweigen. Der Text wurde geschrieben zu einer Zeit, als die Welt via Bildschirm dem "desert storm" der Amerikaner über dem Irak beiwohnte. Angesichts der Provokationen des irakischen Diktators schien der militärische Angriff damals selbst Pazifisten eine zu verteidigende Option zu sein. Für Eco hingegen ist die Debatte, die damals geführt wurde, eine "zwischen professionellen Intellektuellen", nicht aber die Ausübung der intellektuellen Funktion, denn die bestehe darin, "die Zwiespältigkeiten auszugraben und ans Licht zu bringen". Wer dies Ernst nimmt, der müsse sich nicht dem Diktat des Handeln-Müssens unterwerfen. Dieser Rückzug ist kein Eingeständnis der Schwäche, sondern die Weigerung, vor dem Diktat der Medien zu kapitulieren: "Die Ausübung der intellektuellen Funktion äußert sich selten über das, was gerade geschieht, aus Gründen des Rhythmus, weil die Ereignisse immer schneller und bedrängender sind als das Nachdenken über die Ereignisse."

Was nichts anderes heißen soll, als daß das Nachdenken über den Krieg mit lauter Stimme verkündet werden muß. Auch auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, läßt sich Eco auf dieses Schweigen ein. Vor ihm ist anderen bereits ähnliches passiert. Von der hintergründigen und umfassenden Auseinandersetzung eines Karl Kraus mit dem Nazismus in seiner "Dritten Walpurgisnacht" wird bis heute noch immer der das Werk nicht charakterisierende Satz tradiert: "Zu Hitler fällt mir nichts ein."

Um den Faschismus dreht sich der zweite Essay, und die Antriebskraft für diese intellektuelle Umkreisung ist die Frage, warum gerade der italienische Faschismus zu einer Sammelbezeichnung für verschiedene Bewegungen geworden ist, wo er doch keine "monolithische Ideologie", sondern "ein Bienenkorb voller Widersprüche" gewesen sei. Die Begründung, warum "Faschismus" sich dennoch als Sammelbezeichnung eignet, scheint für Politologen und Historiker unorthodox, nimmt Eco doch Anleihen bei Wittgensteins Aussagen über das Spiel, das unterschiedliche Eigenschaften und Aktivitäten erfordern mag. Trotz aller Unterschiede haben alle Spiele dennoch eine gewisse "Familienähnlichkeit". Ausgehend von solchen Ähnlichkeiten entwickelt Eco Merkmale des Ur-Faschismus: Kult der Überlieferung, Ablehnung der Moderne, Kult der Aktion um der Aktion willen, Angst vor dem Andersartigen, Appell an die frustrierten Mittelklassen und so fort. In Zeiten, in denen ein Publizist wie Andreas Mölzer in der "Presse" die Freiheit hat, von der "Faschismuskeule" zu schreiben, mit der alle Unterschiede am rechten Rand niedergeknüppelt würden, erscheint Ecos Diktum von den "Familienähnlichkeiten" gewagt. Nicht alles ist sofort Faschismus, aber der "Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner neuen Formen zu zeigen." Selber schuld, wenn der Schatten des Fingers bereits eine Keule ist.

In seiner Antwort auf Kardinal Martini über die Frage, ob es in den weltlichen Formen der Ethik etwas Bindendes, Mitreißendes, Unverzichtbares gebe, macht Eco einen Ausflug zu den letzten Dingen. Der scheinbare Mangel wird bei ihm zur Chance, denn wer nie die "Erfahrung der Transzendenz gemacht oder sie verloren hat", der kann "seinem Leben und seinem Tod einen Sinn nur geben und sich nur getröstet fühlen durch die Lieben zu anderen, durch den Versuch, jemand anderem ein lebenswertes Leben zu garantieren, auch wenn er selbst nicht mehr da ist." Nicht jeder ist eben ein Schriftsteller oder ein Philosoph, der eine Flaschenpost hinterläßt, "damit das, woran man geglaubt hat oder was man schön fand, auch von den Nachgeborenen geglaubt oder schön gefunden werden kann."

Bevor Nachrichten für die Flaschenpost geschrieben werden, gilt es jedoch, die Herausforderung unserer Zeit anzunehmen, und das sind, wie Eco meint, die Migrationen des Dritten Jahrtausends, die bevorstehen und Mischzivilisationen wie das Römische Reich zur Realität werden lassen: "Rassisten werden sagen, eben deswegen sei die römische Zivilisation zerfallen, aber das hat immerhin fünfhundert Jahre gedauert - ein Zeitraum, der, wie mir scheint, auch uns noch erlaubt, Projekte für die Zukunft zu machen." Eines dieser Projekte ist die "permanente Erziehung", die die rohe Intoleranz an der Wurzel bekämpfen muß, "bevor sie zu einer Doktrin gerinnt".

Für dieses Projekt ist auch die Toleranz ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung moralischer Maßstäbe, denn Toleranz muß nicht alles tolerieren: "Wenn etwas Untolerierbares auftritt, das es noch nie gegeben hat, ist die Grenze des Tolerierbaren, also die Schwelle des Untolerierbaren, nicht mehr die, die von den alten Gesetzen festgelegt wurde." Wer aber zu dieser Einsicht kommt, der verlangt nach neuen Gesetzen: "Das neue Untolerierbare ist nicht nur der Völkermord, sondern auch seine theoretische Rechtfertigung. Und diese betrifft auch die Handlanger des Massakers und macht sie mitverantwortlich."

Um diesem Projekt zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es einer breiten Palette von Aktionen. Die intellektuelle Funktion und das beredte Schweigen sind nur zwei Möglichkeiten in Umberto Ecos Flaschenpost, die hoffentlich ankommt.

VIER MORALISCHE SCHRIFTEN Von Umberto Eco Hanser Verlag, München 1998 120 Seiten, geb., öS 175,

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