Eine zutiefst deutsche „Struwwelpeter“-Version, die kalt lässt

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Nach dem gescheiterten „Faust“ ist nun auch Phelim McDermotts, Julian Crouchs und Martyn Jacques’ groteske Music-Show „Struwwelpeter“ ziemlich in die Hosen gegangen. Stefan Puchers Inszenierung am Wiener Burgtheater ist zerfranst, inkonsequent und ohne Rhythmus. Was bleibt, ist ein gelungener Birgit-Minichmayr-Chanson-Abend.

Die Publikumssicht nach den ersten Inszenierungen unter Hartmanns Direktion lässt sich wohl unter dem Satz „Schon besser gesehen“ zusammenfassen. Nach dem gescheiterten „Faust“ ist nun auch Phelim McDermotts, Julian Crouchs und Martyn Jacques’ groteske Music-Show „Struwwelpeter“ ziemlich in die Hosen gegangen, um es salopp zu sagen. Denn wer im Jahr 2001 bei den Wiener Festwochen „The Tiger Lillies“ mit ihrer schwarzhumorigen Interpretation gesehen hat, den lässt Stefan Puchers moralinsaure, zutiefst deutsche Version von „Struwwelpeter“ kalt.

Auch Heinrich Hoffmann, dessen Geburtstag sich heuer am 13. Juni zum 200. Mal jährte, verstand seine von grotesker Pädagogik gezeichneten Figuren als zutiefst „lustig“, ja mehr noch, sie waren dem Nervenarzt eine Maßnahme, um brüllende Kinder bei den Untersuchungen zu beruhigen. Puchers Anspruch nun, mit erhobenem Zeigefinger Probleme in der Kindererziehung deutlich zu machen, greift da völlig daneben. Die Geschichten von Hoffmanns Kunstfiguren werden bei Pucher als Biografien vernachlässigter, einsamer Kinder präsentiert (wo doch aktuelle Berichte von Kindesmissbrauch und Verwahrlosung Hoffmanns in Flammen aufgehendes Paulinchen & Co an Grausamkeit längst eingeholt haben) und auch filmisch diskutiert. Per Videoprojektionen setzt Meika Dresenkamp Ausschnitte bekannter Filme ein und stellt so etwa einen Zusammenhang zwischen Charles Laughtons „Night of The Hunter“ (mit Robert Mitchum) und „Hänsel und Gretel“ her. Pucher ergänzt diese Bilder mit Aufnahmen freudloser Kindergesichter in tristen Kellerräumen, die zwangsläufig Assoziationen zu den Causen Kampusch, Fritzl und vielen anderen wahren Verbrechen eröffnen. Das greift definitiv zu kurz und missversteht vollends sowohl die britische Junk-Opera wie auch die literarische Vorlage; waren doch die 1845 erschienen Hoffmann’schen Geschichten als „lustige und drollige Bilder“ für Drei- bis Sechsjährige gedacht.

Geschehen wird an die Rampe gedrängt

Neben der gesanglich wie darstellerisch brillanten Birgit Minichmayr ist Petra Morzé in der Rolle der kontrollierten, sich streng an bürgerlichen Werten orientierenden Mutter zu sehen, die an der Herausforderung Kind letztendlich zerbricht. Morzé fehlt jedoch die Verzweiflung, und auch ihre zunehmend wilder zerzauste Hochsteckfrisur bedient nicht mehr als nur ein Theaterklischee. Ihr Mann (Michael Masula), in lächerliche grüne Bundfaltenhosen gekleidet, braucht derweil einmal dringend ein Krügerl Bier, um den Strapazen der Kindererziehung standzuhalten. Jacques Palminger, lispelnder Erzähler, geht mit erhobenem Zeigefinger über die Bühne und dirigiert die entzückenden Theaterkinder, die seinen betulichen Anweisungen realiter eins pfeifen würden.

Mitten auf der Bühne dominiert Lieven Brunckhorsts Band, deren Präsenz jegliche Raumgestaltung verunmöglicht. Dabei böte die Bühne der Burg eine einzigartige Tiefe, die Pucher nicht nur nicht nutzt, sondern schlichtweg verhängt – das Geschehen wird an die Rampe gedrängt. Kurz gesagt: Puchers Inszenierung ist zerfranst, inkonsequent und ohne Rhythmus. Die Chancen sind szenisch verschenkt, was bleibt, ist ein gelungener Birgit-Minichmayr-Chanson-Abend.

Wer sich tatsächlich für Hoffmanns „Struwwelpeter“-Bearbeitungen interessiert, der sollte sich in die Universitätsbibliothek Wien begeben, die im Foyer noch bis 30. Oktober einen Querschnitt durch die zahlreichen Übersetzungen, Neuauflagen und Parodien zeigt.

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