Einen Vordenker neu entdecken

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Die barocke Bildsprache im Stift Altenburg fasziniert und gibt gleichzeitig Rätsel auf. Eine Sonderausstellung erzählt von Placidus Much (1685-1756), der vor 300 Jahren eine Komposition schafft, die Ideen der Aufklärung vorgreift.

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Die barocke Bildsprache im Stift Altenburg fasziniert und gibt gleichzeitig Rätsel auf. Eine Sonderausstellung erzählt von Placidus Much (1685-1756), der vor 300 Jahren eine Komposition schafft, die Ideen der Aufklärung vorgreift.

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Wälder und kleine Ortschaften prägen das Landschaftsbild im Waldviertel. Dazwischen erhebt sich in der Nähe von Horn das Benediktinerkloster von Altenburg. Markante Blickfänge sind schon von weitem die barocke Stiftskirche und die über 210 Meter lange Ostfassade. Diesen Gebäudekomplex schuf zu großen Teilen Placidus Much, der im Jahr 1715 zum Abt der Klostergemeinschaft gewählt wurde. Im Vergleich zu den imposanten Klöstern Göttweig und Melk erscheint Altenburg geradezu still und unscheinbar. Doch das "Barockjuwels des Waldviertels" beeindruckt auf den zweiten Blick. Vor 300 Jahren begann Placidus Much das Stift Altenburg umzugestalten. Die einzigartige und zugleich rätselhafte Bildersprache weist auf einen tiefsinnigen Vordenker hin. Eine Sonderausstellung über den Benediktinerabt lädt bis Oktober zum Entdecken und Verweilen ein.

Die Sala terrena ist der Ausgangspunkt der Ausstellung. Der Raum ist mit schwarzen Streben durchzogen. "Der offene Käfig ist ein zentrales Element", erzählt Andreas Gamerith, Mastermind des Rundgangs "much. Barock war gestern". Dieser Titel drücke aus, dass Placidus Much vom Barock komme, aber nicht mehr so handle: "Die Kategorien des Barock gelten in Altenburg nicht mehr." Der 35-jährige Kunsthistoriker beforscht für seine Dissertation die barocke Ikonographie in Altenburg und hat seine Forschungsergebnisse in die Ausstellung einfließen lassen: "Beim Durchgehen sollen die Leute etwas von dieser Faszination spüren."

Vom Weinbauernsohn zum Abt

Placidus Much kommt 1685 auf einem Weingut in Straning im Bezirk Horn zur Welt. Ab dem 12. Lebensjahr besucht er das akademische Gymnasium in Wien. Das Studium der Philosophie schließt er 1705 ab und tritt zwei Jahre später bei den Benediktinern in Altenburg ein. Mit nur 30 Jahren wählt ihn die Gemeinschaft 1715 zum Abt. Er übernimmt die Leitung des Klosters in Zeiten des Umbruchs. Konfessionelle Kriege und Pestepidemien liegen nur wenige Jahre zurück und sind in den Erinnerungen der Menschen noch fest verankert. Nach mehreren Jahren der Planung gestaltet Much ab 1730 das Stift Altenburg um. Die inhaltliche Konzeption für die Kirche und das Hauptgebäude leistet er selbst, die Umsetzung legt er in die Hände von Künstlergrößen wie Paul Troger. Innerhalb von 20 Jahren wird das Stift erweitert und umgebaut. Bezahlt werden die Bauarbeiten vom Verkauf eines Klosters in Ungarn, vom Erbe adeliger Mönche und von Muchs Gehalt als niederösterreichischer Landtagsabgeordneter. Ohne reichen Mäzen und schuldenfrei wird der Bau abgeschlossen, entscheidend ist wohl der unbändige Eifer des Placidus Much für sein Projekt. 1756 stirbt er an den Folgen eines Schlaganfalls.

Der Rundgang führt weiter durch einen schwarzen Tunnel. Die Sehschlitze lassen die Kunst im zweiten Raum der Sala Terrena nur erahnen. "Wie bei Platons Höhlengleichnis liegt die Wahrheit hinter den Dingen", erklärt Kunsthistoriker Andreas Gamerith beim Durchgehen. Er biegt links ab und fährt fort: "Ein rein ästhetischer Blick wird den dahinterliegenden Ideen nicht gerecht."

Beim Hinaufsteigen öffnet sich der Blick auf das Deckengemälde der Kaiserstiege. Die zwei Hauptfiguren stehen für Religion und Wissenschaft, das Hauptthema der bildnerischen Kompositionen in Altenburg. Nichts Besonderes, könnte man meinen, ist es doch künstlerisch an ein drei Jahre früher gestaltetes Gemälde im Stift Seitenstetten angelehnt. Doch Placidus Much und Paul Troger interpretieren das Fresko neu, indem sie die Raumstruktur nützen. Das Bild erschließt sich erst beim Durchschreiten der Kaiserstiege. Auf halber Höhe teilt sich die breite Mittelstiege in zwei Arme, die links und rechts nach oben führen. Sie stehen für die beiden unabhängigen Erkenntniswege der Religion und der Wissenschaft, die sich oben treffen können. "Quam bene conveniunt" (Wie gut sie zusammenpassen) ist das Deckengemälde betitelt.

Einige Altenburger Gemälde haben berühmte Vorbilder in anderen Städten, sie sind sogenannte Zitate. Das sei sicherlich den knappen Finanzen geschuldet, so Gamerith. Placidus Much habe es sich aber nie nehmen lassen, die Auftragswerke für sein Kloster neu zu interpretieren und dabei künstlerische Tabus zu brechen: "Die bildliche Darstellung der Religion ist sonst immer verschleiert, hier nicht." Ein Tabubruch nach dem anderen sieht man im Chinesenzimmer, dem letzten Raum der Sala terrena. "Ein Sonderfall der europäischen Freskenmalerei", so Kunsthistoriker Gamerith. An der Decke ranken sich fremdartige Personen, die auf Vögeln mit überlangen Hälsen reiten. "Erst mit den Entdeckungen von Sigmund Freud lässt sich das dechiffrieren", erzählt Gamerith, "doch es bleiben viele Fragezeichen."

Fragen nicht ausweichen

Um Placidus Much zu verstehen, sei die Ausgestaltung der Stiftskirche zentral, so Ausstellungskurator Andreas Gamerith. Placidus Much habe die Stiftskirche komplett entkernen lassen, um genügend Platz für "seine" Komposition zu haben. Die ovale Deckenform im Kirchenschiff symbolisiert die Wissenschaften, der kreisförmige Ausschnitt oberhalb des Altarraums die Religion. Diese strikte Trennung verschwimmt, wenn unterschiedliche Positionen im Kirchenraum eingenommen werden. Der Priester sieht über dem Kirchenschiff eine runde Form, von der Kirchenbank aus meint der Besucher vorne ein Oval zu sehen. Dass Religion und Wissenschaft für Placidus Much verschränkt sein müssen und zur gleichen Wahrheit führen, wird in der Farbgebung deutlich. Der Bereich der Wissenschaften ist mit den antiken Grundfarben gelb, rot und blau bemalt, der Altarbereich hingegen mit den Newton'schen Regenbogenfarben. "Obwohl die beiden Systeme nicht kompatibel zu sein scheinen, bilden sie einen Raum", interpretiert Gamerith die Intention des Bauherrn Much.

"Über Placidus Much als Mensch ist uns wenig bekannt. Er verbirgt sich hinter diesem künstlerischen Programm", erklärt Pater Michael Hüttl, Prior des Stiftes Altenburg. Much habe sich ohne Scheu zeitlosen Fragen ausgesetzt und um Antworten gerungen. "Auch heute dürfen wir gesellschafts-und kirchenpolitischen Fragen nicht ausweichen", meint der Benediktinerpater. Er weist auf die Schaffung des Gartens der Religionen hin, eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Fortschritte im interreligiösen Dialog.

Die Sonderausstellung führt über die Marmorzimmer, das alte Kloster und die Krypta zum Ausgangspunkt zurück. Sie endet wieder mit einem Käfig, vor dem nun Ideen schweben - eine Einladung, sich mit den Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen. In rund einer Stunde lernen Gäste einen Menschen kennen, der zum Nachdenken bringt. Ein Schmankerl ist die Besichtigung des Marmorsaales in der Nähe der Prälatur. Er ist täglich von 17.15 bis 17.56 Uhr -entsprechend der Regierungszeit Muchs - geöffnet. Die Kunst des Placidus Much sei auch für Menschen des 21. Jahrhunderts bedenkenswert, betont Kunsthistoriker Gamerith. Die Bilder stellen den Besuchern die Frage: "Gibst du -ohne die Wissenschaft zu schmälern -der spirituellen Erkenntnis Raum?"

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