Einer, der die Welt nicht gescheut hat

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Mit Kardinal Carlo Maria Martini, der am 31. August verstorben ist, verliert die katholische Kirche einen Mann, der Offenheit zur Welt gelebt und gepredigt hat.

Hunderttausende waren im Mailänder Dom am aufgebahrten Leichnam von Carlo Maria Martini vorbeigezogen: Nur ein Blitzlicht auf die ungebrochene Popularität eines Kirchenmannes, dem man viel zu platt als den "liberalen Gegenspieler“ zu Joseph Ratzinger stilisiert hatte. Beim Konklave 2005 galt er als papabel, obwohl für ihn schon damals - abgesehen aller kirchenpolitischen Ranküne - schon wegen seiner Parkinsonkrankheit, der er am 31. August erlegen ist, eine Papstwahl nicht infrage kam.

Abseits von Etiketten wie liberal oder konservativ - galt Martini als einer der prominentesten bischöflichen Intellektuellen und Verkündiger der katholischen Kirche. Als er Erzbischof von Mailand (1979-2002) war, strömten Tausende zu seinen Katechesen in den Dom der lombardischen Metropole. Kardinal Schönborn wurde durch dieses Zeugnis inspiriert, Ähnliches im Wiener Stephansdom zu versuchen. Martinis Dialogband "Woran glaubt, wer nicht glaubt“ mit Umberto Eco stand monatelang auf den deutschsprachigen Bestsellerlisten, seine Legion an spirituellen Büchern, die meist auf Abschriften seiner Predigten fußten, hatten weltweit Millionen Leser.

Jesuit und Bibelwissenschafter

1978 hielt der Jesuit und Bibelwissenschafter Carlo Maria Martini im Vatikan die letzten Fastenexerzitien zu Lebzeiten Paul VI. Ein Jahr später machte ihn der neue Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof von Mailand. Im Vergleich zum "bauernschlauen“ Papst Johannes XXIII. war Martini sicher ein stark jesuitisch geprägter Intellektueller. Aber mit dem Konzilspapst verband Martini die Offenheit zur Welt und die fehlende Scheu, sich dieser Welt auch auszusetzen. Auch von daher rührt sein Ruf, der Wortführer der Liberalen im Kardinalskollegium zu sein.

Martinis Offenheit wurde in der römische Kurie misstrauisch beäugt - und bekämpft: So musste er 1993 den Vorsitz des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen abgeben, weil Rom dekretierte, dass dieser Posten nur von einem Vorsitzenden einer nationalen Bischofskonferenz eingenommen werden sollte. Und als kurz zuvor die "Gefahr“ bestanden hatte, dass Martini zum Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz gewählt werden sollte, erreichten seine Gegner an der Kurie, dass der Papst verfügte, im Gegensatz zu jeder anderen Bischofskonferenzen der Welt den Vorsitzemden der italienischen persönlich zu ernennen. Solch bürokratische Prügel waren bezeichnend, konnten aber weder der Popularität noch der geistigen wie geistlichen Größe Martinis Abbruch tun.

2002 erreichte er die Altersgrenze von 75 Jahren und trat als Erzbischof von Mailand zurück. Von damals an bis zum Jahr 2008, als es seine Krankheit nicht mehr zuließ, hielt er sich einen Gutteil seiner Zeit in "Jerusalem, dem Traum meines Lebens“ auf, wie er im FURCHE-Interview 2008 offenbarte. Seit er Rektor des Päpstlichen Bibelinstituts in Rom geworden war (1969), habe er erfahren, so Martini im Interview weiter, dass er in Jerusalem "geboren“ sei: "Hier bin ich zu Hause. In Jerusalem sind die Knoten für jedes andere Problem zu finden. Wenn es hier Frieden gibt, gibt es überall Frieden. Jerusalem ist eine Art Mikrokosmos: Hier zu leben bedeutet, im Zentrum der Welt zu sein.“ Dass das Judentum für Martini die Wurzel des Christentums ist, ergibt sich aus dieser Sicht quasi natürlich.

Eine Frucht der wenigen Jahre in Jerusalem, die Carlo Maria Martini gegönnt sein sollten, war das gleichfalls 2008 erschienene Buch "Jerusalemer Nachtgespräche - Über das Risiko des Glaubens“ (Herder 2008), in dem der österreichische Jesuit und Sozialpionier Georg Sporschill seine Dialoge mit Martini dokumentierte.

Es war auch Sporschill, der am 8. August gemeinsam mit einer italienischen Journalistin das letzte, von Martini noch autorisierte, Gespräch mit dem todkranken Kardinal geführt hatte. Das Interview erschien am 1. September im Mailänder Corriere della Sera: Mit einer schonungslosen Analyse der Kirchensituation machte Martini ein letztes Mal Furore.

Schonungslose Kirchenanalyse

Die Kirche in Europa und Amerika sei müde, so der Kardinal, die Gotteshäuser würden leer und die Rituale wie die Kleidung pompös. Martini verwies auf das Beispiel des salvadorianischen Märtyrererzbischofs Oscar Romero oder seiner 1989 in San Salvador ermordeten Jesuiten-Mitbrüder als Inspiratoren. "Karl Rahner (auch er ein Ordensbruder Anm.) benutzte gerne das Bild von der Glut, die unter der Asche verborgen ist“, so Martini weiter: "Ich sehe aber heute so viel Asche über der Glut, dass mich ein Gefühl der Hilflosigkeit überkommt.“ Er fordert den Papst und die Bischöfe auf, nach Menschen, die diese Glut wieder entfachen, zu suchen.

"Die Kirche ist 200 Jahre zurückgeblieben“, so Martini abschließend: "Es kann nicht sein, dass sie sich nicht aufrafft und ihre Angst größer als der Mut ist.“ Denn Glauben, Vertrauen und Mut seien die Fundamente der Kirche.

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