"Eines Tages erlischt man selbst als Sonnenkönig"

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Der katalanische Regisseur Albert Serra im Gespräch über seinen Film "Der Tod von Ludwig XIV.", in dem er den französischen Sonnenkönig auf dem Sterbebett beobachtet.

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Der katalanische Regisseur Albert Serra im Gespräch über seinen Film "Der Tod von Ludwig XIV.", in dem er den französischen Sonnenkönig auf dem Sterbebett beobachtet.

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Den renommierten katalanischen Regisseur Albert Serra darf man als verrückt bezeichnen, darüber freut er sich. Fängt er an zu reden, kann man ihn kaum stoppen und gerade bei Themen wie Tod und Impotenz blüht er regelrecht auf, zum Beispiel im Gespräch über seinen neuen Film, der den Sonnenkönig beim Sterben beobachtet.

Die Furche: Sie nehmen Ihre Inspiration oft aus literarischen und historischen Figuren, imaginären wie realen. Sie sagen selbst, Sie versuchten, "mittels der Vergangenheit in der Gegenwart zu leben" - was meinen Sie da?

Albert Serra: Aus der Gegenwart heraus stellt man sich Fragen über die Geschichte. War der Dreißigjährige Krieg eigentlich so? Was waren die Probleme? Die Antworten sind meist Klischees oder phrasenhafte Information. Wenn ich aber einen Schauspieler wie Louis XIV. anziehe, ihn in ein Bett im stimmigen Setting lege und ihn dann beobachte, dann gestaltet sich die Bedeutung dieser Information womöglich neu. Ich weiß nicht, wer Louis XIV. war, wie er sich bewegt hat oder wie er Menschen angesehen hat. Das muss der Schauspieler für sich beantworten und ebenso der Zuseher. So kann sich der Gedanke manifestieren, dass Geschichte sich in der Gegenwart ebenso geheimnisvoll abspielen kann, als würde sie gerade erst passieren, also ohne jedes Wissen aus der Zukunft. Das meinte ich mit jenem Satz. Und in diesem Fall kommt hinzu, dass es keine Rolle spielt,welche Information man über Louis XIV. hat. Mit Jean-Pierre Léaud sieht man den "wirklichen" Louis XIV., weil es von Louis XIV. nie eine Bewegtbildaufnahme gab. Die Furche: Kam für Sie nie jemand anderer infrage, den Sonnenkönig zu verkörpern?

Serra: Nein. Ich verehre Jean-Pierre Léaud schon lange und habe ihn in Paris oft besucht, traf mich dort mit ihm, aber nie in seiner Wohnung. Einmal sagte ich zu seiner Frau, sie könnten das Bett nach dem Dreh ruhig haben, aber sie erklärte, dafür gebe es keinen Platz. Jean-Pierre wohnt in einer 40-Quadratmeter-Wohnung. Er hat kein Geld, weil er nur radikale Filme macht und daher das meiste ablehnt. Wenn er nicht arbeitet, also meistens, liegt er im Bett. Er isst auch im Bett. Selbst wenn er im Ausland ist, geht er nicht in Restaurants, sondern lässt sich sein Essen aufs Zimmer bringen und isst es im Bett. Das allein wäre schon die perfekte Voraussetzung für seine Rolle in diesem Film gewesen, aber seine Radikalität ist der Grund, warum ich mit ihm arbeiten wollte.

DiE FurchE: König Louis XIV. war bekannt für seinen immensen Appetit -und für seinen Gestank. Geruchskino gibt es nicht, aber Sie sind ein fanatischer Soundtüftler.

Serra: Das bin ich! Und finden Sie nicht auch, dass man durch die betonten Geräusche fast riechen kann, wie es am König und in seinem Reich an vielen Stellen fault? DiE FurchE: Durchaus. Serra: Ha!

DiE FurchE: Sie hatten für diesen Film sehr wenig Budget. Keine leichte Aufgabe, wenn die Räume königlich aussehen sollen, oder?

Serra: Verdammt richtig, noch dazu war der Trakt dieses Barockschlosses Hautefort, in dem wir drehten, vor Jahren abgebrannt und komplett nüchtern saniert worden. Ich wollte ein Dekor, das prunkvoll aussah, aber trotzdem auf keinen Fall nach Kulisse. Das Kostümdepartment hat hier hervorragende Arbeit geleistet mit sehr wenig Geld. Und nachdem ich ohnehin nicht chronologisch drehe, haben wir die Ausstattung einfach je nach Bedarf umgeräumt und neu arrangiert. Später habe ich einmal wirklich Versailles besichtigt und ich bitte Sie! Das ist doch Disneyland! Mein Versailles in diesem Film ist das wahre Versailles!

DiE FurchE: Der König ist hier erbärmlich machtlos, dennoch lassen Sie ihm kleine Momente der Größe, etwa wenn er seinem Enkel den moralischen und amtlichen Weg weist.

Serra: Eine tragende Idee des Films war, wie jemand mit absoluter Macht mit totaler Impotenz umgeht. Man kann alle, welche Macht auch immer, haben, aber durch Krankheit und Alter bekommt man es mit dem eigenen physischen Ende zu tun und als König damit auch mit dem Ende des Staates. Selbst als Sonnenkönig erlischt man eines Tages. Kann nicht schaden, das nie zu vergessen.

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