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Biedermeier: Die Albertina riskiert einen neuen Blick auf eine vermeintlich vertraute Epoche.

Nach Beendigung der napoleonischen Kriege machte sich Europa nicht nur auf die Suche nach einer politischen Neuordnung, sondern auch das kulturelle Leben erfuhr eine Umorientierung. Nach den noch immer mächtig präsenten Vorgängerepochen von schnörkeligem Barock und schwülstigem Rokoko wurde eine neue Einfachheit ausgerufen. Zumindest verspricht dies die große Ausstellung zu jenem Zeitabschnitt, dem Biedermeier, die derzeit in der Albertina als wirkliches Ereignis zu entdecken ist.

In einem Querschnitt aus allen Medien, in denen sich das kulturelle Bewusstsein der damaligen Menschen manifestiert, trifft man neben der bildenden Kunst in Form von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen genauso auf Elemente von Innenraumausstattungen wie Möbel, Tapeten, Glas, Porzellan und Silber sowie auf die Hochtechnologie der damaligen wissenschaftlichen Instrumente.

Man taucht in eine Welt ein, in der man allenthalben ein seltsames Verwandtschaftsgefühl mit unserer Zeitgenossenschaft verspürt. Eine unerwartete Erfahrung, verbindet man doch landläufig mit Biedermeier jenen Typus vom netten Menschen, mit dem man innerhalb kürzester Zeit keinen Gesprächsstoff mehr finden kann. Sein Namensgeber, die fiktionale Figur des Weiland Gottlieb Biedermaier - angeblich ein Schulmeister und Dichter aus einem schwäbischen Dorf, der in naiven Gedichten von seinem ereignisloses Leben berichtet - versprüht noch immer einen leichten Anhauch von Lächerlichkeit über diesen Stil.

Der Biedermaier erschien erst Mitte des 19. Jahrhunderts in den Münchner Fliegenden Blättern, als der Stil des Biedermeier bereits mehr oder minder passé war. Was dort die nachfolgende Bürgerschaft zum Lachen über ihre unmittelbaren Vorgänger anregte, rückt die Ausstellung in der Albertina wieder ins rechte Licht.

Die Fülle des Materials macht klar, dass der Epochenbegriff des Biedermeier ein unspezifischer ist, dass lineare Erklärungsmodelle nicht greifen, sondern dass man sich einer Darstellung paralleler und untereinander vernetzter Stile bedienen muss. Auch eine übertriebene Interpretation des Biedermeier als rein bürgerliche Kunst wird korrigiert, das neue ästhetische Ideal nahm vielmehr beim höfischen Adel seinen Ausgangspunkt, der im Sinne Rousseaus zu Einfachheit, Schlichtheit und persönlicher Anspruchslosigkeit erzogen wurde.

Dieser aufklärerische Impetus verband sich dann mit den zeitbedingten Vorgaben, dass die Not der über fünfzehnjährigen Kriegszeit noch nicht ausgeglichen war und die technischen Erfindungen noch keine wirtschaftliche Umsetzung gefunden hatten, zu einem alle Schichten durchsetzenden Stil. "Die Interieurs aller Klassen", analysierte Joseph August Lux um 1904, "von denen des Kaisers und Staatskanzlers bis hin zu denen des Kleinbürgers, weisen die gleichen charakteristischen Eigenschaften auf". Der Stil der Vernunft, der beinahe asketische Einfachheit intellektuell begründete, verbündete sich mit den eher bescheidenen Möglichkeiten breiter Bevölkerungskreise.

Das Ergebnis wird mit Recht als unmittelbarer Vorläufer der klassischen Moderne angesehen, wie sie sich ungefähr hundert Jahre später ereignet. Die Kunst des Biedermeier zeichnet sich durch die Abstraktion der Formen, des Ornaments und der Farbe aus. Statt verschwenderischem Überfluss dient das ehrliche Auskommen mit den gegebenen Mitteln als Maxime. Die Schönheit der einfacher Materialien wird herausgestellt, Materialluxus wird durch die Schönheit des Materials ersetzt, auf unnötige Ornamentik wird verzichtet, deren Rolle übernimmt die Natur selbst, zum Beispiel durch die Maserung des Holzes.

Die künstlerische Überzeugungskraft der Objekte erwächst aus der Schlichtheit der Ausführung, die ohnedies schwieriger zu erreichen ist als ein Schwelgen im Überbordenden. Mit Erfindung hat dies freilich nicht wirklich etwas zu tun. Die zisterziensische Kunst hatte eben diese Merkmale bereits 700 Jahre davor umgesetzt. Nun erreichte das mönchische Ideal allerdings erstmals auch die Adelsschicht und die breite Bevölkerungsmehrheit.

Biedermeier.

Die Erfindung der Einfachheit

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

www.albertina.at

Bis 13.5. tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit, Ostfildern-Ruit 2006, 440 Seiten, € 29,-

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