Einmal Nazi, immer Nazi?

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Unterstützungsprogramme für rechtsextreme Aussteiger sind höchst erfolgreich. Doch in Österreich gibt es keine systematischen De-Radikalisierung.

Der eine wollte raus aus seiner Neonazi-Gruppe und wandte sich an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW). Seine Kameraden aus dem Umfeld von Gottfried Küssel, derzeit inhaftierte Galionsfigur der heimischen Szene, haben ihn dafür zweimal krankenhausreif geprügelt.

Dem anderen hat zuerst eine engagierte AMS-Betreuerin, dann ein Nationalratsabgeordneter geholfen: Nachdem der 22jährige den Gabelstaplerschein gemacht hat, organisierte der grüne Sozialsprecher Karl Öllinger ihm einen Job in der Bauwirtschaft. Nach zwei Wochen kam er nicht mehr zur Arbeit. Kurze Zeit später wurde er wieder mit seinen glatzköpfigen Freunden bei einschlägigen Veranstaltungen gesehen.

"Mir war klar, dass das zum Scheitern verurteilt ist“, sagt Öllinger im Nachhinein, "Wer nur aus seiner Gruppe Anerkennung bezieht, bräuchte beim Ausstieg professionelle Unterstützung.“ Doch die gibt es in Österreich nicht.

Ausstiegsszenario in Deutschland

Wie das funktionieren kann, zeigt der Verein "Exit Deutschland“ vor. Seit über zehn Jahren bekommen Rechtsradikale dort Unterstützung beim Verlassen der Szene. "Am Beginn steht meist die Frage: Wie komme ich ungeschoren hier raus?“, erklärt Bernd Wagner, Kriminalist und Gründer der Initiative. "Es geht um Distanz, psychisch wie physisch. Man muss raus aus dem Dunstkreis des potenziell Schädigenden.“ Nicht selten ist der Ausstieg daher mit einem Wohnortwechsel verbunden. "Wir gehen hochprofessionell an die Sache heran, verstehen den Erlebnisvorrat von Aussteigern und helfen, ein neues Leben aufzubauen“, sagt Wagner. Deshalb unterstützt Exit die Aussteiger auch in den Bereichen Arbeit und Ausbildung oder hilft, zerrüttete Familienbeziehungen zu kitten. Männer wie Frauen, manchmal auch ganze Familien, suchen über Exit den Weg zurück in die Gesellschaft. Etwa fünfzig Menschen begleiten Wagner und seinem Team jedes Jahr dabei. Und das nützt ganz Deutschland: "Durch unsere Arbeit haben wir unzählige Rückfalltäter verhindert und dem Staat damit viel Geld gespart“, sagt Wagner. Viele Aussteiger engagieren sich zudem in der Aufklärungsarbeit. Sie erzählen in Schulen von ihren Erfahrungen, teilen ihr Wissen bei Schulungen von Polizeibeamten und beraten Behörden.

Politik-Seminar als Strafe

Institutionen wie "Exit“ gibt es auch in Italien und Tschechien, in Norwegen und Schweden, in Dänemark und der Schweiz. In Österreich hingegen fehlt die systematische Arbeit im Bereich der "De-Radikalisierung“. Lediglich in Tirol leitet der Politologe Reinhold Gärtner in Kooperation mit den Innsbrucker Gerichten ein einzigartiges Projekt für Jugendliche, die sich im Bereich des Rechtsextremismus strafbar gemacht haben. Sie müssen auf Weisung des Gerichts einen Kurs bei Gärtner besuchen. "NS-Geschichte und Ideologie“ heißt das Programm, das jeweils drei bis vier straffällige Burschen gemeinsam absolvieren. Zwölf Stunden lang reden sie mit dem Experten über Politik, Demokratie und den Nationalsozialismus: "Viele haben noch nie eine andere Sichtweise präsentiert bekommen und sehen die Dinge danach differenzierter“, sagt Gärtner. Der Erfolg seines Programms gibt ihm recht: An die siebzig Jugendliche hat er seit 1997 betreut. Nur ein Fall von einschlägiger Rückfälligkeit ist dokumentiert. "Sehr wenige sind ideologisch gefestigt“, meint Gärtner, "manche von ihnen hätten mit geringfügig anderem Verlauf bei der Katholischen Jungschar landen können.“ Genau die könne man aus dem rechtsradikalen Eck holen.

Derzeit melden sich Lehrer oder Eltern von rechtsradikalen Jugendlichen - und manchmal auch Ausstiegswillige selbst - häufig beim DÖW. Viel mehr als Zuhören kann man dort aber nicht. Zwar gibt es dort die Expertise, die nötigen Mittel um diese anzuwenden aber nicht: "Wir brauchen unbedingt eine unabhängige Beratungsstelle für den Ausstieg“, fordert Heribert Schiedel, der Rechtsextremismus-Experte des DÖW. Die könnte aus Fachleuten des Mauthausenkomittees und des DÖW bestehen, staatliche Mitteln sollen aus dem Familien- oder Finanzministerium kommen. In einer institutionalisierten Aussteigerberatung sieht Schiedel weit mehr Vorteile als die reine Rehabilitierung von Neonazis: "Es gibt ein großes wissenschaftliches Interesse, über die Aussteiger mehr über den Einstieg in die Szene zu erfahren. Nur so kann man die Prävention verbessern.“ Andere Jugendliche vor dem Abrutschen in die Szene bewahren könnte auch die Aufklärungsarbeit von jungen Aussteigern, hofft Schiedel: "Aber um sich systematisch mit Aussteigern beschäftigen zu können, muss die Arbeit institutionalisiert werden.“

Extreme Rechte in Europa

Von Heribert Schiedel, Edition Steinbauer 2011

208 S., kart., e 22,50

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