Eissturm im Teheraner Frühling

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Im Iran machen sich Angst und Hoffnungslosigkeit breit. Mohammed Khatamis Glanz verblasst. Gibt es für die Reformer einen Weg aus der Sackgasse?

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Im Iran machen sich Angst und Hoffnungslosigkeit breit. Mohammed Khatamis Glanz verblasst. Gibt es für die Reformer einen Weg aus der Sackgasse?

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Tief gebeugt hockt der schwarzbärtige junge Lehrer auf dem Marmorboden. Sanft ruhen die Fingerspitzen seiner rechten Hand auf dem Grabstein vor seinen Knien. Ein kleiner Junge kauert neben ihm und lauscht aufmerksam den Erklärungen des jungen Mannes. Doch seine Kameraden aus einer Teheraner Religionsschule, die hier an diesem regnerischen Freitag im Märtyrermausoleum von Behescht e-Zahra, dem Heldenfriedhof der iranischen Metropole, den einst führenden Persönlichkeiten der islamischen Revolution ihre Ehre erweisen sollen, können die Andacht ihres Meisters nicht teilen. Während der Lehrer im Gebet verharrt, springen manche der Kleinen fröhlich lachend über die Grabplatten, die in Abständen von kaum einem Meter den Boden des "Mausoleums der 72" bedecken. Die Zehnjährigen der Teheraner Religionsschule zucken mit den Achseln, fragt man sie nach der Bedeutung dieser Helden. Die Revolution hat auch die jüngste Generation verloren.

Dichter, von Smog geschwärzter Nebel drückt schwer auf die Metropole. Das deprimierende Winterwetter symbolisiert die düstere Stimmung, die heute politisch bewusste Menschen im Iran niederdrückt. Wo ist die Euphorie geblieben, die 1997 den lächelnden islamischen Philosophen Mohammed Khatami zur Macht trug und ihm noch bis vor kurzem den Rückhalt schaffen sollte, um dem Gottesstaat ein milderes, ein menschlicheres Gesicht zu geben? Masoud, der 35-jährige Goldhändler im auch politisch einflussreichen Teheraner Basar, hatte mit der Wahl des Reformers sein Misstrauen gegenüber der Republik der Ayatollahs zurückgedrängt. "Ich sah in Khatami unsere einzige Chance, die Diktatur der Theokraten zu reformieren. Doch nichts geschah - und nichts wird geschehen. Alles Lügen. Ich glaube nicht mehr an Khatami."

Masouds Ansicht ist weit verbreitet. Die Bilanz der vergangenen Monate sieht tatsächlich düster aus. Ein eisiger Sturm hat viele Blüten des einst so gefeierten kulturellen Frühlings hinweggefegt. An den Zeitungskiosken bietet sich den informationshungrigen Iranern heute nur noch ein mageres Angebot. Es erinnert an die Zeiten, als das freie Wort verpönt war. All die mutigen Journalisten, die sich für demokratische Freiheiten einsetzten, die es wagten, grausame Missbräuche der Macht, die Serienmorde an liberalen Intellektuellen offen anzuprangern, werden im Gefängnis gequält, stehen vor Gericht oder wurden auf andere Weise eingeschüchtert.

Staatschef ohne Macht "Selbst die fünf noch zugelassenen Reformzeitungen sind vorsichtig geworden. Auch über ihnen hängt das Damoklesschwert des Verbots. Zwar tauchen immer wieder neue Publikationen auf, doch die Journalisten haben den Mut verloren, während der Architekt des "Teheraner Frühlings", Kulturminister Ataollah Mohajerani, nach langem Kampf resignierte. Unter massivem Druck seiner Feinde, die immer wieder offen sogar nach seinem Tod riefen, weil er dem Teufelswerk westlicher Kultur die iranischen Tore geöffnet hätte, reichte Mohajerani seinen Rücktritt ein. Erst zwei Monate später, im Dezember letzten Jahres akzeptierte Khatami, dass er den mutigsten der Reformer, der ihm noch geblieben war, nun auch verlieren sollte. Hinter den Kulissen, hieß es, verhandelte der Präsident mit den Konservativen über einen Modus, wie er Mohajerani wenigstens das Gefängnis ersparen konnte.

Das Verbot von mehr als 30 Zeitungen, die wichtigsten Repräsentanten der Reformbewegung mundtot gemacht, das Parlament durch den von den Konservativen dominierten "Wächterrat" gelähmt, der jedes gesetzliche Reformvorhaben blockiert; die Justiz immer noch von erzkonservativen Richtern dominiert; eine Jugend, die im Ausland ihre Zukunft sucht: So lautet die Bilanz von 44 Monaten der Präsidentschaft Khatamis.

Ein halbes Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen am 8. Juni kann Khatami nicht einmal mehr auf seine bisher wichtigste Errungenschaft verweisen: Presse- und Meinungsfreiheit. Das erschütternde Eingeständnis seiner eigenen Machtlosigkeit, zu dem sich der Präsident gar zweimal durchrang, löst unter vielen Iranern nur Achselzucken aus. "Er kann nicht. Die Konservativen sind zu stark", meint Siamak, ein Landschwirtschaftsstudent. Erst kürzlich hatte es der Präsident selbst vor tausenden Studenten in Teheran ausgesprochen: "Ich muss es eingestehen, nach dreieinhalb Jahren habe ich erkannt, dass der Staatschef nicht genügend Macht besitzt", um für die Einhaltung der Verfassung zu sorgen. Dass er dies tun würde, hatte er im Wahlkampf 1997 zu seinem zentralen Versprechen für einen "besseren Iran" erhoben.

"Wie lange sollen wir denn noch warten?", ruft ein Medizinstudent und gesteht seine bittere Enttäuschung: "Khatami ist für uns kein Idol mehr, höchstens ein Symbol." So manche sehnen sich heute nach einem starken Mann, der all die schönen Ideale auch energisch durchzusetzen vermag. Auf die Frage, warum denn die Jugend, die eigentliche Hausmacht Khatamis, dem Präsidenten nicht zu Hilfe eilt, warum sie nicht gegen die Repressionen protestiert, warum sie hinnimmt, dass eines ihrer Idole, der Geistliche Eshkevari, wegen seiner demokratischen Ideen zum Tod verurteilt werden soll? - Auf all diese Fragen meinen viele nur resigniert:"Wir können nichts tun. Ist es nicht besser, zwei, drei Menschen (Reformführer) sterben (als Helden) im Gefängnis, als Dutzende werden in den Straßen massakriert?"

Täter freigesprochen Eine tiefe Angst hat viele Iraner erfasst. Allzuoft haben die Schlägertrupps der Konservativen Protestkundgebungen zugunsten der Reformer gewaltsam gestört, gab es Tote und Verwundete. Offizielle Untersuchungen sprechen die Täter jeder Schuld frei. "Die Justiz richtet sich stets gegen die Opfer und nicht gegen die Gewalttäter", bemerkt ein Intellektueller bitter. "Und die Konservativen warten nur darauf, dass die Reformer und deren Anhänger ihnen einen Vorwand bieten, um kräftig loszuschlagen und aller Welt das Chaos zu präsentieren, in das Khatami das Land geführt hätte". Deshalb predigt der Präsident auch die "Politik der aktiven Ruhe". Nur nicht provozieren. "Es ist in Wahrheit aber eine Ausrede für Passivität", meint der Intellektuelle und Publizist Murad Saghafi.

Auch Tavassoli, Ingenieur und stellvertretender Chef der angesehenen, offiziell nur tolerierten national-islamischen "Befreiungsbewegung", spricht von Angst. Doch er zählt zu einer Schar von iranischen Intellektuellen, die die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben haben. "Fast alle Reformer im Gefängnis? Sehen Sie, das ist der Preis, den wir auf dem Weg in eine bessere Zukunft zu zahlen haben. Die Gefangenen sagen dies selbst. Und der Preis ist gar nicht zu hoch." Schließlich gesteht auch eine junge Psychologiestudentin ein: "Unser Leben hat sich seit Khatami hundertprozentig verbessert. Es ist viel fröhlicher geworden im Iran. Die Zeit der willkürlichen Verhaftungen und Schikanen gegen Jugendliche scheint vorüber." Die Ära Khatami, fährt Tavassoli fort "hat vor allem das politische Bewusstsein der Menschen geweckt, ein Gefühl der Solidarität unter den Massen. Zum erstenmal in der Geschichte des Irans wissen demokratisch orientierte Bürger, dass sie nicht alleine dastehen." Selbst die konservativen Autokraten können sich diesem Meinungsprozess nicht verschließen. Wie nie zuvor werden Missstände aufgedeckt und die Verantwortlichen, so meint ein anderer Intellektueller, würden eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Chefredakteur von "Macro Analysis", Amir Nourbakhsh, glaubt noch andere ermutigende Zeichen zu erkennen: Mehr und mehr übernimmt der von den Konservativen abgestützte Führer, Ayatollah Khamenei, die Terminologie der Reformer. "Er spricht von islamischer Demokratie" - unvorstellbar noch vor wenigen Monaten. "Er spricht (wie Khatami) von der Einhaltung der Verfassung und lässt erkennen, dass auch er sich dem Grundgesetz zu beugen habe." Nourbakhsh setzt etwas Hoffnung in die offenbare Bereitschaft Khameneis, sich Khatamis Reformern anzunähern. "Die Chance für die Reformer ist die grundsätzliche Schwäche der Konservativen." Diese hätten die Seele des Volkes verloren, sie haben keinen Führer, keine herausragenden Intellektuellen, die ihre Ansichten vertreten und den Iranern nahebringen. Sie haben kein Konzept für die Zukunft des Irans, außer jenem, mit allen Mitteln ihre Macht zu verteidigen und sie sind innerlich zutiefst gespalten. Ihr Untergang - so der Hoffnungsanker vieler - sei nur eine Frage der Zeit.

Eingeweihte Kreise wissen zu berichten, dass Khatami und Khamenei eine gemeinsame Strategie entworfen haben, um den Iran vor einer Katastrophe zu bewahren. Danach sollen zunächst einmal die Radikalen auf beiden Seiten isoliert und schließlich völlig ausgeschaltet werden. Khamenei trug tatsächlich bereits so manchen Schritt dazu bei. Stillschweigend wurden in den Sicherheitskräften erzkonservative Offiziere ausgewechselt. Teheran erhielt einen neuen Polizeichef, der "sehr korrekt" (so ein Student) vorginge, und nicht wie sein Vorgänger willkürlich und brutal zuschlage. Seit kurzem werden in der Hauptstadt wieder Demonstrationen zugelassen, und die Polizei schreitet erstmals auch ein, wenn Radikale Kundgebungen von Reformern stören.

"Vor einem Monat noch hatte mich tiefe Verzweiflung erfasst", gesteht Saghafi, wiewohl er seine liberale Zeitschrift "Dialog" noch ungestört publizieren kann. "Nun schöpfe ich wieder etwas Hoffnung. Doch es ist ein sehr langer, ein sehr mühseliger Prozess. Wir können uns auf keine demokratische Tradition stützen. Wir müssen erst die Institutionen für ein pluralistisches System aufbauen und dafür benötigen wir Zeit." Fraglich bleibt auch, ob das neue angebliche Einverständnis zwischen Khatami und Khamenei die Reformen nicht so stark verwässert, dass nichts mehr davon übrig bleibt. "Besser ist, wir schreiten langsam voran", ist Herausgeber Saghafi jedenfalls überzeugt, "sonst fehlen dem neuen System, das wir erstreben, die Grundfesten."

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