Eleganz, die von innen kommt

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Sein "Habsburgischer Mythos in der österreichischen Literatur" ist selbst schon zum Mythos geworden: Diese Dissertation hat 1963 den vierundzwanzigjährigen Claudio Magris bekannt gemacht - jenes Buch, das von der Mythisierung politischer Wirklichkeit im Österreich des 19. Jahrhundert ausging und ihr Weiterwirken weit über die Monarchie hinaus analysierte. "Ich glaube, daß es mir das Maß der Totalität - sei es auch der gebrochenen -, das ich im ,Habsburgischen Mythos' aufgestellt habe, auch erlaubt hat, das Scheitern jeder Totalität besser auszuloten, und jener Überreste davon, die wir sind", schrieb Magris im Vorwort zur Neuauflage 1988; dieses Scheitern verfolgt er noch in "Utopie und Entzauberung" (2002).

Geboren ist Magris 1939 an in Triest, wo er seit 1978 auch Professor für Neuere deutsche Literatur ist. Diesem Triest, das durch den Kalten Krieg von seinem ethnisch vielfältigen istrianischen Hinterland abgeschnitten und in eine Randlage gebracht wurde, hat er auch ein Buch gewidmet. Sein größter internationaler Erfolg jedoch ist "Donau. Biographie eines Flusses" - eine Spurensuche zwischen Roman und Essay, Tagebuch und Autobiographie, Kulturgeschichte und Reisebericht. Für Magris selbst ist es die Fortsetzung und Beendigung des Weges, den er mit dem "Habsburgischen Mythos" eingeschlagen hat.

Beteiligt an diesem Weg war auch seine 1996 verstorbene Frau Marisa Madieri, die aus einer anderen großen altösterreichischen Hafenstadt stammte, aus Rijeka, das noch Fiume hieß, als sie 1938 dort geboren wurde. In ihrem Buch "Wassergrün. Eine Kindheit in Istrien" erinnert sie sich an Kindheit und Flucht und die schwierige Ankunft in Triest. Mit einem Nachwort von Claudio Magris ist das Buch 2004 auf Deutsch erschienen.

Das "falsche Universelle"

"Die Literatur verteidigt das Individuelle, das Besondere, die Dinge, die Farben, die Sinne und das sinnlich Wahrnehmbare gegen das falsche Universelle, das die Menschen reglementiert und nivelliert." Was Claudio Magris in "Utopie und Entzauberung" schreibt, lebt er auch. Nie war er der Repräsentant von irgendetwas, auch nicht als gewähltes Mitglied im römischen Senat 1994 bis 1996; und als Germanist ist er kein "Vertreter" seines Faches, sondern ein Autor, der die Grenzen von Wissenschaft und Literatur (er schrieb ja auch den Roman "Ein anderes Meer" und die Erzählung "Mutmaßungen über einen Säbel") souverän überschreitet und dazu noch ständiger Kommentator im Corriere della Sera ist.

Die Dinge, die Farben, die Sinne prägen auch die Persönlichkeit von Claudio Magris. Seine selbstverständliche Eleganz, die von innen kommt, aber noch in der Geste des Kaffeetrinkens aufleuchtet, sein Stil bis hinein in seine handgeschriebenen Briefe: das macht jeden Kontakt mit ihm zu etwas Besonderem. Vor Jahren hat er uns in einer kleinen Runde in Salzburg erklärt, für ihn soll jeder Tag alles enthalten: strenge Arbeit und ein Glas Wein, Lesen und Schreiben, Abgeschiedenheit und Gespräch.

In der Vorwoche wurde Claudio Magris nach seinen vielen internationalen Preisen mit dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet - für ihn der Höhepunkt seiner langen Liebe zu Österreich. Und für Österreich ein notwendiges Zeichen, dass es sich ohne Claudio Magris selbst nicht verstehen könnte.CH

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