Elegie auf die Verstummte

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Ein britischer Literaturprofessor erinnert sich an seine Frau, eine berühmte Schriftstellerin.

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Ein britischer Literaturprofessor erinnert sich an seine Frau, eine berühmte Schriftstellerin.

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Oxford, 1953: Ein frischgebackener Dozent für englische Literatur, 28 Jahre alt, lernt eine 34jährige Philosophie-Dozentin kennen. Verliebt sich in sie. Kommt drauf, daß sie heimlich Romane schreibt. Bringt die unabhängige, in der Liebe freizügige Frau dazu, ihn zu heiraten. Inzwischen veröffentlicht sie ihre Romane und ihr Ruhm wächst von Buch zu Buch, auch international.

Nach fast 40 Ehejahren verliert die Schriftstellerin bei einer öffentlichen Diskussion plötzlich den Faden, verstummt. Ein Verdacht erhärtet sich zur Gewißheit: Sie ist an Alzheimer erkrankt. Eine wahre Geschichte, die Geschichte der englischen Autorin Iris Murdoch, aufgezeichnet von ihrem Ehemann, dem nicht ganz so berühmten Oxforder Professor für englische Literatur John Bayley. Und doch: Wie ungerecht ist das hier gezeichnete Skelett des Inhalts. John Bayley hat seine Frau fünf Jahre aufopfernd umsorgt und sich gleichzeitig schreibend bemüht, daß ihre furchtbare Krankheit das frühere Bild der Gesunden nicht auslöscht. Während sie das Erinnerungsvermögen verliert und tage-, wochenlang nur noch einen Satz plappert, zwitschert, herausweint - "Wann gehen wir?" -, stellt er den sinnlosen Worten seine Erinnerungsmacht entgegen. Nicht chronologisch, sondern in lockeren Assoziationsketten schildert er Stationen aus dem Leben seiner Frau. Sie wurde 1919 in Belfast geboren. Ihr Vater ermöglichte ihr unter beträchtlichen Opfern das Studium in Oxford. Mit Humor und feiner Ironie fängt Bayley die Atmosphäre im London der fünziger Jahre ein: Man war links und damit chic. Iris Murdoch fuhr häufig nach London. Für sie besaßen "Geistesgrößen" auch eine erotische Anziehungskraft. Eine der köstlichsten Szenen in Bayleys Buch ist jene, in der er mit scharfer Spitze in die Eitelkeitsblase mit Namen Elias Canetti hineinsticht: "Es gibt einen Typ von literarischer Persönlichkeit (von der Art, die in Deutschland ehrfürchtig ,Dichter' genannt wird), der so beeindruckend und großartig ist, daß sich die Frage nach der Bescheidenheit, seinem Image oder seiner Pose kaum jemals stellt." Ohne ein böses Wort, nur mit zwei Anekdoten, macht Bayley den Unterschied zwischen dem in England gepflegten "understatement", der Untertreibung, und dem besonders in Deutschland anzutreffenden intellektuellen Dünkel sichtbar.

Seine Reisen mit Iris nach Italien vor 40 Jahren kommen ihm selbst während des Schreibens unendlich fern vor. Kein Massentourismus, Baden in Flüssen, kein Gedränge in Museen. Ein wiederkehrendes Thema berührt zunächst peinlich, erweist sich aber dann als Quelle schwarzen Humors: die Nicht-Häuslichkeit der Iris Murdoch. Als junges Paar hatten die beiden ein Haus gekauft. 30 Jahre später verließen sie es, und in diesen 30 Jahren wurde nur einmal geputzt, und zwar von ihm.

Offenbar gibt es Männer, welche staunen, daß sie von der Frau, die ihre Frau ist, tatsächlich geheiratet wurden. Dieses Staunen beherrscht den Autor. Überhaupt das Phänomen Ehe: "Die Ehe ähnelt keiner anderen vergleichbaren menschlichen Erfahrung auch nur im mindesten." Die beiden mochten einander und ließen einander dabei jede Freiheit. Hellsichtig und unsentimental erkannten sie, daß selbst große Nähe nicht die Einsamkeit aufhebt, die jeder sensible Mensch in sich spürt: "Die Unwissenheit, diese Einsamkeit! Sie kamen mir plötzlich als das Beste an der Liebe und dem Verheiratetsein vor. Wir waren zusammen, weil uns die Einsamkeit, die jeder im anderen sah und erkannte, tröstete und beruhigte. Und so begann unsere Ehe. Und mit ihr begannen die Freuden der Einsamkeit. Darin lag kein Widerspruch - das eine vertrug sich vollkommen mit dem anderen. Zu fühlen, daß man gehalten und geliebt und begleitet wird, und doch alleine zu sein. Eng und physisch miteinander verflochten zu sein und doch die freundliche Gegenwart der Einsamkeit zu spüren, die so warm und tröstlich ist wie die Nähe selbst."

Mit einer Schriftstellerin verheiratet zu sein, die sich jeden Tag viele Stunden zurückzieht und, wenn sie auftaucht, oft noch in ihrer Phantasiewelt gefangen ist, verlangt viel Geduld. Bayley hatte sie und wurde reich belohnt. Wer kann schon direkt dabei sein beim schöpferischen Prozeß? Er erlebte, wie Iris Murdoch kaum je von der Lektüre anderer Bücher inspiriert wurde, wohl aber von Radiosendungen und Bildern in Galerien.Er half ihr, Schreibhemmungen zu überwinden und tat in tolpatschiger Manier alles, um ihr das geliebte tägliche Schwimmen zu ermöglichen, bis hin zur Installation von tauchsiederartigen Heizschlangen in einem primitiven Schwimmbad im Garten.

Falls der Eindruck entstehen sollte, es habe sich da jemand seine eigene Heiligenlegende gezimmert: Er ist falsch. John Bayley gibt zu, wie schwer es ihm fiel, die Krankheit seiner Frau zu akzeptieren. Wenn sie auf der Straße alles, Zigarettenstummel, leere Dosen, ja Regenwürmer einsammelte und nach Hause brachte, schimpfte er mit ihr, als ob sie ein ungezogenes Kind wäre: "Für mich ist es schlimmer. Noch viel schlimmer."

Er wusch sie, kämmte sie, zog die Widerspenstige abends aus, wenn sie mit den Kleidern ins Bett gehen wollte. Und spürte in diesen qualvollen Jahren, daß sie erst in dieser Phase wirklich eins wurden. Dieses Buch ist das Dokument einer großen Liebe.

Elegie für Iris. Von John Bayley. C. H. Beck Verlag, München, 2000. 261 Seiten, geb., öS 277,-/e 20,13

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