Elitärer geht's nimmer

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Ein Rückblick auf die Salzburger Festspiele 1999 und ein Einspruch gegen Geschichtsfälschungen

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Ein Rückblick auf die Salzburger Festspiele 1999 und ein Einspruch gegen Geschichtsfälschungen

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Die Salzburger Festspiele sind wieder einmal vorbei. Vorbei der Dauerstreit, die unzähligen Wörter, die in unzähligen Interviews abgesondert wurden. Man kam also kaum dazu, nach der Qualität des Dargebotenen zu fragen. Das war zum großen Teil enttäuschend. Dem langjährigen Beobachter fällt auf, wie schnell Legenden und schiere Geschichtsfälschungen entstehen. Was vor einem Jahrzehnt war, liest sich heute genau umgekehrt. Immerhin leben noch einige "Macher", die in Leserbriefen ausführlich darlegten, wie reich in der späten Ära Karajan die zeitgenössische Musik vertreten war - auf der Bühne wie im Konzertsaal. Man kann das auch leicht nachschlagen. Dabei ging es nicht nur um Schönberg und Berg, die noch nach hundert Jahren als "modern" gefeiert werden.

In diesem Sommer konnte es geschehen, daß eine deutsche Zeitung als großes Verdienst Gerard Mortiers rühmte, er habe Nikolaus Harnoncourt endlich nach Salzburg geholt. Daß er von dort längst wieder verschwunden ist (ebenso wie Mortiers Landsmann Rene Jacobs und andere Dirigenten), blieb unerwähnt.

Salzburg eröffnete diesen Sommer mit einer Opern-Uraufführung von Luciano Berio (der ersten in acht Mortier-Festspielen!). Eine Oper von Berio wurde auch vor 15 Jahren schon uraufgeführt, wenn auch nicht zur Eröffnung. Damals konnte man damit rechnen, daß ein großer Teil des Publikums wegen Berio Karten kaufte. Und nicht, weil man bei der Eröffnung dabei sein mußte. Wieviele Politiker und andere "Zwangsbesucher" mögen nun dem "Event" verständnislos beigewohnt und ungeduldig aufs Ende der glücklicherweise kurzen Vorstellung gewartet haben!

Früher, heißt es, seien die Snobs gekommen, nur die haben ja so viel Geld, sich die Festspiele leisten zu können. Wer aus Snobismus zwei Stunden Berio oder vier Stunden Mozart erträgt, hat eigentlich seine Strafe schon abgesessen. Sind nun seit der viel gepriesenen "Öffnung" der Festspiele die Snobs verschwunden? Gewiß, es gibt viel mehr Karten zu kaufen, vor allem für Konzerte mit zeitgenössischer Musik. Es gab, als Peter Stein fürs Schauspiel verantwortlich war, ein beträchtliches Platzangebot für Shakespeare in der Felsenreitschule. Da die Vorstellungen nachmittags stattfanden, brauchten sparsame Besucher nicht einmal eine Übernachtung zu zahlen. Neuerdings muß das Schauspiel größtenteils in Notquartiere ausweichen, wo von Festlichkeit keine Rede sein kann. Für die durchreisenden Schauspielertruppen, die man preisgünstiger in St. Pölten oder Wiener Neustadt erleben könnte, mochte es reichen. Mortier: "Beliebigkeit wäre der Tod der Festspiele". Aber das gilt erst für die Zeit nach ihm.

Wer heute erwartet, in Salzburg mustergültige Mozart-Aufführungen zu erleben, wird oft enttäuscht. Die Snobs haben damit weniger Probleme. Sie erfahren von den Medien, wie bedeutend, wie innovativ diese Festspiele sind und daß man hier außer der "Seitenblicke"-Prominenz wirklich die Elite der Regisseure und Dirigenten findet. Sie müssen sich nicht lange grämen. Mangels Erfahrung können sie kaum enttäuscht werden. Die Kosten schmerzen sie nicht. Bei nachfolgenden Party-Gesprächen geht man bald zu "Wichtigerem" über.

Es ist ja - anders als in den "elitären" Karajan-Zeiten - nicht damit getan, 4.000 Schilling für eine Opernkarte auszugeben. Die ganz feinen Leute werden von Sponsor-Firmen eingeladen, von hübschen Hostessen an ihren Platz geleitet, in der Pause von dort wieder abgeholt und in eine streng bewachte "Lounge" abgeführt, wo man unter sich ist und geschäftliche Besprechungen führen kann (muß?). Sind nicht auch den Eingesperrten solche Klassenschranken peinlich? Möchten sich nicht manche lieber unters Volk mischen?

Das Geld regiert Mortier hat bei Amtsantritt den Plattenfirmen den Kampf angesagt - obwohl er wissen mußte, daß eine maßvolle Zusammenarbeit beiden Seiten Ersparnisse bringt.Nun wird also weniger für EMI oder DECCA geworben, dafür in Leuchtschrift für Nestle oder Siemens. Geld regiert auch diese Welt. Die von Mortier ungeliebte Jessye Norman füllt das Große Festspielhaus. Ihre Darbietung heißt nicht "Liederabend" (dafür ist das Mozarteum zuständig), sondern "Solistenkonzert". Anspruch, von der Presse bemerkt zu werden, hat sie nicht. Beim "Jedermann" ist die Kritik vorerst noch zugelassen, obwohl Mortier auch ihn nur spielt, um Geld zu verdienen.

Der Autor, Hugo von Hofmannsthal, wurde im Streit um die Eröffnungsrede des Bundespräsidenten schon beinahe als Faschist und Antisemit entlarvt. Noch wird über Salzburg grenzenlos geredet und gestritten. Das mobilisiert ein Publikum, das die Festspiele unbesehen konsumiert und gesehen wird. Gerard Mortier hat dekretiert, daß Alban Berg viel besser nach Salzburg paßt als Richard Strauss. Also keine Strauss-Oper zum 50. Todestag. Aber doch einige Werke des Festspiel-Mitbegründers in Konzerten, in denen wirkliche Musikfreunde noch Zuflucht und Genuß finden.

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