Ende der Hochkultur?

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Wenn Kunst den Prinzipien des freien Marktes unterworfen wird, droht dem Theater und der Oper das Ende.

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Wenn Kunst den Prinzipien des freien Marktes unterworfen wird, droht dem Theater und der Oper das Ende.

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Für Karl Marx gehörten Kapitalismus und Bourgeoisie zusammen wie Pech und Schwefel; daß sie dereinst getrennte Wege gehen würden, daran hat er nicht im Traum gedacht. Doch die aktuelle Vergötterung des Marktes, die Erhebung betriebswirtschaftlicher Prinzipien zu allerhöchsten Maximen, kollidiert zusehends mit bürgerlichem Kunstsinn: Die Hochkultur in Form von Theater und Oper, der traditionellen Formen bürgerlicher Repräsentationskunst, gerät in Bedrängnis. Denn die Tempel der Hochkultur sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht schlicht und einfach unrentable Betriebe. Allenfalls zu rechtfertigen seien die hohen staatlichen Subventionen für diese Unternehmen mit einer großen Breitenwirkung, heißt es. Für Oper und Theater jedoch interessiert sich nur eine Minderheit.

Die Österreichischen Bundestheater - Staatsoper, Volksoper und Burgtheater/Akademietheater - kosteten die Republik im Vorjahr 2,756 Milliarden Schilling, dazu kam ein Pensionsaufwand von 794,5 Millionen Schilling. Trotz hoher Auslastung kommt nur rund ein Viertel der Ausgaben durch Kartenverkauf wieder herein.

Auf daß mehr Wirtschaftlichkeit dort einziehe, hatte die ÖVP seit Jahren gefordert, die Bundestheater zu quasi privatwirtschaftlichen Unternehmen zu machen, die über das ihnen zugeteilte Geld frei verfügen können. In der Endphase der Verhandlungen zur Bundestheaterreform vor einigen Wochen bekamen die ÖVP-Kulturpolitiker plötzlich kalte Füße. In dem nun vorliegenden, von der Koalition ausgehandelten Reformentwurf wurde auf VP-Druck noch schnell ein Publikumsrat installiert, der zwar nur beratende Funktion hat, aber notfalls per Gesetzesbeschluß zu einem Gremium aufgewertet werden könnte, das Kommerz-Orgien in den Kunsttempeln verhindert. Den bürgerlichen Kulturpolitikern schien plötzlich zu dämmern, wohin eine konsequente Privatisierung im Bereich der Kunst führt.

Eine betriebswirtschaftlich geführte Staatsoper zum Beispiel wird bei schrumpfendem Etat ihren Repertoirebetrieb, für den sie in aller Welt geschätzt wird, nicht mehr aufrecht erhalten. Statt 50 verschiedenen Aufführungen, verteilt über das ganze Jahr, laufen dann im Haus am Ring vielleicht zwölf Produktionen, höchstens eine Saison lang. Unbekannte Werke kämen kaum noch zur Aufführung, nur noch jene rund vier Dutzend Werke, die weltweit die Spielpläne dominieren. Für den Fall, daß das Repertoireprinzip in der Staatsoper gekippt wird, hat Clemens Hellberg, Vorstand der Wiener Philharmoniker, schon den Ausstieg des Traditionsorchesters angedroht. Das wäre eine künstlerische Katastrophe für die Staatsoper.

Finanziell jedoch könnte die Staatsoper wahrscheinlich sogar satte Gewinne abwerfen, denn "Aida", "Carmen" oder "Die Zauberflöte" sind immer eine sichere Bank. Und erst Abende mit Schmacht-Tenor Andrea Bocelli, Geigen-Girlie Vanessa Mae oder Belcanto-Bubi Helmut Lotti - da klingelt die Kasse! Die Kunst allerdings bliebe dabei auf der Strecke.

Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang lautet: Welche Formen von Kultur sollen vom Staat mit dem Geld der Steuerzahler finanziert werden? Kunst, von Video-Art bis hin zu großem Theater, die nur Minderheiten ansprechen, oder (künstlerisch oft fragwürdige) Events, die bei einem großen Publikum auf Resonanz stoßen? Auch die Positionierung des ORF ist Thema einer ähnlich gelagerten Diskussion: Soll das staatliche Fernsehen massentauglich sein - Stichwort: Quote - und in direkte Konkurrenz mit den seichten Privatsendern treten oder für eine interessierte Minderheit seinen Kulturauftrag ernst nehmen und ein Programm ausstrahlen, das eher dem Kultursender arte ähnelt als RTL?

Das derzeitige ORF-Programm und die Ausgliederung der Bundestheater zeigen den Weg an, den die allgemeine Entwicklung nimmt: gnadenlose Kommerzialisierung.

Kunst als Ware Dabei sollte Kultur - und im speziellen Kunst - mehr sein als eine bloße Ware. Theater und Oper, als einstige beherrschende kulturelle Phänomene, gehören zum kulturellen Erbe Österreichs. Dieses Erbe ist jedoch nicht nur so etwas wie altes Tafelsilber oder Goldschmuck, das man in Notzeiten einfach verscherbelt. Kultur und insbesondere Kunst stiften Identität. Was Künstler schaffen, dient - oft erst für die nachfolgenden Generationen - dem inneren Zusammenhalt eines Landes, einer Region oder eines Kulturkreises und der Selbstdarstellung nach außen. Gerade Österreich zehrt diesbezüglich in hohem Maß von seinem kulturellen Erbe.

Der Theater- und noch viel mehr der Opernbetrieb basieren auf Werken aus zum Teil ferner Vergangenheit. Hochkultur ist somit ein ständiger Blick zurück, eine Form ausgelebten Geschichtsbewußtseins. Aus der Geschichte und ihrer ständigen Neuinterpretation kann die Menschheit wichtige Lehren für die Gegenwart und die Zukunft ziehen. Die Aufgabe der Kunst ist es, sowohl die Vergangenheit in Form alter Stücke neu zu bewerten, als sich kritisch mit den Fragen der Zeit auseinanderzusetzen. "Die Kunst ist das Gewissen der Menschheit", schrieb einst Christian Friedrich Hebbel. Als eine solche Instanz ist sie oft lästig, aber notwendig.

Die Hochkultur mit Dichterzitaten zu rechtfertigen, ist freilich eine selbstbezügliche und somit wenig stichhaltige Argumentation. Letztendlich gibt es kein wirklich zwingendes Argument für Hochkultur. Millionen von Menschen kommen ohne Theater und Oper aus, schließlich sind auch Film und Popmusik Kultur.

Ist Hochkultur in Form von Theater und Oper Repräsentationskunst für höchste gesellschaftliche Kreise, so wird sie untergehen. Unsummen an staatlicher Subvention zur Erbauung einer Minderheit sind auf die Dauer nicht zu rechtfertigen. In ihrer gefällig-populären Variante wird die Hochkultur, wie auch viele andere Populärkulturen der Vergangenheit, irgendwann von der Bildfläche verschwinden. Doch Hochkultur kann auch bedeuten: Kunst höchster Qualität, aktuell und aufrüttelnd. Und als solche haben die ererbten Kunstformen Theater und Oper hierzulande durchaus eine Zukunft - wenn man ihnen die Chance dazu nicht nimmt.

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