Endlich: Abschreiben für alle

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Es ist viel die Rede vom "Recht auf den eigenen Inhalt.“ Aber dieses Recht gilt offenbar nicht für die anderen. Über die neue Verteilungsgerechtigkeit zwischen Schreibern und Nichtschreibern.

Mit der üblichen Verspätung gegenüber Diskussionsprozessen in Deutschland hat die von Österreich ausgegangene Diskussion um die "Gratiskultur“ auch in Österreich eingesetzt. Diese in grenzüberschreitenden Fragen häufiger anzutreffende "Vorreiterrolle“ österreichischer Initiativen bei einem gleichzeitigen Nachhinken in der allgemeinen Auseinandersetzung hat nichts mit größerer Aufmerksamkeit zu tun, sondern mit den Auswirkungen, die bei den rechtlich weniger gut abgesicherten und ökonomisch schwächeren Verhältnissen in der österreichischen Musik- und Filmwirtschaft und im österreichischen Verlagswesen und Kunstbetrieb viel früher festzustellen sind.

Österreichische Autoren und Verlage haben nur wenig Spielraum und schnell alles zu verlieren, deutsche Autoren und Verlage haben sehr viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten, bevor von ihnen etwas verloren gegeben werden muss. Dennoch waren es mit dem "Syndikat“, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur, auch in Deutschland die Autoren, von denen die Aufforderung zur Einhaltung der Urheberrechte ausgegangen ist. Aus einem einfachen Grund: Autoren haben keine Originale zu verkaufen, sondern vervielfältigbare Werke, an denen sie pro verkauftes Exemplar einen prozentuell am Verkaufspreis bemessenen Anteil erhalten. Wird nichts verkauft, gehen sie leer aus.

Unübersichtliche Situation

Gesetzt den Fall, es findet die seit Jahren angekündigte Ablöse des gedruckten Buchs durch digitale Ausgaben einmal tatsächlich statt (E-Book-Anteil am Büchergesamtumsatz 2011 in England acht Prozent, in Österreich und Deutschland ein Prozent), so wird sie nicht ohne geordneten Verlauf vor sich gehen können. Gibt es keine Garantie für einen geordneten Verlauf, wird es weiterhin zu keiner wesentlichen Änderung der Angebotssituation bei E-Books kommen, weil niemand in die Herstellung von E-Books investieren kann, wenn es ab dem ersten regulär bezogenen Exemplar zur parallelen Verbreitung von Kopien nach eigenem Ermessen kommt. Das ist aber erst eine Seite der genauso für die Musik, den Film und die bildende Kunst wie für Autoren und Verlage bis jetzt äußerst unübersichtlichen Situation bei digitalen Publikationen.

Sucht man im Internet nach Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen“ oder nach der "Todesfuge“ von Paul Celan, nach Ingeborg Bachmanns Antikriegsgedicht "Alle Tage“, nach Erich Frieds Liebesgedicht "Was es ist“ oder nach "Ottos Mops“ von Ernst Jandl, so findet man sie, mit ihrem kompletten Text und in Rezitativen, in O-Tönen, vertont und verfilmt, auf Hunderten bis Tausenden Internet-Seiten. Es ist nicht vorstellbar, dass für all diese Einträge auf Plattformen und Internetseiten die Rechte zur Veröffentlichung eingeholt wurden, es ist vielmehr anzunehmen, dass es sich zum einen so verhält wie bei der legendären Verfilmung des "Herrn Karl“ mit Helmut Qualtinger, die ohne dazu vorliegende Rechtseinräumung auf YouTube, der Videoplattform von Google, komplett kopiert von einer 3sat-Ausstrahlung wiedergegeben ist, und zum anderen, dass die Rechteinhaber in Deutschland mit der in Gang gekommenen Abmahnwelle offenbar weniger drastisch auf nicht-autorisierte Veröffentlichungen reagieren, als es den Behauptungen der Gegner des urheberrechtlichen Status quo entspricht.

"… sonst gibt’s Krawalle!“

Auf die unübersehbar nicht mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen übereinstimmende Situation reagieren die einen, von der IG Kultur bis zu den Vertretern der Piratenpartei, vollmundig: "Urheberrecht für alle - sonst gibt’s Krawalle!“; und die anderen, von Künstlerberufsverbänden bis zur heuer im Jänner von Künstlern gestarteten Initiative "Kunst hat Recht“, mit Empörung. Im großen Lärm der Konflikte um bezahlte oder unbezahlte Nutzungen geht unter, dass es bei dieser Auseinandersetzung nicht allein um die Bezahlung geht, sondern auch darum, dass vom kleinsten bis zum größten Anbieter im Internet umfassende Ansprüche auf die Verwendung der Inhalte der Werke gestellt werden, was bedeutet, sie nach eigenem Ermessen und für eigene Zwecke adaptieren und unter eigenem Namen weiterverwenden zu können. Der Fall des Salzburger FPÖ-Politikers Karl Schnell, der zur Rechtfertigung seiner Beleidigung des österreichischen Bundespräsidenten ein Zitat von Ingeborg Bachmann, "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, Anfang 2000 ohne Namensnennung der Autorin und Zustimmung der Erben in Salzburg plakatieren ließ, soll also der Regelfall werden. Den Abschreibern soll Tür und Tor offenstehen. Zumal es kein gesetzliches Regulativ gibt, wann etwas ein Plagiat ist. Es besteht allerdings das Recht der Urheber, sich gegen nicht autorisierte Übernahmen ihrer Werke durch andere zur Wehr setzen zu können, jedenfalls solange es das Urheberrecht gibt.

Längst betrifft der Urheberschutz auch die Piraten selbst. Julia Schramm, Star der Berliner Piraten-Szene, schreibt an einem Ich-Roman über die Internet-Generation, für den sie von ihrem Verlag einen Vorschuss bekommen hat, bei dem der Verlag von mehr als einer Million verkaufbarer Exemplare ausgehen muss. Eine Vorgängerin von ihr auf diesem Gebiet, die Copy-and-Paste-Autorin Helene Hegemann, hat schon vor rund zwei Jahren auf den ihr gemachten Vorwurf des Plagiats erklärt, es gebe keine Originale mehr, nur noch Echtheit, um mit dieser Begründung die Verwendung nicht von ihr selbst geschriebener Texte zu rechtfertigen und Tantiemen dafür zu beziehen. Der Unterschied zwischen beiden ist: Helene Hegemann geht trotzdem von sich als Autorin aus, Julia Schramm sieht hingegen in der Kunst nur einen Filter, mit dem man das bereits Vorhandene filtert, ganz im Sinn des Teilens und Transformierens von Inhalten in der Remix-Kultur bzw. der laut den Befürwortern des Sharens und Remixens "kreativen Auseinandersetzung“ mit Inhalten. Euphemistischer kann man es kaum noch sagen, was gemeint ist: das Heranziehen und Aneignen von Produkten anderer zur Nutzung unter eigenem Namen und für den eigenen Gewinn.

Die Freiheit, die sie meinen

Nichts wird von Insidern der Netzkultur mehr geschätzt als das "Recht auf den eigenen Inhalt.“ Das war auch der zentrale Gegenstand der Eröffnungsbeiträge des Juristen und Historikers Eben Moglen von der Columbia University und des deutschen Bloggers Sascha Lobo bei der Anfang Mai in Berlin durchgeführten Internetkonferenz "re:publica“. Nur zählt dieses Recht offenbar erst dann, wenn es um die eigenen Inhalte und nicht um die von anderen geht, denn der Schlüssel, so Moglen, für Änderungen der durch Google, Facebook, Apple und Amazon eingeschränkten Möglichkeiten sei der freie Zugang zu Software, Inhalten und Hardware. Auch wenn man nicht selbst etwas verändern wolle: allein die Möglichkeit dazu zu haben, sichere die Freiheit des Einzelnen. Die Freiheit eben, sich im Kleinen genauso an den Inhalten anderer zu bedienen, wie es Google & Co. nicht viel anders mit den Einträgen und Daten ihrer Nutzer im Großen machen.

Der Autor ist Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren

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