Endlich niederreißen!

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Ausgangspunkt war der Südbahnhof auch für mich, als ich Mitte der 1980er Jahre zum ersten Mal nach Litauen fuhr, aber diesen Ausgangspunkt musste man, von Salzburg kommend, erst einmal erreichen! Als Einwohner dieses Schmuckkästchens habe ich mich damals für so manchen verkommenen Ort in Wien geschämt, und ganz besonders für den Südbahnhof. Und noch heute überkommt mich ein Furor, wenn ich in dieser weitläufigen Düsternis nach der simplen Information suche, wann und wo denn mein Zug abfährt.

Dass der Balkan am Südbahnhof beginnt, wäre mir freilich nie in den Sinn gekommen - dazu liebe ich den Balkan zu sehr. Dort bin ich ja auch noch nie bestohlen worden, nur am Südbahnhof hat man mir die Tasche geklaut.

Ja, und dann noch der Mief der 1950er Jahre! Das Jahrzehnt meiner Geburt habe ich noch nie leiden können: um der zu werden, der ich heute bin, musste ich mich gerade davon befreien. Natürlich zählen meine Gefühle nicht, wenn es um den architektonischen Wert der Architektur dieser Zeit geht, und natürlich bin ich inkonsequent, wenn ich den nebenstehend beschriebenen alten Bahnhöfen nachtrauere und mich gleichzeitig am liebsten persönlich an der Demolierung des Südbahnhofs beteiligen möchte, aber es hilft nichts: Ich freue mich schon auf die Spitzhacke.

Darf Wien keinen modernen Zentralbahnhof haben, der heutigen Bedürfnissen entspricht, nur weil dieser Kasten schon dasteht? Oder sollte der Südbahnhof das gebaute Monument dessen bleiben, wofür wir den "Osten" schon immer gehalten haben: vielleicht ein bisschen idyllisch, aber ziemlich zurückgeblieben? Ist es nicht höchste Zeit, ein neues Tor zu jener noch immer viel zu wenig bekannten Welt zu bauen, die uns seit 1989 und vor allem seit der EU-Erweiterung 2004 offen steht? Ein Tor, bei dem die neuen EU-Bürger nicht das Gefühl haben, eine Zeitreise in die Vergangenheit gemacht zu haben und das auch eingefleischte Österreicher dazu verlockt, unbekannte Städte zu entdecken und ihre Balkan-Klischees über Bord zu werfen.

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