Endstation Gefängnis

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Die unwürdige Behandlung von Flüchtlingen in Griechenlands Erstaufnahmelagern zeigt das Versagen der europäischen Asylpolitik.

Die Insel Lesbos zehn Seemeilen westlich der türkischen Küste gelegen, ist, so verheißt der Katalog, ein „Kraftplatz“, ein „unvergesslicher Ort der Erholung und der Freude“. Dort könne man in azurblauem Meer und heißen Quellen baden und „schmausen wie die Götter“: „Köstlich gefüllte Zucchiniblüten, gegrillter Ladotiri-Schafkäse, knusprige Lammkoteletts, butterweiche Kalmare warten schon.“

Mytilini ist die Hauptstadt der Insel ein idyllischer Fischerhafen, mit Tavernen und Diskotheken, ein Hort „superlativer Urlaubsfreude“. Seit 15 Jahren ist Mytilini aber auch Schauplatz eines verstörenden Wechselspiels. Tagsüber ergießen sich die reichen Touristenströme auf die Sandstrände und ergötzen sich an Sonne, Wind und Meer. In der Nacht aber bringt die griechische Marine vor der Küste kleine Fischerboote und verrostete Kähne auf mit hunderten Menschen an Bord. 6147 Flüchtlinge landeten laut der europäischen „Frontex“-Grenzschutzagentur im Jahr 2007 auf Lesbos, 13.252 waren es schon im Jahr 2008, an die 15.000 im Jahr 2009. Die meisten von ihnen sind Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak oder Somalia, auf die die Genfer Flüchtlingskonvention ungeteilte Anwendung finden würde.

Gelandet in der Illegalität

Doch schon das Vokabular, mit dem sie hier empfangen werden, beschreibt treffend was danach kommt: Polizisten schimpfen sie oft „Diebe“ und „Primitive“, erzählen sie. Wer auf Lesbos landet, wird in das berüchtigte Anhaltelager Pagani in Mytilini verbracht. Es besteht aus einer vergitterten und mit Stacheldraht umzäunten Lagerhalle, die für den Aufenthalt von 300 Menschen konzipiert ist und im Sommer 2009 mit bis zu 1200 Personen überfüllt war.

Ein Bericht der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ weist auf „inakzeptable Lebensbedingungen“ in Pagani hin. Das beginnt bei der „Verteilung“ des Essens (Brot und andere Lebensmittel werden in die Menge geworfen), setzt sich in der Zuweisung zerschlissener, verdreckter und durchfeuchteter Matratzenlager fort, betrifft nicht vorhandene Hygiene- und Sanitäreinrichtungen (eine einzige Toilette für 50 Menschen, eine Dusche für 200), und resultiert im Ausbruch ansteckender Krankheiten. Ganz zu schweigen vom Freiheitsentzug (wochenlange Internierung ohne Aufenthalt im Freien als Regelfall) und den Beschimpfungen und Tritten durch das Wachpersonal. Nach Massenhungerstreiks der Flüchtlinge und massiver Kritik des UNHCR, des Europarates und des Europaparlaments wurde Pagani Ende 2009 kurzfristig geschlossen, doch seit Frühsommer ist es – unsaniert – wieder in Betrieb.

Ähnliche Zustände werden aus den Lagern Chios, Samos, Venna und Filakio kolportiert. Die Psychologin Aggela Bolletsi, die für „Ärzte ohne Grenzen“ bis April 2010 im Lager von Venna in Nordostgriechenland arbeitete, berichtet im Interview mit der FURCHE von zehnfacher Überbelegung der Zellen. Wie in Pagani müssten sich 50 bis 60 Internierte eine Toilette teilen, Familien würden willkürlich auseinandergerissen, auch Kinder von ihren Eltern getrennt. An eine ärztliche Grundversorgung sei nicht zu denken: „Es gibt hier keinen Doktor. Chronisch Kranke und Traumatisierte bleiben unversorgt, wer krank wird, bleibt so lange ohne Behandlung, bis er ins Krankenhaus eingeliefert werden muss.“

Die Untersuchung von „Ärzte ohne Grenzen“ in drei griechischen Lagern ergab, dass ein Drittel der Flüchtlinge die mehr als vier Wochen eingesperrt waren, Symptome von Depression aufwiesen, die von Angstzuständen und Apathie bis zu wiederkehrenden Selbstmordgedanken reichten. Ein junger Afghane beschrieb seine Situation gegenüber einer Ärztin so: „Seit wir hier sind, behandelt man uns wie Tiere. Meine Frau hat gerade ein Kind zur Welt gebracht, aber wie sollen sie hier leben?Auf diesen dreckigen Matratzen? Wir werden alle hier sterben.“

Ausgesetzt in Athen

Besser geht es den Gefangenen allerdings auch dann nicht, wenn sie nach Wochen oder Monaten mit einem gültigen Asylantrag entlassen werden. Denn zumeist führt die letzte vom Staat bezahlte Reise nach Athen wo sie schlicht ausgesetzt werden. Die Behörden gewähren bis zum Abschluss des Asylverfahrens keine finanzielle Unterstützung und auch keine Arbeitserlaubnis. 800.000 Menschen, befinden sich nun ohne gültige Dokumente und mittellos im Land. In „Paperslums“ am Rand der Großstädte und Häfen wie Patras, hausen Zehntausende Flüchtlinge in Notunterkünften aus Pappkarton.

Dem nicht genug, werden selbst diese Elendsquartiere regelmäßig von den griechischen Grundbesitzern mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Im Internet kursieren auch Videos von Polizisten, die Flüchtlinge herabwürdigend behandeln, quälen und beschimpfen und sich dabei von ihren lachenden Kollegen filmen lassen.

Auf europäischer Ebene gibt es wenig bis keinen Druck auf die Regierung in Athen sich des Problems anzunehmen. Eine generelle Änderung des Rückübernahmeabkommens für Flüchtlinge, die eine gerechtere Aufteilung der Schutzsuchenden ermöglichen würde, wird von einzelnen Staaten, darunter Österreich, massiv bekämpft.

Als für manche erschreckend effizient erweist sich dagegen die europäische Grenzagentur „Frontex“, die derzeit auch einen internationalen Einsatz vor Lesbos leitet. Seit April drängen Patrouillenboote der griechischen, rumänischen und französischen Marine die Flüchtlingsboote schon auf dem Meer ab, die Zahl der Anlandenden ist seither drastisch gesunken.

Dazu eine Momentaufnahme aus der Türkei: In der Nähe von Izmir wurden jüngst laut Medienberichten 37 Palästinenser, drei Afghanen und sieben Burmesen aufgegriffen. Bei den Einvernahmen gaben sie an, sie seien auf Lesbos von der griechischen Polizei aufgegriffen worden. Die Beamten hätten ihnen Pass und Geld abgenommen, auf ein Patrouillenboot gebracht und nahe der türkischen Küste ins Meer geworfen.

Postskriptum: In Artikel III-266 des EU-Vertrages von Lissabon heißt es, „Die Union entwickelt eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl (...) mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten werden soll.“

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