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Zum 90. Todestag von Georg Trakl: eine Reise an denOrt seines letzten Gedichts.

Dieses Gedicht gehört zur Weltliteratur", versicherte der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler einer in der verhangenen Spätherbstlandschaft Ostgaliziens versammelten Zuhörerschaft, als an der Zahnklinik von Horodok/ Grodek eine Gedenktafel an den 1887 in Salzburg geborenen Lyriker Georg Trakl enthüllt wurde. Einige Jahre zuvor war Schmidt-Dengler bei einer Vortragsreise von L'viv/Lemberg auf dem Weg nach Kraków/Krakau in Begleitung des ukrainischen Germanisten Tymofiy Havryliv durch dieses Städtchen gekommen. Havryliv machte ihn damals darauf aufmerksam, dass an diesem Ort zu Beginn des 1. Weltkrieges jene große Schlacht stattgefunden hat, bei der Georg Trakl als Militärapotheker ("Medikamentenakzessist") der erbarmungslosen Wirklichkeit des Krieges hilflos ausgeliefert war. Dieses Erlebnis hat den entscheidenden Anstoß dazu gegeben, dass Trakl seinem Leben im Garnisonsspital von Krakau wahrscheinlich selbst ein Ende gesetzt hat. Sein letztes Gedicht "Grodek" zählt zu seinen bekanntesten. Der 90. Todestag war nun der Anlass, Schmidt-Denglers Vorschlag einer Gedenktafel zu realisieren und mit mehreren Trakl-Veranstaltungen zu verbinden.

Wo liegt Trakls Grodek?

So reiste eine kleine Delegation aus Österreich nach Galizien, zuverlässig betreut von der Österreich-Kooperation und den österreichischen Vertretungen in Krakau und Lemberg. Am Vormittag stand ein Besuch des Garnisonsspitals in Krakau auf dem Programm, wo Trakl in der Nacht vom 3. zum 4. November 1914 gestorben ist. Es ist auch heute noch ein Krankenhaus, die "Irrenabteilung" von damals ist heute die "Psychiatrische Abteilung". Darin ist im Vorraum eine Gedenkstätte mit verschiedenen dokumentarischen Materialien zu den letzten Wochen im Leben des Dichters gestaltet. Während der Besichtigung des Zimmers mit dem vergitterten Fenster, in dem Trakl vermutlich gestorben ist, warteten die sonst darin untergebrachten Patienten auf dem Gang und waren erstaunt über das ungewöhnliche Interesse. An der Außenmauer des Spitals war schon vor der politischen Wende eine Gedenktafel angebracht worden.

Der Galerieraum des österreichischen Generalkonsulates war am Abend bis auf den letzten Platz gefüllt, als ein Film über die letzten Tage Georg Trakls vorgeführt wurde. Das polnische Fernsehen hatte ihn vor mehreren Jahren unter der Regie von Andrzej Maj produziert; für das Drehbuch war Krzysztof Lipinski, Krakauer Trakl-Spezialist und Übersetzer ins Polnische, verantwortlich, der den Film auch einbegleitete. In einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion soll darin Trakls Situation der Ausweglosigkeit und der ihn bewegenden quälenden Phantasien deutlich gemacht werden. Anschließend wurde eine Ausstellung mit Bildern des Malers Pawel Bitka eröffnet, in denen das Motiv der Bruder-Schwester-Beziehung variiert wird.

Die Österreich-Gruppe war inzwischen um die in Polen tätigen österreichischen Lektoren und den ungarischen Trakl-Forscher Károly Czuri, zuletzt Direktor des Ungarischen Kulturinstituts in Wien, angewachsen. Gemeinsam brachen alle am nächsten Tag nach Lemberg im östlichen Galizien, heute Ukraine, auf. Die Wartezeit von drei Stunden an der polnisch-ukrainischen Grenze wegen unklarer Transportberechtigungen polnischer Unternehmer im Nachbarstaat war ein Hinweis nicht nur darauf, dass es sich um eine EU-Außengrenze handelt, sondern erinnerte auch an manche unliebsame Gepflogenheiten des verflossenen Sowjetsystems. Dass dessen wirtschaftliche Folgen der Ukraine bis heute schwer zu schaffen machen, ist offenkundig.

Trakl auf Ukrainisch

Dass Trakl trotzdem dort erstaunlich präsent ist, zeigte der folgende Abend im restaurierten Palais Potocki im Zentrum der Altstadt von Lemberg. In diesem Prachtbau aus der habsburgischen Ära präsentierte Tymofiy Havryliv, Germanist an der Universität Lemberg, vor vollem Saal seine neue Trakl-Übersetzung ins Ukrainische. Drei Schauspieler trugen in einer überzeugend choreografierten szenischen Lesung Trakl-Texte auf Ukrainisch vor. Anschließend wurde auch hier der polnische Trakl-Film gezeigt - für viele Westukrainer ist Polnisch eine vertraute Sprache.

Am folgenden Tag trafen sich Germanisten und Trakl-Forscher im Spiegelsaal der Universität zu einer Tagung, die von österreichischen Stellen in Polen und der Ukraine unterstützt wurde. Nach einem einführenden Referat des Verfassers über "Georg Trakl und der Durchbruch zur Moderne" befasste sich Wendelin Schmidt-Dengler mit dem Motiv der "düsteren Sonnen", ausgehend von der Formulierung "darüber die Sonne / Düstrer hinrollt" in Trakls Gedicht "Grodek". Er stellte dieses Bild in einen größeren literarischen Kontext und versuchte dessen prophetischer Dimension nachzuspüren. Walter Methlagl (Innsbruck) entwarf ein Bild der kulturellen Situation um 1914, indem er dafür repräsentative Personen, zu denen Trakl Kontakt hatte, zu einem "imaginären Stelldichein" an seinem Krankenlager zusammenführte. Anschließend stellte Károly Csúri (Szeged) sein Interpretationsmodell von Trakls "Textwelten" vor.

Georg Trakl und Paul Celan

Nach einem Rundgang durch die Altstadt (Weltkulturerbe seit 1998) ging Petro Rychlo (Cernivici/Czernowitz) den Spuren Trakls im Werk von Paul Celan nach, für den der österreichische Dichter in seiner Jugend ein "Abgott" war. Mit einem Band Trakl-Gedichte unter dem Arm soll er selbstbewusst unter seinen Mitschülern aufgetreten sein. Nach seiner Übersiedlung nach Paris erlosch allmählich das frühe Interesse. Zuletzt referierte Tymofiy Havryliv über seine Übersetzungen ins Ukrainische und erörterte die Probleme, die es dabei vor allem mit der formgebundenen Lyrik gibt. Er berichtete auch, dass der Name Georg Trakl unter ukrainischen Lesern durch dessen Erwähnung in Heinrich Bölls Roman "Gruppenbild mit Dame" bekannt geworden sei. Erst die Frage "Wer war dieser Trakl?" bereitete den Weg für das erste ukrainische Trakl-Buch 1997. Dieses hat Havryliv in der neuen Ausgabe überarbeitet und um 24 Gedichte und mehrere Briefe erweitert.

Einen Höhepunkt bildete die Enthüllung der Trakl-Gedenktafel im 20 km westlich von Lemberg liegenden Horodok/Grodek (18.000 Ew.). Die Verwaltung dieses "Städtchens" (so die Bedeutung von "Grodek") gab sich alle Mühe, das Ereignis würdig zu gestalten. Zunächst wurde vor der Zahnklinik, an der die Gedenktafel angebracht ist, das Gedicht "Grodek" in beiden Sprachen rezitiert, Bürgermeister Mykola Savka, seit 1989 in diesem Amt, wies auf die historischen Zusammenhänge hin und sprach vom Plan eines Soldatenfriedhofs, der die Erinnerung an die verlustreiche Schlacht bei Grodek Anfang September 1914 wach halten soll. Die österreichischen Vertreter betonten die literarische Bedeutung des Gedichtes und stellten Bezüge zu den Institutionen in Salzburg und Innsbruck her, die sich dem Werk Trakls verpflichtet fühlen.

Europäische Ukraine

Beim darauf folgenden Festprogramm in der Schule herrschte aufgeregte Stimmung: Trakl-Gedichte wurden von Schülern in der Originalsprache und auf Ukrainisch rezitiert, eine Gedicht-Vertonung - seltsamerweise das Gedicht "Schweigen" - war mit Ziehharmonika-Begleitung zu hören und an zwei Wänden des Festsaales hingen die Ergebnisse eines Mal- und Zeichenwettbewerbes. Eine Auswahl davon soll nächstes Jahr im Trakl-Haus in Salzburg gezeigt werden. Der Direktor der Schule brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass ein Schüleraustausch mit Österreich zustande kommen wird.

Ein gemeinsames Essen bildete den Abschluss dieses berührenden Festes anlässlich der symbolischen Rückkehr Trakls nach Ostgalizien. Es war ein Zeichen kultureller Aufgeschlossenheit und zugleich auch ein Ausdruck des Willens von ukrainischer Seite, die Geschichte des Landes neu zu beleuchten und sich als Teil des im Umbau befindlichen Europa zu begreifen.

Der Autor ist Leiter der Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte in Salzburg.

Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder

Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen

Und blauen Seen, darüber die Sonne

Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht

Sterbende Krieger, die wilde Klage

Ihrer zerbrochenen Münder.

Doch stille sammelt im Weidengrund

Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt

Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;

Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen

Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,

Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;

Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.

O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre

Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,

Die ungebornen Enkel.

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