Endstation Leerformel

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Die semantische Bündigkeit eines Ausdrucks verhält sich oft verkehrt proportional zur Häufigkeit seines Gebrauchs. Wovon alle ungeschützt und folgenlos reden, das verfällt der Beliebigkeit. Die fehlende Kontrolle des Gehalts führt zu Willkür. Endstation Leerformel.

Diese Gefahr besteht auch bei der vielberufenen politischen Kultur. Jeder führt sie im Mund, jeder versteht etwas anderes darunter: liberale Gesinnung, Toleranz gegen Andersdenkende, klare inhaltliche Konzepte, ausgereifte Ideen - oder auch: höfliche Umgangsformen, korrektes Diskussionsverhalten, vielleicht auch bloß das Vermeiden von Verbalinjurien und Schreiduellen im Parlament. Kurzum: von allem etwas, aber nichts davon eindeutig und ausschließlich!

Kann uns die Sprachgeschichte aus der Verlegenheit helfen? Dass Kultur seiner Herkunft nach ein lateinisches Fremdwort ist und letztlich auf das Verbum colere (pflegen, bebauen) zurückgeht, kann leicht nachgeschlagen werden. Doch gibt es dafür den berühmten "Sitz im Leben"?

Wie so oft im gehobenen Wortschatz geht die konkret-dingliche der abstrakt-sublimen Lesart voraus: man denke nur an den noch durchschimmernden Ursprung von Intellektualverben wie verstehen, erfassen oder begreifen. Die cultura animi, die Erziehung zum geselligen Leben, zur Kenntnis der freien Künste und zum ehrbaren Dasein, wurzelt demnach in der agricultura, im Ackerbau, in der Bestellung der Felder. Im Rückgriff auf diese Grundbedeutung ließe sich für politische Kultur vielleicht ein minimaler gemeinsamer Nenner gewinnen: nach einer Auseinandersetzung das Terrain so zu verlassen, dass darauf wieder der Weizen blühen oder wenigstens darüber das Gras wachsen kann - und nicht nur das Unkraut gedeiht.

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg.

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