Endstation New Orleans

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Tennessee Williams hat mit dem Theaterstück "A Streetcar named Desire" (Endstation Sehnsucht) der Südstaaten-Metropole New Orleans einliterarisches Denkmal gesetzt. Die Furche auf Spurensuche.

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Tennessee Williams hat mit dem Theaterstück "A Streetcar named Desire" (Endstation Sehnsucht) der Südstaaten-Metropole New Orleans einliterarisches Denkmal gesetzt. Die Furche auf Spurensuche.

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Über den weiten braunen Schlingen, in denen sich der Mississippi zum Golf von Mexiko, zum offenen Meer hin wälzt, spürt man die dumpfe Hitze des tiefen Südens. Im Sommer ist das Klima von New Orleans alles andere als angenehm: Fast 40 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent. In wenigen Minuten ist man völlig durchnäßt. Der romantische Zauber der Landschaft tritt auf diese Weise in den Hintergrund. Was bleibt, ist der Sturm auf klimatisierte Räume. Wer es sich aussuchen kann, sollte in den Monaten Oktober und November nach Louisiana fliegen. Dann ist es hier frühlingshaft mild und die Luftfeuchtigkeit beträgt kaum über 20 Prozent. Nach dem Einsetzen des fast täglich zu erwartenden Regengusses, der auch im Form eines Gewitters hernieder prasseln kann, sind Luft und Temperatur in New Orleans wieder besser zu ertragen.

Nach dieser von der Natur verordneten Klimatisierung kann man sich an die Entdeckung der wahrscheinlich schönsten Stadt der Vereinigten Staaten machen, mit allen ihren touristischen Höhepunkten, der phantastischen Küche und der Musik, die hier im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft liegt.

Der Besucher von New Orleans sollte sich mit einigen Dingen vertraut machen, die abseits vom sonstigen US-Klischee liegen: Hier im tiefen Süden, in Louisiana am Mississippi und in New Orleans am Golf, wird auch heute noch ein Mischmasch aus Englisch und Französisch gesprochen, das vor allem dann, wenn der Sprecher ein Farbiger ist, fast völlig unverständlich wird.

Buntes Völkergemisch New Orleans ist eine bedeutende Hafenstadt im Mississippi-Delta. Das finanzielle Schwergewicht für den Staat Louisiana und für den gesamten Süden der USA liegt heute zum großen Teil im Fremdenverkehr. Die Nächtigungen hier in New Orleans und im Delta gehen in die zig-Millionen. In der Karnevalszeit, dem berühmten "Mardi Gras" (= Fetter Dienstag, der Tag vor dem Aschermittwoch) ist buchstäblich im gesamten Golfgebiet und im Mississippi-Delta kein Hotelzimmer zu bekommen.

Das Gros der Touristen das ganze Jahr über in New Orleans und im südlichen Louisiana stammt hauptsächlich aus den USA selbst. Der Rest verteilt sich auf Japan und Europa, wobei in den letzten Jahren die Besucher aus unseren Breiten prozentuell im Vormarsch sind. Den Touristen aus aller Herren Länder ist gemeinsam, daß sie das "andere Amerika" sehen wollen. Die Amerikaner suchen das Flair der Südstaaten, ohne Hast und vor allem ohne das gewohnte "fast food", die Japaner und Europäer das fröhliche und unbekümmerte Nebeneinander eines Völkergemisches entstammend den französisch/spanischen Siedlern, englischen Einwanderern und Kreolen. Bei den Europäern kommt noch das Interesse an Touren in die Sümpfe, vereinzelt dem Kennenlernen des Voo-Doo-Kults und den Plantations-Tours dazu.

New Orleans wurde von den Franzosen im Jahr 1718 gegründet, der ursprüngliche Name war "Sieur de Bienville". Der heutige Name der Stadt geht auf den Herzog von Orleans zurück, dem damaligen Regenten von Frankreich. Zur Zeit der Gründung war New Orleans nicht mehr als ein von Pelzjägern und Goldsuchern bewohntes Dorf, das wegen des ungesunden Klimas und der zahlreichen Fiebersümpfe in der Umgebung in den ersten Jahren kaum an Einwohnerzahl zunahm. Nach der Trockenlegung der Sümpfe und dem Bau von künstlichen Wasserstraßen (Bayous) gelang es, ein halbwegs erträgliches Klima zu schaffen, das die Stadt im 19. Jahrhundert zu einem bedeutenden Handelshafen heranwachsen ließ.

1803 wurde New Orleans - zusammen mit Lousiana und anderen Teilen der heutigen Vereinigten Staaten - von Napoleon den Amerikanern verkauft. Für die Engländer, die mit den Vereinigten Staaten mehrmals Krieg geführt hatten, erlangte New Orleans traurige Berühmtheit: Die Briten griffen im Jänner 1815 trotz des Friedensschlußes von Gent die Stadt an und erlitten gegen den späteren Südstaaten-General Andrew Jackson, der sich mit französischen Freischärlern unter Jean Lafitte verbündet hatte, eine der größten Niederlagen ihrer Kriegsgeschichte. Von Ausflugsdampfern aus können Touristen heute noch das ehemalige Schlachtfeld östlich von New Orleans und den daran anschließenden Nationalfriedhof (Chalmette National Historical Park) besichtigen.

Essen wie die Sklaven Das Herz von New Orleans ist das "French Quarter", das auch noch unter "Vieux Carre" (altes Viereck) bekannt ist; der Name kommt vom Exerzierplatz in der Mitte des alten New Orleans, den die Franzosen im 18. Jahrhundert angelegt hatten. Heute ist dieser Platz mit der Statue des Südstaaten-Generals Jackson der Mittelpunkt des French Quarter. "French Quarter", das ist ein New Orleans, wie man es aus den Film-Epen über die Südstaaten her gewohnt ist, geschaffen für Müßiggänger und Touristen. Und so gar nicht in das übrige Amerika passend. Die Häuser sind entweder ebenerdig oder einstöckig und fast durchwegs mit schmiedeeisernen Balkons verziert. Die Namen der Straßen zergehen förmlich auf der Zunge: Toulouse, Saint Louis, Burgundy, Dauphine Street, Chartres Avenue ...

In der Mitte der Werften neben der ehemaligen Jackson-Brauerei liegen die Mississippi-Dampfer und warten auf die Touristen: Der berühmte Steamer "Natchez", eine bereits 100 Jahre alte Nachbildung des Dampfers, mit dem die Siedler anfangs des 19. Jahrhunderts nordwärts zogen; daneben die "Creole Queen" und die "Cajun Queen".

Apropos "Cajun": Der Name kommt von den Siedlern, die seit 1755 im südlichen Louisiana lebten. Ihre Speisen, die "Cajun Kitchen", sind in die Essensgeschichte des Südens eingegangen. Die Cajun waren Leute, die ein einfaches Leben im Einklang mit sich selbst, ihrer Familie und ihrer Umwelt führten. Ihr Willkommensgruß "Bienvenu, laissez les bons temps rouler" wurde zum Leitspruch für "Cajun Food", der deftigen Speisen aus der Mischung der Creole Cuisine und den kulinarischen Wurzeln aus dem Süden. Neben der kreolischen Küche und der Cajun Kitchen wird auch hier im Süden noch immer das Essen der schwarzen Sklaven als Touristenattraktion angeboten: das Soul Food.

Als der 27jährige Thomas Lanier Williams von Columbus nach New Orleans kam, hatte er nicht einmal das Geld für solch einfache Speisen. Sein Vater wollte ihn, nach einem an der Universität von Iowa bestandenen Examen über Literatur, in St.Louis in die International Shoe Company stecken, allein Williams wollte nur schreiben. Er mietete sich in der Toulouse Street 722, einem dunklen unverputzen Backsteinbau, mitten im Vieux Carre, ein. Statt Miete zu zahlen entwarf er für seine Vermieterin, die im Begriff war, ein Speiselokal zu eröffnen, zugkräftige Slogans wie "Meals for a quarter in the Quarter!" Untertags verteilte er in den umliegenden Straßen Handzettel, abends war er als Kellner im French Quarter und im Rotlichtdistrikt von New Orleans, in Storyville tätig. Als das Group Theatre in New York einen Einakterwettbewerb für Autoren unter 25 ausschrieb, machte sich "Tennessee" Williams um zwei Jahre jünger und gewann den ersten Preis von 100 Dollar.

Allgegenwärtiger Jazz Jahre später wohnte er in der St.Peter Street 632 und verdiente seinen Lebensunterhalt an der Kasse eines Restaurants, nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, wo eine Straßenbahn mit dem Namen "Desire" vorbeifuhr. Fünf Jahre später sollten ihn die Eindrücke aus New Orleans zu seinem, neben der "Glasmenagerie", bekanntesten Theaterstück "Endstation Sehnsucht" inspirieren. In seinen Erinnerungen gedenkt er voll Wehmut der Stadt am Mississippi: "Wenn ich überhaupt je eine Heimat gehabt habe, so war dies New Orleans, wo ich immer wieder gelebt habe und das mich mehr als jeder andere Teil der USA mit Stoff versorgt hat."

Kehren wir ins New Orleans unserer Tage zurück mit all seinen Attraktionen und seiner allerorten geschätzten Südstaatenküche. Über all dem herrlichen Essen und der eigenwilligen Atmosphäre der Stadt schwebt stets der Klang des heimischen Jazz, der den Touristen nicht nur in den Lokalen, bei den Kreuzfahrten, sondern auch auf Schritt und Tritt auf Plätzen und Gassen des French Quarter begleitet.

Er klingt noch in den Ohren, wenn man schon längst im Jet nach Europa sitzt.

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