Engelgleiches Wunderkind

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„Ricky“: François Ozon erzählt ein Kinomärchen – mit einem ganz besonderen Wunderkind im Zentrum der Geschichte.

Ein Mann und eine Frau lernen einander kennen. Sie schlafen miteinander. Ein Kind wird geboren. So eine Geburt ist an sich schon durchaus ein Wunder, etwas, das einen aus der Bahn werfen kann. Doch das Kind, das hier geboren wird, ist nicht irgendeines, sondern ein echtes Wunderkind in einem ganz speziellen Sinne.

François Ozon, der mit „Ricky“ eine Kurzgeschichte von Rose Tremain verfilmt hat, hat seinen Filmkritikern keine einfache Aufgabe gestellt. Denn „Ricky“ ist, wenn das Publikum nichts von der Art des Wunders weiß, ein wirklich grenzwertiges Kinoerlebnis – im besten Sinne: Verstörend, bezaubernd, verwirrend. Dabei, so behauptet der Regisseur im Gespräch mit der FURCHE, ist das Baby gar nicht wirklich Zentrum des Films: „Auf welche Art dieses Baby besonders ist, ist letztlich ein Detail. Die eigentliche Geschichte ist die der Familie, das Baby ist nur da, um die Verbindungen innerhalb dieser Familie aufzudecken.“ Und diese Familie hat es am Anfang alles andere als leicht. „Ricky“ beginnt mit düsterster französischer Sozialtristesse, die an die Filme der belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne erinnert: Die junge alleinerziehende Mutter Katie (Alexandra Lamy) arbeitet in einer Fabrik. In der Zigarettenpause kommt ein Vertreter vorbei, Paco (Sergi Lopez). Sie schaut ihm in die Augen, er schaut ihr in die Augen. Und im nächsten Moment sind die beiden gemeinsam am dreckigen Klo der Fabrik und haben atemlosen Sex.

Was der etwas verhatschte Beginn einer Liebschaft sein könnte, wird viel mehr, als Katie merkt, dass sie schwanger ist. Paco zieht bei ihr ein, und die Sache mit dem Zusammenleben stellt sich als harte Probe heraus. Man kennt einander nicht, Katies kleine Tochter Lisa (Mélusine Mayance) ist argwöhnisch, und Paco hat kaum Platz in der winzigen Wohnung. Doch dann kommt das Baby auf die Welt, und Lisa darf den Namen aussuchen: Ricky. Der kleine blonde Bub wird von allen geliebt. Oder doch nicht? Irgendwann hat er blaue Flecken, nachdem Paco auf ihn aufpassen sollte. Wurde er geschlagen? Katie schmeißt Paco hochkant raus. Doch ist nicht vielleicht Lisa eifersüchtig auf den kleinen Bruder, der ihren Platz in Mamas Herzen eingenommen hat?

Ganz spezielles Kinoerlebnis

Was aber dann passiert, ist so unglaublich, dass es einen atemlos zurücklässt. Frankreichs unberechenbarster Regisseur kippt die triste Arbeiterklasse-Ausgangsposition urplötzlich ins Surreale und erzählt auch dann einfach weiter, als wäre nichts passiert. Der kleine Ricky hat nämlich eine Begabung, die völlig unerwartet kommt, und mit der bei aller Liebe keiner so richtig umgehen kann. Doch dieses Anderssein stellt sich als Glücksfall für die Familie heraus. „Katie lacht über das Baby, sie muss ihm eigene Kleider nähen, sie geht zum ersten Mal in die Bibliothek um etwas über seine Besonderheiten zu erfahren – plötzlich passiert etwas in ihrem Leben!“, sagt Ozon. „Beim Entwickeln dieser Szenen haben wir an Eltern gedacht, die ein behindertes Kind haben und für dieses Kind ihr Leben komplett umkrempeln.“ Auch wenn der Film Schwächen haben mag, diese Grundaussage, dass es schön ist, wenn jemand anders ist, macht ganz große Freude. Ozon selbst will sich nicht festlegen, ob sein Film ein Zaubermärchen ist, eine Kindergeschichte, gar ein Horrorfilm, oder eine psychoanalytische Fabel über eine Mutter mit Verlustängsten. Das macht „Ricky“ zu einem ganz speziellen Kinoerlebnis.

Ricky

F 2009. Regie: François Ozon. Mit Alexandra

Lamy, Sergi Lopez. Verleih: Filmladen. 90 Min.

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