"Entdeckerfreuden ausleben"

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Elisabeth Förster-Waldl, Expertin für das Immunsystem von Kindern am Wiener AKH, über Hygiene im Alltag mit Kindern, die "Bauernhof-These" und eine sinnvolle Allergievorbeugung.

Zu wenig Kontakt mit Keimen in der natürlichen Umgebung könnte ebenso Allergien auslösen wie ein Zuviel an Umweltverschmutzung, erklärt die Kinderärztin und Immunologin Förster-Waldl.

Die Furche: Frau Professor, lässt sich eine Grenze zwischen zu viel und zu wenig Hygiene im Alltag mit Kindern definieren?

Elisabeth Förster-Waldl: Hygiene sollte nicht 1:1 gleichgesetzt werden mit Sauberkeit. Sauberkeit ist klarerweise eine begrüßenswerte Sache, aber Sauberkeit heißt nicht, dass ununterbrochen desinfizierende Maßnahmen gesetzt werden, um jede existierende Mikrobe abzutöten, die uns im Alltag begegnet. Ein gesunder Körper mit einem funktionierenden Immunsystem ist in der Lage, sich mit unzähligen Keimen effizient auseinanderzusetzen. Ein kleines Kind, das in der Sandkiste spielt, darf ruhig auch einmal seinen Sandkuchen kosten, sofern nicht vorher ein Tier dort sein "Geschäft verrichtet" hat. Es ist unnötig, jedes Mal, wenn ein Kind am Spielplatz seine Finger in den Mund steckt, mit einem desinfizierenden Wischtuch gelaufen zu kommen. Aber klarerweise macht es Sinn, vermehrt auf Händewaschen vor dem Essen zu achten, wenn im Kindergarten "Wurmalarm" bei den direkten Spielkameraden ausgerufen wurde.

Die Furche: Eine scharfe Grenze kann also nicht gezogen werden ?

Förster-Waldl: Nein, es hängt auch vom Allergierisiko eines Kindes ab.

Die Furche: Allergien nehmen zu - warum?

Förster-Waldl: Allergien sind eine inadäquate Reaktion des Immunsystems auf natürliche Umgebungsreize. Wir beobachten, dass sogenannte Typ1-Allergien in industrialisierten Ländern zunehmen. Das sind Allergien wie Heuschnupfen, Asthma, Neurodermitis oder Allergien auf Lebensmittel. Es gibt zahlreiche Faktoren, die mit hineinspielen, und diese sind nicht restlos geklärt. So spielen laut aktuellen Untersuchungen "belastende" Umweltfaktoren eine Rolle. Ein anderer Faktor scheint durch die "Hygiene-Hypothese" erklärt ...

Die Furche: ? die besagt?

Förster-Waldl: Sie besagt, dass zu viel Hygiene die Entstehung allergischer Erkrankungen fördert. Es gibt Studien, die zeigen, dass das Aufwachsen auf Bauernhöfen im Gegensatz zum Großwerden in der Stadt teilweise gegen die Entwicklung allergischer Reaktionen schützt. Es spielen bei der Allergieentstehung aber viele Faktoren eine Rolle, etwa genetische Faktoren. Besteht eine familiäre Belastung, sollte laut aktuellen Leitlinien der deutschen "Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften" in den ersten Lebensjahren Katzenkontakt gemieden werden (für mehr Empfehlungen siehe Kasten unten). Pauschal zu sagen, man sollte die Umgebung so natürlich wie möglich halten, ist daher auch nicht richtig.

Die Furche: Das heißt, wenn Eltern Allergien haben, dann würde es gar nichts bringen für diese Familie, öfter Urlaub auf dem Bauernhof zu machen?

Förster-Waldl: Einfach nur auf Urlaub hinzufahren, dürfte sowieso nicht ausreichen. Es braucht kontinuierlichen Stimulus durch Faktoren, die in Stallumgebungen vorkommen. Das Aufwachsen auf dem Bauernhof darf nicht als "Allheilmittel" gesehen werden. Es gibt auch Bauernkinder, die Allergien gegen felltragende Tiere entwickeln.

Die Furche: Viele Eltern versuchen dennoch, mehr Natur ins Stadtleben zu bringen, sie besuchen Streichelzoos, fahren auf Bauernhöfe - hilft das dann wenig bis nichts?

Förster-Waldl: Doch. Es ist auf alle Fälle besser als eine sterile Umgebung mit wenig Kontakt zur Natur. Es ist auf jeden Fall günstig, die Zeit so viel als möglich in der Natur zu verbringen und dort nicht peinlich darauf Bedacht zu nehmen, dass die Hände der Kinder sauber bleiben. Sie sollten ruhig ihrer natürlichen Entdeckerfreude nachgehen dürfen, indem sie Baumrinde angreifen oder Kastanien sammeln. Das ist alles nicht sauber im strengen Sinn. Natürlich sollte die natürliche Umgebung nicht durch Tierkot verunreinigt sein.

Die Furche: Manche Eltern vertreten auch die Ansicht, Kinder müssten wieder mehr Krankheiten durchmachen, um ein besseres Immunsystem zu bilden.

Förster-Waldl: Die Frage, ob Kinder Krankheiten durchmachen "sollen", finde ich insofern missverständlich als Kinder Krankheiten auf jeden Fall im Laufe des Heranwachsens durchmachen. Kein Kind wächst auf, ohne je einen Schnupfen, eine sonstige virale Erkrankung oder eine Infektion durch Bakterien oder andere Erreger durchzumachen. Die Sehnsucht nach Natürlichkeit, die verständlicherweise weit verbreitet ist, sollte nicht dazu führen, sich allen Infektionserregern schutzlos auszuliefern - gegen manche lässt sich sehr erfolgreich impfen - oder auch seine Kinder den Symptomen mancher Infektionskrankheiten tatenlos hinzugeben: Angemessene Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt sind sicherlich das beste Vorgehen. Ich kann der Anschauung, dass das individuelle Immunsystem mit allem selbst fertig werden soll, wenig abgewinnen, wenn Kindern dadurch zugemutet wird, sehr unangenehme Symptome über längere Zeit zu ertragen.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Zur Person

Elisabeth Förster-Waldl ist Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde sowie Immunologie. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist Kinderimmunologie. Sie leitet die "Ambulanz für Störungen der Immunabwehr" an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde an der Medizinischen Universität Wien.

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