Entschlackte, britische „Liebelei“

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Mit „Sweet Nothing“ gelingt Festwochen-Intendant Luc Bondy eine klare und starke Eröffnungsproduktion für die heurige Spielsaison.

Die Dekadenz des Fin de Siècle lässt sich im Kammerspiel exzellent darstellen, doch wie entkommt man am Ende dem tragischen Pathos?

Festwochen-Intendant Luc Bondy eröffnet die heurige Saison mit der Eigeninszenierung „Sweet Nothings“. Hinter dem Titel verbirgt sich Arthur Schnitzlers „Liebelei“, vom schottischen Dramatiker David Harrower ins Englische übersetzt und erfolgreich im März in London uraufgeführt. In Wien dreht sich in der Halle G eine rote, runde Bühne vor dem Hintergrund einer pinkfarbenen Welle. Karl-Ernst Herrmann hat die Dekadenz der gutbürgerlichen Gesellschaft um die Jahrhundertwende als Atmosphäre einer lebensüberdrüssigen Borniertheit kompakt eingefangen. Der britische Akzent der beiden Dandys Theodor (Jack Laskey) und Fritz (Tom Hughes) tut das Seine, um von Beginn an in eine melancholisch-sinnentleerte Atmosphäre einzutauchen; hochnervös blickt Fritz durch einen Fensterrahmen, der den Blick in die Außenwelt andeutet …

Von drei Seiten flankiert das Publikum die Bühne, die sich langsam, kaum merkbar zu drehen beginnt. Bondy etabliert jene erotisch aufgeladene Atmosphäre, die Beziehungen zu eigen ist, deren Ablaufdatum bereits zu Beginn feststeht.

Über eine der Treppen hüpft Mizi (Natalie Dormer) auf die Bühne, sie ist klassisch der Typus des süßen Mädels, das den Moment der Liebe, des Weins und der Leichtigkeit auskostet, bevor sie in die kleinbürgerliche Trostlosigkeit zurückkehrt. Ihr folgt Christine, kurz Chrissi genannt, Freundin von Fritz. Bondy hat Christine dem Klischee entsprechend mit der ruhigen, dunkelhaarigen Kate Burdette besetzt, die neben der quirligen, blonden Natalie Dormer im schulterlosen, roten Kleid für „echtes Gefühl“ steht. Während sich die Bühne mitsamt der tanzenden Mizi weiter dreht, wirft Fritz’ düsteres Klavierspiel Schatten auf das etwas verkrampft wirkende, sichtlich als Orgie geplante Fest.

Fritz’ Ahnungen werden schnell bestätigt: Eine mysteriöse Gestalt betritt die mittlerweile verwüstete Bühne und gibt Fritz Liebesbriefe zurück, die dieser an seine Frau gerichtet hat. Der Auftritt des Mannes (Andrew Winclott) verläuft blass, als würde Bondy ihn bewusst im Dunklen lassen.

Das Ende zu lange zelebriert

Nach dem atmosphärisch und darstellerisch starken ersten Teil, den Herrmann in knalligem Rot, Pink und Schwarz angesiedelt hat, folgt nach der Pause die Gegenwelt von Christines weißem Zimmer, das mit einem Kindersesselchen, Büchern und Fotografien ausgestattet ist. Der Fensterrahmen zeigt nun in die andere Richtung. Auch Christines Vater (David Sibley) repräsentiert den Typus des „Aufrichtigen“, „Echten“: Liebevoll beschenkt er die Tochter mit einem einfachen Fliederbuschen, während das Vokabular der Dandys wahllos berauscht. Aus der Ferne hört man Grillen zirpen, der Blick auf den Kahlenberg imaginiert eine heile Welt. In diese bricht nun die biedere Nachbarin Katharina (Hayley Carmichael) ein, Symbol des verlogenen Anstandes, in dem allein die Regeln der kleinbürgerlichen Kontrolle behauptet werden. Als gequälte, auf das Glück anderer neidische Strumpfmachergattin bringt sie jenes Reglement von falschem Benimmverständnis ins Christines Welt – so wie im ersten Teil der gehörnte Ehemann, der lieber im Duell sein Leben lässt als seine Ehre zu verlieren.

Bei Harrower/Bondy zerstört nicht die dekadente Welt des Überdrusses die Liebe/das Leben, sondern kleingeistige gesellschaftliche Regelsysteme. Bondy zeichnet nicht die Psychologie der Figuren, sondern zeigt die Destruktivität eines sinnentleerten Wertesystems, in dem gesellschaftliche Kontrolle mehr bedeutet als Humanität.

In der ästhetisch homogenen Inszenierung gelingt Bondy eine klare, starke Produktion, auch wenn der zweite Teil das Ende zu lange zelebriert. Das verstärkt das pathetische Spiel der Männer, das der Leichtigkeit und Echtheit der Schauspielerinnen beklemmend gegenübersteht. In der Schnitzler-Stadt Wien scheint das Publikum den entschlackten, britischen Zugang jedoch nicht besonders zu goutieren.

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