"Entwurzelung als Chance begriffen"

Werbung
Werbung
Werbung

Die Diskussionen über Multikulturalität und Migration beherrschen Verallgemeinerungen und Vergröberungen, die aufzubrechen der Schriftsteller Ilija Trojanow auch als seine Aufgabe sieht. Im Gespräch mit der furche erzählt er unter anderem von seinen Erfahrungen in Südafrika.

Die Furche: In ihrem Buch über Flüchtlinge "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" geht es um Heimatlosigkeit, andererseits darum, überall auf der ganzen Welt daheim sein zu können. Was bedeutet "Heimat" für Sie?

Ilija Trojanow: Wenn es eine Sache gibt, über die ich zufrieden in meinem Leben bin, dann ist es, dass ich Entwurzelung immer als Chance begriffen habe. Der Weg, den ich beschritten habe, hängt unweigerlich damit zusammen, dass ich mich in mehreren Sprachen heimisch fühle. Diese Beheimatung in Sprachen erlaubt mir, an verschiedenen Orten und Regionen zu Hause zu sein. Sprachkompetenz ermächtigt den Einzelnen. Eines der größten Verbrechen, dass an den sogenannten Ausländern begangen wurde, ist, dass sich die Gesellschaft zu wenig Mühe macht, sie der Hauptsprache zuzuführen. Das ist zum Beispiel in Deutschland jahrzehntelang überhaupt nicht geschehen. Ich denke, viele Probleme rühren daher.

Die Furche: Sie beschreiben Flucht als den Beginn von etwas Neuem, als Flucht vor etwas, das nicht unbedingt immer so schlimm gewesen sein muss ...

Trojanow: Als Kind habe ich die Flucht als großes Abenteuer gesehen. Aber einer der Gründe, warum ich dieses Buch über Flüchtlinge geschrieben habe, war, weil ich es leid war, dass die Migrationsfrage immer so als große Tragödie mit viel Problematik aufgeladen wird. Das entspricht nicht der Realität. Viele Migranten sind im Nachhinein sehr froh, einen neuen Lebensweg für sich eingeschlagen haben. Die Nostalgie des Exils, die Dichter gerne besingen, dominiert sehr stark im literarischen Diskurs.

Ich wollte eine Geschichte schreiben, die damit etwas realistischer umgeht, obwohl die Flucht natürlich kein Honigschlecken ist. Flüchtlingsschicksale unterscheiden sich sehr stark. Wogegen ich ankämpfe, sind die Verallgemeinerungen, die ja immer wieder passieren. Es gibt ein bestimmtes Bild vom Flüchtling, vom Asylsuchenden, dabei sind das unglaublich verschiedene Leute, mit ganz verschiedenem Hintergrund. Der öffentliche Diskurs läuft sehr stark über Verallgemeinerungen und Vergröberungen.

Die Furche: In den Diskussionen um die interkulturelle Gesellschaft fallen Schlagworte wie Hybridität und Vermischung. Dabei wird dann aber auch darauf hingewiesen, dass sich nur Menschen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln Reisen und Leben in verschiedenen Kontinenten leisten können und alle anderen daher von diesen Formen der Multikulturalität ausgeschlossen wären ...

Trojanow: Das ist ein völliger Blödsinn, denn es ist so, dass gerade in armen Gesellschaften sehr viel Hybridität vorherrscht. Der "normale" Afrikaner ist mehrsprachig. Ein Kenianer spricht zum Beispiel neben seiner Muttersprache Gikuyu auch noch Kisuaheli, Englisch und ein paar Brocken Kamba. Weil es in armen Gesellschaften einen starken Austausch gibt, über Elemente wie Märkte oder Pilgerreisen, sind die Menschen gezwungen, mehrsprachig und dadurch multikulturell zu funktionieren. Indien wäre auch ein gutes Beispiel. Gerade die einfachen Leute sind überhaupt nicht monokulturell.

Es ist eine Fiktion des Nationalstaates, dass es eine homogene Identität gibt. Die hat es nie gegeben. Es gab immer eine fragmentarisierte Identität, die sich aus einer Vielzahl von lokalen, persönlichen, familiären, regionalen, kastenbezogenen, schichtbezogenen Einflüssen speist. Der Nationalstaat musste natürlich die Fiktion einer gemeinsamen Identität konstruieren, weil für den Nationalstaat die Menschen Untertanen oder Bürger sind - während die Identität der Menschen, selbst in einem Land wie Deutschland, viel komplexer ist. Hybridität ist eine Grunderfahrung in jeder Gesellschaft.

Die Furche: Was interessiert Sie da am meisten?

Trojanow: Was mich am meisten interessiert, ist das, was ich als Konfluenz bezeichne. Ich glaube, dass das Klassische oder das Homogene eigentlich die Folge einer Hybridität ist, die wir vergessen haben. Oder die uns vergessen gemacht wurde. Eigentlich speist sich für mich jede kulturelle Kreativität und Dynamik aus dem Hybriden. Sonst gäbe es keinen kulturellen Fortschritt. Was wir als unsere westliche Tradition bezeichnen, gerade jetzt im so genannten "Kampf der Zivilisationen", ist nicht so klar westlich, wenn man genau hinschaut.

Da gibt es islamische, persische, jüdische Einflüsse. Die Vereinnahmung der Antike als westeuropäisch ist extrem dubios. Viele der großen Städte mit bedeutenden Philosophen befanden sich in der Türkei - und die damals dominante Kultur war die persische. Persien war ein Riesenreich und dominierte die heutige Türkei. Pythagoras ist berühmt geworden, weil er die Sonnenfinsternis voraus sagte - doch das mathematische Verfahren existierte bereits am persischen Hof. Dieser Bereich, den wir Vorderasien nennen, war damals extrem transkulturell.

Das heißt, wenn man wirklich ein historisches Verständnis hat, ist es lachhaft, sich momentanen Unterschieden zu sehr verpflichtet zu fühlen. Was momentan ein Unterschied ist, zwischen Kulturen oder Regionen, beruht auf der Zufälligkeit des Moments. Hundert Jahre früher oder später ist es wieder ganz anders.

Die Furche: Wieso werden in der südafrikanischen Literatur gerade so viele Identitätsgeschichten zum Thema Familie oder Kindheit geschrieben? Bedeutet das, dass die Zeit der politischen Literatur vorbei ist?

Trojanow: Während der Apartheid und des Kampfes war die Literatur ja oft eine Nutzliteratur und das Politische die Firnis, die alles überlagert hat. Jetzt sucht man das Politische dort auf, wo es entsteht, nämlich in den Familien, in den kleinen sozialen Ungerechtigkeiten. In der unglaublichen Misshandlung der Frauen in Südafrika. In vielen Geschichten geht es darum, wie die Ungerechtigkeiten des Regimes zu einer Brutalisierung der Menschen geführt haben.

Die Furche: Wie erleben Sie Südafrika heute - gerade was das Zusammenleben von "Farbigen" und "Weißen" betrifft?

Trojanow: Was mich 2003, als ich nach Südafrika umzog, faszinierte, war die Cultural Diversity. Die lässt mich aber auch ein bisschen enttäuscht wieder gehen. Als Außenseiter hat man große Probleme, denn die verschiedenen segregierten Gruppen in Kapstadt leben verschlossen. Im Alltag muss man einen ziemlich großen Aufwand betreiben, um so genannte Schwarze oder Farbige kennen zu lernen.

Sehr enttäuscht hat mich auch die Einstellung vieler weißer Südafrikaner, die das Gefühl haben - und das ist die negative Kehrseite des friedlichen Überganges - es ist alles gut gegangen, das haben wir hingekriegt und jetzt können wir uns entspannen. Da herrscht ein eklatanter Mangel an einem verantwortungsvollen Gefühl vor, dass jeder einzelne von ihnen etwas beitragen muss zu einer wirklich kulturell und religiös vielfältigen Gesellschaft. Es gibt viel Ignoranz. Man trifft etwa kaum Weiße, die eine afrikanische Sprache gelernt haben.

Das Gespräch führte Kerstin Kellermann.

Mit Fabulierlust und Anschaulichkeit

Mit seinem umfangreichen Roman "Der Weltensammler" erregte Ilija Trojanow in diesem Frühjahr großes Aufsehen. "Ilija Trojanows Roman über den britischen Spion, Diplomaten und Entdeckungsreisenden Richard Francis Burton ist eine ebenso spannende wie tiefgründige Annäherung an eine der schillerndsten Gestalten des neunzehnten Jahrhunderts. Mit orientalisch-sinnlicher Fabulierlust und großer Anschaulichkeit erzählt der Roman vom Reiz und vom Abenteuer des Fremden und spiegelt so in einer faszinierenden historischen Gestalt die drängenden Fragen unserer Gegenwart." So begründete die Jury ihre Entscheidung, Trojanow den Preis der Leipziger Buchmesse 2006 in der Kategorie Belletristik zu verleihen. Von Indien über Mekka bis Tansania reicht der Lebensbogen, den Trojanow in seinem Roman ebenso fantasievoll wie augenzwinkernd erzählt. Die Orte und Regionen hat er selbst bereist. Denn Ilija Trojanow ist selbst ein Weltensammler. 1965 in Sofia geboren, kam er 1971 mit seinen Eltern nach Deutschland, wuchs dann aber in Kenia auf. In München studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie und gründete zwei Verlage. 1999 zog der Schriftsteller nach Bombay, Indien, 2003 nach Kapstadt.

Buchtipp:

Der Weltensammler

Roman von Ilija Trojanow

Hanser Verlag, München 2006

473 Seiten, geb., e 25,60

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung