Erfolgsstory gegen die Armut

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Die Grameen Bank in Bangladesch gilt weltweit als Modellprojekt für Kleinkreditprogramme.

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Die Grameen Bank in Bangladesch gilt weltweit als Modellprojekt für Kleinkreditprogramme.

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Bevor ich mir die Nähmaschine kaufen konnte, habe ich von früh bis spät für andere Leute Stickarbeiten gemacht. Aber das Geld hat hinten und vorne nicht gereicht. Wir konnten nie genug zu Essen kaufen, hatten keine Medikamente, wenn die Kinder krank waren, und an eine Schulausbildung war für sie nicht zu denken." Stolz zeigt mir die 35jährige Rahima ihr Häuschen. Deutet auf das neue glänzende Dach aus Wellblech, das nicht mehr nach jedem Monsun erneuert werden muß, wie das alte Dach aus Schilf. Führt mir den Ventilator vor und ihren kleinen Fernseher, der Bilder aus aller Welt in ihr kleines Dorf Gorati bringt. Das Dorf wirkt idyllisch: Nackte Kinder spielen vergnügt am Fluß, und die Häuser sind umgeben von Palmen und hohen Bäumen. Die Idylle trügt. Hinter dem reichen, tropischen Grün lebt die Armut. 80 Prozent der 120 Millionen Bangladeschis leben auf dem Land, über die Hälfte davon unter der Armutsgrenze.

Rahima hat in den sieben Jahren seit ihrem ersten Kredit die Armut hinter sich gelassen. Von den 3.000 Taka (etwa 800 Schilling) kaufte sie eine Nähmaschine und Stoff. Sie näht Sariblusen und Kinderkleidung. Nach einem Jahr war der Kredit samt den marktüblichen Zinsen zurückgezahlt. Mit weiteren Krediten konnte sie nach und nach ihr Haus einrichten und das Dach neu decken.

Den Kredit, der sie von ihrer Armut befreit hat, erhielt Rahima von der Grameen Bank. "Grameen Bank" heißt auf bengali soviel wie "Dorfbank". Und genau das ist sie. Eine Bank, die in 34.000 Dörfern über 2,1 Millionen Sparer hat. Sparerinnen vielmehr, denn nur 120.000 davon sind Männer, die restlichen 2 Millionen sind Frauen. Damit ist die Grameen Bank die größte Bank in Bangladesch. Insgesamt wurden seit ihrer Gründung mehr als zwei Milliarden Dollar Kredite ausgegeben. Begonnen hat diese Erfolgsstory vor 20 Jahren, mit lächerlichen 27 Dollar, erinnert sich Professor Mohammed Yunus, Gründer und Direktor der Grameen Bank.

Ein Dollar zu wenig Im Dorf neben der Universität litten die Menschen zu Beginn der 70er Jahre bittere Armut. Da machte sich der Ökonomieprofessor eine Liste von den Leuten, die Geld brauchten. "Auf meiner Liste standen 42 Menschen, und die Gesamtsumme, die sie benötigten, betrug 27 Dollar. Ich war wirklich geschockt. Wir reden immer über Millionenbeträge, dabei leben nebenan Menschen, die an Armut leiden, nur weil ihnen ein Dollar oder weniger fehlt."

Ein Frau stellte beispielsweise sehr schöne Bambusstühle her, aber sie hatte nie genug Geld, das Rohmaterial zu kaufen. Sie nahm es vom Bambushändler auf Kredit, und ihm verkaufte sie auch die fertigen Stühle. Der zahlte ihr aber kaum mehr als die Materialkosten, und so arbeitete sie jeden Tag viele Stunden und verdiente fast nichts dabei. Wie diese Frau waren die meisten der 42 Menschen in den Fängen von Geldverleihern, die ihre Armut ausnützten. Mohammed Yunus gab ihnen die 27 Dollar aus eigener Tasche und war überwältigt von der Freude und dem Glück, das er damit auslöste. Schon nach kurzer Zeit konnten ihm die Menschen den Kredit zurückzahlen.

In den folgenden Jahren versuchte Professor Yunus die verschiedensten Banker davon zu überzeugen, daß sie den Armen Kredite geben. "Nicht kreditwürdig!" lautete überall die Antwort. Arme, Analphabeten, womöglich noch Frauen sind im Bankensystem einfach nicht vorgesehen. Schließlich hatte er es satt, den Bankern hinterherzulaufen und gründete 1983 die Grameen Bank.

Kundendienst 40 Frauen in bunten Saris und mit funkelndem Nasenschmuck sitzen dicht gedrängt auf Bambusmatten in dem kleinen Haus der Grameen Bank. Wie jeden Montag treffen sich alle Kundinnen aus Gorati im Dorfzentrum der Grameen Bank. Sie müssen keine langen Wege oder bürokratischen Prozeduren auf sich nehmen. Mitarbeiter der Bank kommen in alle Dörfer, und das Verfahren ist so einfach, daß es selbst für die vielen Analphabeten kein Problem darstellt. Nur den eigenen Namen müssen sie schreiben lernen. Gemüseanbau, Tierzucht, ein kleines Geschäft, Strohflechten, Nähen, Weben - je nach Interesse und Begabung suchen sich die Frauen ihre Verdienstmöglichkeiten.

98 Prozent beträgt die Rückzahlungsquote der Grameen Bank, davon können andere Banken nur träumen. Das Erfolgsgeheimnis liegt in der Solidarität von jeweils fünf Frauen, die eine Spargruppe bilden. Bei der Kreditvergabe bekommen zunächst nur zwei Frauen das Geld ausbezahlt. Wenn sie sechs Wochen lang ihre Raten vereinbarungsgemäß zurückzahlen, sind die nächsten beiden Frauen dran, und nach einer weiteren Frist bekommt auch die letzte ihr Geld. Da die ganze Gruppe davon betroffen ist, wenn eine Frau der Rückzahlung nicht nachkommen kann, bemühen sich die anderen gemeinsam ihr zu helfen. Manchmal genügt etwas Unterstützung durch die anderen Frauen, manchmal bekommt sie einen neuen Kredit.

Die Hälfte der Frauen schafft es, nach rund acht Jahren die Armutsgrenze zu überwinden, weitere 27 Prozent gelangen in diesem Zeitraum bis an die Armutsgrenze. Daß heute 94 Prozent der Mitglieder der Bank Frauen sind, war ursprünglich nicht beabsichtigt. Es hat sich aber gezeigt, daß die Frauen wesentlich besser und verantwortungsvoller mit dem Geld umgehen. Sie denken mehr an das Wohl der ganzen Familie und investieren das Geld sinnvoller. Die Männer haben es häufig nur für kurzfristigen Konsum ausgegeben. Heute werden die Kredite fast ausschließlich Frauen gewährt. Die Frauen sind aber nicht nur die Schuldner der Bank, sondern auch die Eigentümer. Wenn die Ersparnisse des Gruppenfonds einen bestimmten Betrag erreicht haben, kauft die Gruppe für jede der fünf Frauen eine Aktie. 95 Prozent der Bank gehören den Sparern, die restlichen 5 Prozent hält die Regierung.

Applaus der Weltbank Der anfängliche Finanzbedarf war nur mit Hilfe aus dem Ausland zu decken. Doch 1995 hat sich die Bank durch Ausgabe von Obligationen 150 Millionen Dollar auf dem Geldmarkt beschafft und ist seitdem unabhängig.

Auch die Weltbank hat mittlerweile erkannt, daß Mikrokredite ein höchst effizientes Mittel zur Armutsbekämpfung sind. Professor Yunus, als Leiter des bisher weltweit erfolgreichsten Projekts, hat vor einem Jahr den ersten Mikrokredit-Gipfel in Washington eröffnet. Bis zum Jahr 2005 soll 100 Millionen armen Familien ein Kredit zur Verfügung stehen.

Die Grameen Bank hat auch ein eigenes Krankenkassensystem aufgebaut. Für die Armen in Bangladesch war so etwas bisher undenkbar. Vor allem aber fördert sie das Selbstbewußtsein und die Eigeninitiative der Frauen.

Professor Yunus will den Dörfern noch weitere Entwicklungschancen bieten. "Wir wollen Mobiltelephone im ganzen Land verbreiten, denn bisher hat Bangladesch kein gutes Telefonsystem. In jedem Dorf wird eine der Grameen-Bank-Kundinnen die Telefon-Lady. Sie bekommt das Telefon von der Bank finanziert und rechnet dann die Gespräche mit den Dorfleuten ab. Auf diese Weise hat sie ihr Einkommen und das Dorf ein Telefon." In den Dörfern um die Hauptstadt Dhaka haben die ersten Telefon-Ladies im März 1997 die Arbeit aufgenommen.

In vier Jahren, so hofft Yunus, wird das Netz von "Grameen Phone" in ganz Bangladesch ausgebaut sein. Auch "Grameencyber Net", ein Internetunternehmen hat die Arbeit aufgenommen. "Das wird den Menschen die Möglichkeit bieten, in den Dörfern zu bleiben und gleichzeitig für Unternehmen in den Städten zu arbeiten. Dateneingabe, Datenmanagement und Sekretariatsaufgaben können von den Dörfern aus erledigt werden."

Große Pläne schmiedet Professor Yunus auch für die Stromerzeugung. Schließlich brauchen die Computer in den Dörfern Strom. Dazu sollen dezentrale Photovoltaikanlagen errichtet werden. "Grameen Shakti" ("Dorfenergie") heißt das Unternehmen, das bereits Pilotprojekte errichtet hat.

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