Erfüllt leben trotz Loser-Image

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Ein melancholischer Heizungsableser sucht in Radek Knapps jüngstem Roman "Der Gipfeldieb" nach Zufriedenheit - in einem Leben voll Skurrilem und Absurdem.

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Ein melancholischer Heizungsableser sucht in Radek Knapps jüngstem Roman "Der Gipfeldieb" nach Zufriedenheit - in einem Leben voll Skurrilem und Absurdem.

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Vögel sind zum Fliegen da, Autos zum Fahren, Bücher zum Lesen", meinte Radek Knapp in einem Interview, aber auch: "Es geht darum, dass sich hinter jeder Geschichte eine zweite Geschichte befindet. Und dahinter noch eine." Diese beiden Pole umschreiben auch ein Rezeptionsproblem seit Knapps Debüt "Franio" (1996) und seinem Erfolgsroman "Herrn Kukas Empfehlungen" (1999). Wer mit leichtfüßiger Groteskkomik nichts anfangen kann, ist rasch mit dem Urteil: "Gelesen und zu leicht befunden" bei der Hand; Kritiker, die zu immer wieder bemühten Adjektiven wie "listig, lustig, vergnüglich, launig, pfiffig" greifen, übersehen leicht die Tiefenschärfe von Knapps Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft. Das Wording der Verlagswerbung ist in dieser Frage nicht immer hilfreich. Knapps neues Buch "Der Gipfeldieb" sei ein "listiger Roman über Menschenkenner und Frauenhelden", heißt es da, doch über diese beiden Typen lässt sich im Buch nicht sehr viel bis gar nichts finden.

Vielmehr stellt Knapps Roman eine zentrale aber wenig spektakuläre Frage: Wie kann man in einer Gesellschaft, in der das "Schöner-Schneller-Größer-Reicher" alle Lebensbereiche durchdrungen hat, einen Schritt zurücktreten und trotz Loser-Image ein erfülltes Leben führen? Und wie kann man in einer Gesellschaft, in der alles psychologisiert wird, eine andere Form von "Hausputz" halten?

Einbürgerung und Einberufung

Im Fall Ludwik Wiewurkas liegt die Altlast in der ,Entführung' durch seine Mutter, die ihn 12-jährig aus dem Kindheitsparadies im polnischen Großelternhaus in die Realität eines Ausländerkindes in Wien katapultierte. Das hat er seiner Mutter nie verziehen und wohl auch nicht die vielen - für sie wie für ihn - wenig glückreichen Paarbildungsversuche in der neuen Heimat. Nun ist Ludwik nach einer langen Kette dubioser Jobs als Heizungsableser in einem Gemeindebau-Rayon gut gelandet und fühlt sich wohl. Er beginnt sich für die Eigenarten der Wohnungen und ihrer Mieter zu interessieren und begegnet so manchem Original wie dem titelgebenden "Gipfeldieb".

Da bricht erneut seine Mutter in sein Leben ein - unschuldig irgendwie. Der Antrag auf Naturalisierung, den sie vor vielen Jahren für ihren damals noch unmündigen Sohn gestellt hat, wird endlich positiv beschieden. Der Zeitpunkt scheint nicht ganz zufällig. Wenige Wochen nach der erlangten Staatsbürgerschaft flattert Ludwik der Einberufungsbefehl ins Haus, just ein paar Monate vor seinem 35. Geburtstag. Zwar scheitert er mit seinem Versuch, auf Untauglichkeit zu spielen, aber immerhin wird das drohende Unheil zu einem Zivildienst im Altenheim "Weiße Tulpe" in Wien-Döbling abgemildert.

Ein Zuhause finden

Das 'Exterritoriale' des Ambientes - Verfall, Demenz und Tod prägen auch noble Etablissements dieser Art - entspricht Ludwik durchaus. Beinahe ist er versucht, den Vorschlag des alten, dem Sliwowitz zuneigenden Dr. Ring anzunehmen und dem Haus als Pfleger treu zu bleiben, denn draußen, so der alte Herr, "läuft bereits ein neuer Menschenschlag herum, der ihnen bestenfalls bei der Erstellung ihres Internetprofils helfen kann. Aber bestimmt nicht dabei, ein Zuhause zu finden." Ring hatte Ludwik bei Dienstantritt mit einem Auto verglichen, das zu früh aus der Garage gefahren ist. Doch Ludwik kommt sich "eher vor wie eine trübe Suppe, die ein paar betrunkene Köche gekocht haben", nun aber will er das Würzen und Salzen selbst in die Hand nehmen.

"Der Gipfeldieb" ist ein leiser Roman voller Wachheit für die Skurrilitäten und Abgründe des Lebens. "Niemand maß heute den Hindernissen dieselbe Bedeutung zu, wie Odysseus es noch getan hatte", denkt Ludwik, als er im Theater ein Odysseus-Stück sieht - wie alle mit ihm Naturalisierten hat er zur Verleihung der Staatsbürgerschaft Freikarten dafür bekommen. Heute gibt es nur mehr "alltägliche Probleme, die gelöst werden mussten" und keinen Lohn der Götter, höchstens "eine Gehaltserhöhung".

Es gibt eben keine Götter mehr, die uns das Leben schwer machen. Das erledigen wir alles selber. "Kein Wunder, dass alle so mürbe waren. Wenn man alles selber macht, dreht man früher oder später durch."

Der Gipfeldieb

Roman von Radek Knapp

Piper 2015, 208 S., geb., € 20,60

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