Erholungslandschaft in der Großstadt

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Der Wienfluß, derzeit ein unattraktives Gerinne zwischen Stein- und Betonwänden, soll renaturiert und zum Erholungsraum in der Großstadt umgestaltet werden.

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Der Wienfluß, derzeit ein unattraktives Gerinne zwischen Stein- und Betonwänden, soll renaturiert und zum Erholungsraum in der Großstadt umgestaltet werden.

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Vedunia", Waldbach, nannten die Kelten das muntere kleine Flüßchen, nach dem sie eine ihrer Siedlungen benannten. So hieß es auch noch bei den slawischen Stämmen, die nach dem Untergang des römischen Reiches eingewandert waren. Daraus wurde später "Wenia", dann "Wienne" oder "Vienne". Heute kennen wir das Gewässer als Wienfluß.

Aus der kleinen Siedlung namens Wien wurde in den zwei Jahrtausenden eine Millionenstadt, und auch der unberührte Fluß von damals hat sein Erscheinungsbild radikal gewandelt. Noch bis ins späte 19. Jahrhundert prägte eine romantische Aulandschaft, die außerhalb des heutigen Gürtels bis zu 285 Meter breit war, das Wiental. Allerdings konnte der meistens beschauliche Fluß auch innerhalb weniger Stunden auf das Zweitausendfache seiner normalen Wassermenge anschwellen. Verheerende Überschwemmungen bedrohten die ständig wachsende Stadt in immer größerem Ausmaß. 1830 bewirkte der Rückstau der Abwasserkanäle sogar eine Choleraepidemie.

Nach den ersten Regulierungsmaßnahmen (1814 bis 1817) von Schönbrunn bis zum Stubentor kam es im Gefolge dieser Seuche zwischen 1831 und 1839 zum Bau der Wienflußsammelkanäle, die aber wegen der unzureichenden Dimensionierung zu keiner dauerhaften Verbesserung der Situation führten. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts entschloß man sich zur Planung einer umfassenden Wienflußregulierung und der Stadtbahntrasse. Ganz im Stil der Zeit sollte im Rahmen der sogenannten zweiten Stadterweiterung eine "feindliche" Natur mit den damals modernsten Mitteln der Technik besiegt werden.

Die Natur zähmen So entstanden zwischen 1895 und 1899 die Hochwasserrückhaltebecken in Weidlingau, ein künstliches Flußbett mit Sohle- und Uferbefestigung von Mariabrunn bis zur Mündung in den Donaukanal und die zwei Wienflußsammelkanäle: der rund 15 Kilometer lange linke Sammelkanal ab Purkersdorf und der etwa 12,5 Kilometer lange rechte Sammelkanal ab Hacking.

Ursprünglich war geplant, das innere Wiental ab dem Gaudenzdorfer Knoten zu überdecken. Auf der Abdeckung sollte der Kaiserboulevard nach Schönbrunn entstehen, eine Prachtstraße, die selbst die Champs-Elysees übertreffen sollte. Der Erste Weltkrieg setzte diesem Vorhaben ein Ende. Heute erinnern daran lediglich ein paar Prunk- und Repräsentationsbauten, eine Kulisse für den Naschmarkt, der auf das kurze tatsächlich ausgeführte Stück der Abdeckung verlegt wurde.

Mittlerweile bedürfen Teile der 165 Jahre alten Wiental-Bauwerke umfangreicher Reparaturen. Dieser Umstand und die Tatsache, daß durch die Ausdehnung der Siedlungsgebiete und die damit einhergehende Bodenversiegelung sich die Abflußverhältnisse im Einzugsgebiet der Wiengrundlegend geändert haben, führte dazu, die Wienflußanlagen wieder einmal zu überdenken.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von den Stadtplanern die "totale" Stadt angestrebt. Der Fluß in der Stadt sollte verschwinden, die so gewonnene Fläche könnte man dann anderweitig nutzen. Moderne Stadtplanung sieht im Gegenteil dazu die Betonung natürlicher Strukturen vor.

"Bereits im 1984 beschlossenen Stadtentwicklungsplan wird das Wiental als wichtige Grünverbindung angeführt. Die in der Folge vom Wiener Gemeinderat eingesetzte Gürtelkommission empfahl 1988 im Zusammenhang mit der Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme im Bereich von Gürtel, Süd- und Westeinfahrt die Erhaltung des offenen Talcharakters der Wien und die Gestaltung des Flußraumes als erlebbaren und begehbaren Freizeitraum." So liest man es in einer 1996 erschienenen Broschüre der Magistratsabteilung 45 - Gruppe Schutzwasserbau.

Für die Wien bedeutet das eine Renaturierung sowie die Befreiung vom Beton- und Steinkorsett. Der Fluß und seine Ufer sollen natürlich gestaltet und direkt am Ufer sollen Fuß- und Radwege von der Innenstadt bis zum Wienerwald angelegt werden - ohne mit dem Autoverkehr in Kontakt zu kommen. Bis es allerdings so weit ist, daß das Wiental als hochwertiges Naherholungsgebiet fungiert, muß der Hochwasserschutz, bisherige Hauptaufgabe der Wienflußanlagen, umgebaut werden.

Heute sind die beiden Wientalsammelkanäle an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Ursprünglich von ausreichender Kapazität, führen dieser Tage selbst geringe Niederschläge zu ihrem Überlaufen. Dann wird eine Mischung aus Abwasser und Niederschlag über den Fluß abgeführt. Dadurch rinnen im Jahresschnitt 77 Prozent der Schmutzfracht an der Kläranlage vorbei.

Weil die Wien im Jahresmittel wesentlich weniger Wasser führt als Abwässer eingeleitet werden, muß sie als mäßig bis stark belastetes Fließgewässer gelten, mit auffällig hohen Nährstoffkonzentrationen. Um die festgestellten Werte für organische Verunreinigungen, die kritische Werte für Fische erreichen, auf ein vertretbares Maß zu senken, fordert der Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds, daß zumindest 80 Prozent der Belastungen der Kläranlage zuzuführen sind.

Vom Beton befreien Um das zu erreichen, werden zum einen die Rückhaltebecken in Auhof umgebaut, zum anderen wird ab der Bräuhausbrücke in Hütteldorf ein Wientalsammler-Entlastungskanal angelegt. Das Hochwasserretentionssystem erfährt durch Einbeziehung des Wienerwaldsees eine wesentliche Kapazitätserhöhung. Gleichzeitig wird die Gesamtanlage flexibler und steuerbarer gemacht.

Brauchte man die Rückhalteanlagen bisher nur bei großen Ereignissen, zuletzt im April 1951 bei einem Hochwasser mit einer über 70jährlichen Eintrittswahrscheinlichkeit, ermöglicht der von einem zentralen Computer gesteuerte regulierbare Betrieb den Ausgleich der alle zwei bis fünf Jahre auftretenden kleineren Hochwasser.

Der Umbau ermöglicht es, den Fluß durch die Rückhaltebecken zu führen, - infolge der Dynamik des Fließwassers entwickelt sich das zufällig entstandene "Feuchtbiotop aus zweiter Hand" zu einer echten Aulandschaft, wie sie bereits vor der Regulierung bestanden hat. Auch im Wiental innerhalb der Stadtgrenzen kommt es zu einer umfassenden Aufwertung. Zur Zeit ist der Fluß eine armselige Betonrinne, die schwer als natürliches Gewässer wahrgenommen werden kann und die zudem durch die parallel geführten Straßen- und U-Bahntrassen schwer zugänglich ist. Der neue Wientalsammelkanal mit der ungefähr 14fachen Aufnahmekapazität der beiden alten Kanäle ist, anders als diese, geschlossen gebaut. Wienflußwasser und Mischwasser sind vollkommen getrennt.

Ein Erholungsraum Der Sammelkanal wird am linken Ufer gebaut, um einen leichten Zugang zu den Wegen für Radfahrer und Fußgänger zu ermöglichen, die auf der Abdeckung angelegt werden sollen. Durch den ökologischen Rückbau des Flußbettes entsteht ein wertvoller Naturraum mitten in der Stadt. Besonders im Wiental innerhalb des Gürtels - der fünfte Bezirk etwa ist das dichtest besiedelte Gebiet Österreichs - wo nur wenige und kleine Grünflächen vorhanden sind, bedeutet dieser Umbau eine wesentliche Aufwertung des Lebensraumes. Heute ist es für Wientalanrainer ohne eine längere Anfahrt mit dem Auto oder einem öffentlichen Verkehrsmittel nehezu unmöglich, einen ausgedehnten Spaziergang zu unternehmen oder einfach nur im Grünen zu sitzen.

Der Umbau schafft nicht nur diese Möglichkeit in unmittelbarer Umgebung, die hochwertige Verbindungsachse für Fußgänger und Radfahrer wird auch zahlreiche Grünanlagen in der Stadt miteinander verbinden: den Auer-Welsbach-Park oder Schönbrunn ebenso wie die großen Grünräume im Westen Wiens, etwa den Lainzer Tiergarten, das Mauerbachtal oder den nördlichen Wienerwald. Wien wird nicht mehr nur an der Donau liegen, sondern auch an dem kleinen Waldbach, dem es seinen Namen verdankt. Durch den in Wien meist herrschenden Westwind ist das Wiental die wichtigste Frischluftschneise der Stadt. Der Grünkeil, der durch die Neugestaltung entstehen wird, läßt Verbesserungen der Luftgüte erwarten, die Lungen vieler Stadtbewohner werden aufatmen.

"Der neue Wienfluß" soll Natur und Technik in Einklang bringen, heißt es in der oben zitierten Broschüre der MA 45. Die in Auhof angelegte Versuchsstrecke nahm die Natur innerhalb kürzester Zeit wieder in Besitz. Eine reichhaltige Vegetation stellte sich ein, und es leben im neu geschaffenen Lebensraum neun Fischarten (unter anderen Aitel, Bachschmerle, Bachforelle), wovon sich fünf Spezies mit großer Wahrscheinlichkeit auch fortpflanzen. Nur die Kelten werden wohl nicht mehr zurückkehren ...

Der Autor ist freier furche-Mitarbeiter.

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