Erinnerung an ritualisierte Gewalt

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Der Hungertod von Bobby Sands, der als IRA-Angehöriger hinter Gittern saß, markiert 1981 einen Höhepunkt der Nordirland-Krise. Steve McQueen, Britanniens Kunst-Star, holt in seinem Regieerstling „Hunger“ Sands’ Geschichte in die Gegenwart zurück.

Steve McQueen, Jahrgang 1969, hat sich zunächst als Fotograf und bildender Künstler einen Namen gemacht. Bereits 1999 errang der Brite für seine oftmals minimalistischen Arbeiten den Turner-Prize. „Hunger“, sein Debüt als Filmregisseur, erhielt 2008 die Goldene Kamera für den besten Erstlingsfilm. Nun kommt das IRA-Epos hierzulande ins Kino.

Die Furche: Mr. McQueen, Sie waren elf Jahre alt, als Bobby Sands in Hungerstreik trat. Warum haben Sie seine Geschichte verfilmt?

Steve McQueen: Ich erinnere mich genau an 1981: Mein Fußballteam Tottenham gewann den FA Cup und es gab die Brixton Riots. Und dann war plötzlich ständig das Foto von diesem Bobby Sands in den Nachrichten. Dieses Bild ist in meinem Kopf kleben geblieben. Mich hat damals schon als Kind fasziniert, dass jemand, nur um gehört zu werden, tatsächlich mit dem Essen aufhört – das Hungern als Methode, um eine Änderung der Situation zu erwirken.

Die Furche: Was bedeutet diese Geschichte für heute?

McQueen: Die Erinnerung der Menschen nützt sich ab. Nicht einmal der 25. Jahrestag des Todes von Bobby Sands wurde in den britischen Zeitungen richtig wahrgenommen, man würde diese Geschichte am liebsten unter den Teppich kehren. Aber wie sich die Menschen später erinnern müssen, dass sie jetzt auf die Straße gegangen sind wegen Abu Ghraib und Guantánamo, müssen sie sich auch daran erinnern, was im eigenen Hinterhof passiert ist.

Die Furche: Sie hatten Kontakt zu Mitgefangenen von Bobby Sands. Was hielten sie von Ihrem Projekt?

McQueen: Wenn ich von außen komme und anfange über jemanden zu reden, den sie geliebt haben, dann kommen sie mir natürlich nicht sofort entgegen. Aber ich war sehr ehrlich zu ihnen und hab klargemacht, dass wir nicht daran interessiert sind, Sands als Märtyrer oder Helden hinzustellen, sondern ihn als Mensch porträtieren wollen, der getan hat, was er getan hat. Zugleich war ich auch gegenüber den damaligen Gefängniswärtern sehr direkt, denn die waren auch in Sorge. Das sind zwei Seiten einer Münze, und mir war es sehr wichtig, dass man sich, wenn man den Film sieht, in die Gefangenen ebenso hineinversetzen kann wie in die Wärter. Das mussten beide Seiten verstehen.

Die Furche: Der ganze Film ist formal sehr bedacht konstruiert. Hatten Sie je die Sorge, der Ästhetik zu viel Aufmerksamkeit zu schenken?

McQueen: Nein. Die europäische Kunstgeschichte ist voller Bilder von Krieg und Gewalt, etwa von Goya und Velazquez – die wussten schon, wie man Menschen mit einer Horrorszene beschäftigt, die sie nicht sehen wollen. Schauen Sie sich Goya an, seine wunderschönen Bilder von Menschen, die massakriert werden! Das ist keine Wissenschaft: Wenn man will, dass die Leute sich diesen Film bis zum Ende ansehen, dann darf es da keine Wackelkamera geben, keine unscharfen Bilder. Wenn man will, dass sie sich etwas ansehen, was eigentlich schrecklich anzusehen ist, dann muss das Bild stimulierend sein, auch wenn sie sich die Augen zuhalten wollen.

Die Furche: Trotzdem : Es sind aber schon bei der Premiere einige Leute aus dem Kino gegangen, weil sie die Gewalt nicht ertragen haben. Nehmen Sie das in Kauf?

McQueen: Wenn jemand damit nicht umgehen kann, muss er eben gehen. Das, was jetzt auf der Welt passiert, ist unglücklicherweise noch schlimmer. Wissen Sie, ich gehe davon aus, dass mein Publikum sehr intelligent ist. Ich will ihnen nicht mit dem Löffel Meinungen füttern, ich präsentiere ihnen lieber ein Buffet, und sie wählen selbst aus. Was die Gewalt in diesem Film angeht, ist es eine ritualisierte Gewalt, eine britische Gewalt, ritualisiertes Chaos, mit Struktur.

Die Furche: Was hat Sie bewogen, überhaupt einen Film zu drehen?

McQueen: Ich denke als Künstler, nicht als Filmemacher. Es geht immer um eine Idee, und wenn sich die besser als Skulptur aus Holz umsetzen lässt, wird meine nächste Arbeit eben eine Skulptur sein. Für mich stand am Anfang dieses Films die Überlegung, dass jeder auf der Welt eine Geschichte erzählen kann, das verbindet alle, von Peking bis Papua-Neuguinea. Im Erzählkino gibt es eine festgelegte Form. In der bildenden Kunst versuchen wir immer, eine neue Form zu schaffen, doch nicht jeder ist mit Kunst aufgewachsen. Aber mit Geschichten sind wir alle aufgewachsen, das ist eine universelle Sprache. Deswegen habe ich für diese Idee den Film gewählt.

Hunger

GB 2008. Regie: Steve McQueen. Mit Michael Fassbender, Liam Cunningham. Verleih: Stadtkino. 100 Min.

* Das Gespräch führte Magdalena Miedl

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