Erinnerung -auch an noch offene Wunden

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Anfang Oktober jähren sich zwei die katholische Kirche Österreichs betreffende Ereignisse zum 80. Mal: Am 7. Oktober 1938, nach dem Lavieren der Bischöfe des Landes rund um den "Anschluss", fand im Wiener Stephansdom jene Jugendvesper statt, bei der Kardinal Theodor Innitzer vor tausenden Jugendlichen mit der Zuspitzung "Christus ist unser Führer" predigte. Tags darauf stürmte eine Hundertschaft der Hitlerjugend das Erzbischöfliche Palais und verwüstete es, der Domkurat Johannes Krawarik wurde aus dem Fenster geworfen und schwer verletzt. Am 13. Oktober 1938 organisierte der Wiener Reichskommissär Josef Bürckel eine Massenkundgebung auf dem Heldenplatz, in dem die Kirche und ihre Leitung auf das Wüsteste beschimpft wurden ("Innitzer und Jud -ein Brut" etc.) .

Dem Gedenken an diese Ereignisse widmet sich am 5. Oktober in Wiener Erzbischöflichen Palais ein Symposium. Am 7. Oktober findet in einem Zelt auf dem Stephansplatz eine Marathonkonzertlesung der Erinnerungen des griechischen Mauthausen-Überlebenden Iakovos Kamabenellis statt (vgl. Hinweise am Ende).

Lückenschluss in kirchlicher Zeitgeschichte

Die Ereignisse des 7. Oktober 1938 sind auch ein Ausgangspunkt von Eva Maria Kaisers Buch "Hitlers Jünger und Gottes Hirten". Die auf der Dissertation der ORF-Journalistin fußende Monografie ist umfassend recherchiert und schließt eine Lücke in der kirchlichen Zeitgeschichte Österreichs. Denn über das Verhalten der Bischöfe rund um den "Anschluss" und im Dritten Reich gibt es bereits viele "Erkenntnisse. Wie sich aber Österreichs Hierarchie nach Kriegsende vor allem gegenüber den ehemaligen Nationalsozialisten bzw. den vom NS-Regime Verfolgten verhielt, war bislang kaum Gegenstand einer breiteren Auseinandersetzung.

Nachdem wegen der Kirchenfeindschaft der Nationalsozialisten viele Parteimitglieder aus der Kirche ausgetreten waren, stellte sich nach 1945 die Frage der Wiederaufnahme, wobei sich die Kirche ob der Verfolgung im Dritten Reich als Sieger fühlen durfte. Man erinnert sich auch "säkularer" Parallelen, nach denen unmittelbar nach Kriegsende NS-Verbrechen in den Volksgerichtsprozessen gerichtlich aufgearbeitet wurden, die aber rapide abnahmen, sodass mit dem Staatsvertrag ehemalige NS-Täter gerichtlich kaum mehr belangt wurden.

Kaisers Forschungen in den einzelnen Diözesanarchiven förderten unterschiedliche Umgangsweisen mit den Parteimitgliedern zutage, die von anfänglicher Strenge bei der Wiederaufnahme bis zu großer Laschheit reichten, die eben auch hier mit dem zeitlichen Abstand generell zunahm. Kaiser stellt auch dar, dass die Bischöfe sich in den Nachkriegsjahren mit Hirtenbriefen zu Wort meldeten, in denen aber die Schuld, die Frage des Angriffskriegs oder des Nationalsozialismus nicht oder kaum thematisiert wurden. Vielmehr sei in diesen bischöflichen Äußerungen der Schwerpunkt auf Verzeihen und Versöhnung gelegt.

Aufschlussreich im Band auch das Verhalten Einzelner, etwa des Salzburger Erzbischofs Andreas Rohracher, der in der NS-Zeit als Gegner des Regimes galt, danach sich jedoch als einer der größten Fürsprecher der Ehemaligen entpuppte. Allerdings sucht Kaiser auch den Anschein zu entkräften, die katholische Kirche habe jedem Nazi geholfen -sie listet zahlreiche Beispiele auf, in denen das gerade nicht der Fall war.

Verfolgte Priester -von Bischöfen verlassen?

Als große geschichtliche Wunde bleibt dennoch das Verhalten der Kirchenleitung gegenüber den NS-Verfolgten: Kaiser dokumentiert die Fälle von Priestern, die im KZ waren, und deren Schicksal und Glaubenszeugnis von ihren Bischöfen völlig inadäquat gewürdigt wurde. Einige dieser Priester verfielen darob in große Verbitterung. Kaisers Resümee fällt daher zwiespältig aus: Versöhnungsbereitschaft setze die Einsicht in Schuld und Reue der "Täter" voraus, die es allzuoft nicht gab. Die Versöhnung erfolgte letztlich auf dem Rücken der Opfer, merkt Kaiser kritisch an - und legt damit eine Wunde offen, zu der sich die katholische Kirche bis heute noch kaum geäußert hat.

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