Gelungener Rückblick auf den Staatsvertrag: Die Ausstellungen im Oberen Belvedere und auf der Schallaburg.
Selten noch waren die Unkenrufe vor Beginn eines Projekts lauter: Blanke Regierungspropaganda werden sie sein, die Staatsvertragsausstellungen, eine unkritische Schönfärberei, die Weißwaschung unserer Geschichte. Die Zunft der Zeithistoriker hatte das Staatsvertragsprojekt ins Visier genommen - nicht unfreundlich, aber auf den Zahn fühlen wollte man den Organisatoren schon. Und die machten es - zumindest anfangs - ihren Kritikern recht leicht. Monatelang lag das Ausstellungsprojekt im zuständigen Ministerium "auf Eis", und erst ein Personenkomitee und ein Machtwort des Kanzlers brachten es wieder in Schwung. Dann aber gab es plötzlich statt eines Projekts gleich deren zwei: Die Schallaburg-Ausstellung des niederösterreichischen Landeshauptmanns und die der Bundesregierung im Oberen Belvedere. Wieder befürchtete man Doppelgleisigkeiten und Eifersüchteleien: Welche Ausstellung werde als erste den Staatsvertrag zeigen, welche als zweite? Und - werde man das Moskauer Original überhaupt bekommen?
Konflikte der Vorbereitung
Heute wirken alle diese Konflikte, die quasi prophylaktisch herbeigeredet wurden, lächerlich: Beide Ausstellungen, die auf der Schallaburg und die im Oberen Belvedere, sind hervorragend und ergänzen einander aufs Beste. Beide Teams haben optimal gearbeitet und kooperiert, beide Ausstellungen stoßen auf größtes Besucherinteresse und, so sehr man sich dieses Gefühl als gelernter Österreicher abgewöhnt hat: Auf beide dürfen wir insgeheim ein bisschen stolz sein.
Die Schallaburg-Ausstellung war von Beginn an ein Besuchermagnet: Fast 60.000 Menschen haben sie gesehen, eine für eine zeitgeschichtliche Ausstellung sensationelle Zahl. Erfreulicher aber ist das große Interesse der Jugend: Innerhalb weniger Tage waren die Führungen für Schüler und Schulklassen ausgebucht und mussten aufgestockt werden. Wer spricht da noch von einem "zeitgeschichtlichen Desinteresse" junger Menschen? Die Staatsvertragsausstellung im Oberen Belvedere hat schon in den ersten Tagen über 10.000 Besucherinnen und Besucher angelockt. Auch wenn man nicht auf Zahlen fixiert ist, scheint sie ein großer Erfolg zu werden.
Wie aber erfolgte die Darstellung jener Jahrzehnte, die vielen Österreicherinnen und Österreichern nicht nur in schöner, sondern manchmal auch schmerzlicher Erinnerung sind? Anständig. Unpathetisch. Selbstkritisch dort, wo es angebracht ist. Zurückhaltend, wo es um Erfolge geht. Nachdenklich und nachdenklich machend. Auch hier ist den Ausstellungsorganisatoren Großes gelungen.
Andenken der Opfer
Die Schallaburg beginnt mit einem berührenden Gedenken an die Opfer. Juden, Kriegsgefallene, Widerstandskämpfer, Bombenopfer - sie alle finden sich so gewürdigt wie jene Frauen, die den Einmarsch der Roten Armee nicht als Befreiung empfinden konnten. Die Übergriffe auf die Menschen in den ersten Tagen, die Überlebensschwierigkeiten des Landes in den ersten Monate und Jahren - alles das wird mit einer Fülle eindrucksvoller Dokumente und Ausstellungsstücke gezeigt. Der Grazer Historiker Stefan Karner und sein Team haben Vorzügliches geleistet. Ihre Ausstellung passt sich hervorragend in den nicht unkomplizierten Burg-Grundriss ein, und mit dem Nachbau der Kabine jenes Flugzeugs, mit dem die österreichische Staatsvertragsdelegation nach Moskau geflogen wurde, ist ein besonderes Gustostück gelungen. Originaldokumente, Plakate, Ton- und Filmdokumente, bewegende persönliche Erinnerungsstücke vermitteln ein dichtes Bild der Nachkriegszeit und des mühsamen Wegs zum Staatsvertrag. Ein Ausflug auf die Schallaburg lohnt sich, nicht zuletzt auch wegen der schönen Umgebung. Stefan Karner hat eine Ausstellung geschaffen, die weit über Niederösterreich hinaus weist, die menschlich berührt und bereichert. Für Geschichtsbewusste verleiht seine unübertroffene Kenntnis der Moskauer Archive dieser Ausstellung noch einen besonderen Wert.
Ohne billige Propaganda
Geschichtsbewusstsein spricht auch aus der Ausstellung im Oberen Belvedere. Auch hier war ein hervorragendes Team am Werk. Angeführt wurde es vom langjährigen Direktor des Historischen Museums der Stadt Wien, Günther Düriegl, einem der erfahrensten Ausstellungsorganisatoren des Landes überhaupt. Ihm stand mit Manfried Rauchensteiner, dem Zeithistoriker und (heeresgeschichtlichen) Museums-Direktorenkollegen, ein wissenschaftlicher Vor-Arbeiter zur Seite, dessen Verdienste um das Gedenkjahr nicht hoch genug gewürdigt werden können. Beiden Persönlichkeiten ist es zuzuschreiben, dass die Ausstellung im Oberen Belvedere frei von jeder Selbstgefälligkeit, von Triumphgebärden oder billigen Propagandaeffekten ist. Im Oberen Belvedere beginnt man mit 1918, dunkle Kapitel der jüngeren Geschichte werden ausgeleuchtet, Tragödien so wenig verschwiegen wie manches Mitläufertum, packende Momente glänzen hervor und unwahrscheinliche Erinnerungsstücke stehen für sich: Wer mag es wohl gewesen sein, der jenes Sektglas, das der sowjetische Außenminister Molotow nach den Staatsvertragsverhandlungen, russischer Sitte folgend, hinter sich geschmissen hat, aufhob, bewahrte und die Glasstücke kunstvoll wieder zusammenfügte? Die Ausstellung im Oberen Belvedere setzt Standards: Nicht nur im Bereich der Dokumente, auch im Ausstellungstechnischen. Martin Kohlbauer ist eine eindrucksvolle Architektur gelungen, und die Präsentation der Hauptwerke österreichischer bildender Künstler durch Tobias Natter ist hinreißend. Selten hat man eine besser, klügere, eindrucksvollere Werkschau gesehen - immer eingebettet in geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge. Allein die Kunstwerke, die in der Ausstellung gezeigt werden, machen den Besuch zu einem Muss.
Für ein Haus der Geschichte
Sowohl die Schallaburg-Ausstellung als auch die im Oberen Belvedere sind eine Bestandsaufnahme unserer Geschichte der letzten 90 Jahre. Zusammen genommen bilden sie die ideale Grundlage für eine permanente Österreich-Ausstellung, etwa in einem "Haus der Republik" oder "Haus der Geschichte". Für jeden historisch Interessierten wäre es unendlich schade, wenn diese Ausstellungen in ein paar Monaten einfach abgebaut würden, ohne dass man an eine weitere Verwendung denkt. Selten standen mehr Dokumente, kaum je mehr erfahrene, ideale und über Parteigrenzen hinweg akzeptierte Fachleute zur Verfügung als gerade jetzt. Eigentlich müsste man sie flehentlich bitten, ihr Fachwissen in ein weiteres, größeres, dauerhaftes und österreichweites Projekt einzubringen. Die Chance ist da, die Chance ist einmalig - wird sie die Politik auch ergreifen? Man will es hoffen.
Der Autor war langjähriger Präsident des Stadtschulrates und ist derzeit Restitutsionsbeauftragter der Stadt Wien.
"Österreich ist frei!"
Der österreichische Staatsvertrag 1955
Schloss Schallaburg, 3382 Schallaburg
Tel. 02754/6317
www.oesterreichistfrei.at
Bis 1. 11, Mo-Fr 9-17 Uhr,
Sa, So u. Feiertag 9-18 Uhr
Das neue Österreich
Die Ausstellung zum Staatsvertragsjubiläum 1955/2005
Österreichische Galerie Belvedere,
Prinz Eugen-Str, 27, 1030 Wien
www.belvedere.at
Bis 1. 11. Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr
Das Original des Staatsvertrags ist im Oberen Belvedere bis 27. Mai zu sehen.
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