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Das MUMOK zeigt Video-Arbeiten von Omer Fast, die parallele Geschichten entfalten.

Als lernfähiges Wesen bedient sich der Mensch der Erinnerung. Nicht nur ein klein wenig, sondern in einem exorbitanten Ausmaß, denn als die Merkfähigkeit seiner Ganglien für diese Erinnerung nicht mehr ausreichten, zeichnete der Mensch die wichtigen Dinge auf und erzählte seine Geschichte in dicken Büchern. Dabei ist nicht nur die Quantität ein Problem, noch grundlegender ist die Frage nach der Entstehung von Erinnerung, nach den Möglichkeiten, Erinnerung und Wirklichkeit zusammenbringen zu können.

Den jungen israelischen, jetzt in Berlin lebenden Künstler Omer Fast beschäftigt diese Frage immer wieder in seinen filmischen Arbeiten. War es zunächst die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Reenactment, dem Nachspielen historischer Schlachten auf einer riesigen Freilichtbühne, meist dem Originalschauplatz, so widmet er sich in den beiden nun im Museum Moderner Kunst in Wien gezeigten Filmen der Tagesaktualität.

In der "großen Botschaft" scheinen sich die Gespräche über Verdauungs- und Ausscheidungsproblemen von drei Pärchen aus einem Wohnhaus immer wieder zu überschneiden, um dann doch auseinanderzudriften. Die Erinnerung verfehlt die Gegenwart, vorgeführt von der alten Frau, die davon erzählt, wie ihr Vater im Zweiten Weltkrieg Diamanten gemeinsam mit Pillen schluckte, um letztere zu verstecken. Die Freudenrufe ihrer Mutter, als die Diamanten wieder zum Vorschein kamen, animieren sie noch heute, alle nur möglichen Tabletten zu schlucken, wohl in der Hoffnung, auch einmal einen Diamanten auszuscheiden.

Noch komplexer erzählt Omer Fast in "The Casting" die Geschichte eines amerikanischen Sergeant. Einmal dessen Erlebnisse mit einer jungen Frau in Bayern und dann jene seines Einsatzes im Irak. In einer Doppelprojektion lässt Fast diese beiden Geschichten nebeneinander laufen - zumindest wird man zu dieser Annahme verführt. Denn die Rückseite der Projektionsflächen zeigt den dritten Teil der Geschichte, die Interviewsituation. Aus drei Projektionen und einem durchgehenden Duktus der erzählenden Sprache ergibt sich eine spannungsgeladene Mischkulanz, etwas, das man klassischerweise Erinnerung nennt.

Der Sergeant tritt als Zeuge auf, es ist jener Zeuge, der bereits in den früheren Arbeiten von Fast die Doppelrolle des betrogenen und des betrügenden Zeugen zu spielen hatte. Lapidar erzählt er von seiner bayerischen Liebesgeschichte mit einer jungen Frau, die sich Merkmale der Erinnerung in die Haut ritzt und die Geschwindigkeit liebt. Der rasanten Fahrt auf der Autobahn nach München stellt Fast quasi auf der Gegenfahrbahn die Fahrt im Militärfahrzeug im Irak parallel. Durch eine ferngesteuerte Bombe zum Anhalten gezwungen, gerät der Sergeant in die prekäre Lage, ein herannahendes Zivilfahrzeug zum Anhalten zwingen zu müssen. Aber wie die junge Frau nicht davon abzuhalten ist, die Geschwindigkeit zu drosseln, macht auch der Fahrer auf der Wüstenstraße keine Anstalten stehen zu bleiben.

Geschickt steuert die Geschichte - also beide Geschichten, die mit der jungen Bayerin und die mit seinen Soldatenkollegen - ihrem Höhepunkt zu. Der mutmaßlich feindliche Wagen nähert sich immer bedrohlicher, der Sergeant überlegt gleichzeitig, wohin er schießen soll und warum der Fahrer das ebenso bedrohliche Gewehr nicht bemerkt. Als einer seiner Kollegen auch noch ruft, er solle doch endlich schießen, entschließt er sich, eine Kugel auf die Mitte der Windschutzscheibe abzugeben. Tatsächlich bleibt der Wagen stehen, für einen Moment kehrt Ruhe kehrt ein. Bis eine junge Frau schreiend herausspringt. Schließlich wird klar, dass der Sergeant den jungen Mann, der in der Mitte am Rücksitz saß, getroffen hat. Sofort springt die Geschichte wieder zurück auf die bayerische Autobahn, auch dort wird der eskalierende Streit jäh unterbrochen. Ähnlich wie die Bewegungen der Schauspieler stockt die Erinnerung, spielt allen einen Streich. Vielleicht, weil es die Erinnerung nur im Plural, als Erinnerungen, gibt.

Omer Fast, The Casting

Museum Moderner Kunst

Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 20. 1. Mo-So 10-18, Do 10-21h

Kat. hg. v. Michalka Matthias, 168 S. € 19,80 (erscheint Mitte Jänner)

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