Erklärte Lebenszeichen

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In seinem neuen Buch versucht Bischof Kapellari, christliche Zeichen, Riten und Gebärden wieder verständlich zu machen.

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In seinem neuen Buch versucht Bischof Kapellari, christliche Zeichen, Riten und Gebärden wieder verständlich zu machen.

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Ein Zeichen sind wir deutungslos. / Schmerzlos sind wir / und haben fast die Sprache in der Fremde / verloren. Auch dieses Wort von Friedrich Hölderlin ist im neuen Buch des Kärntner Bischofs Egon Kapellari zu finden. "Heilige Zeichen in Liturgie und Alltag" heißt der Band, in dem sich Kapellari in 50 kurzen Kapiteln an Zeichen, Gebärden, Riten im christlichen Kontext annähert.

Ein neues Buch, gleichzeitig ein altes - in zweifacher Hinsicht: Zum ersten handelt es sich dabei um eine Neubearbeitung von "Heilige Zeichen", das der Bischof bereits 1986 veröffentlichte, und das in vier Sprachen übersetzt wurde. Nicht nur nur der Titel wurde um "in Liturgie und Alltag" erweitert, auch die Themen sind beinahe doppelt so zahlreich, und die Texte selbst erscheinen stark überarbeitet - mit Schriftstellen aus der Bibel, Schriften der Kirchenväter oder litarischen Zitaten sowie mit 16 Farbtafeln angereichert.

Zum zweiten ist der Titel selbst eine Paraphrase auf den Buchtitel "Von heiligen Zeichen", das der große Theologe und Philosoph Romano Guardini, der Vorreiter der liturgischen und spirituellen Erneuerung, 1927 schrieb. Bischof Kapellari weiß sich der Tradition der Betrachtungsweise Guardinis verbunden - und dessen Anspruch: "Symbolschaffend und symbolschauend steht der Mensch in der Liturgie. Er betet und tut mit Leib und Seele in einem." Daß dieses Guardini-Zitat fast ganz am Anfang des Buchres zu finden ist - im Kapitel "Die Zeichen" -, ist sicher kein Zufall.

Ein unersetzliches Buch.

Unersetzlich in dem Sinn, als Kapellari versucht, anstatt ein "großes" Werk vorzulegen, mit kleinen Abhandlungen einige Urbedeutungen und Ursehnsüchte menschlicher Existenz nahezubringen. Auch "Heiligkeit und Schönheit" ist bei ihm "nur" ein zweiseitiges Kapitel, gerade für den geistigen Schüler eines Hans Urs von Balthasar (dessen "Theologische Ästhetik" sieben Bände füllt) mehr als lakonisch. Aber des Bischofs Anspruch (im Vorwort als "bescheiden" angemeldet) läßt sein Buch für eine Leserschar verschiedener Provenienz als überaus nützlich erscheinen. Wenn Kapellari in zitiertem Kapitel den Dostojewskij-Spruch "Das Schöne wird die Welt retten" nur mit wenigen Worten erläuternd umstellt, wird dessen Aussagekraft für den Leser plastisch. Pastoraler und spiritueller Impuls zu sein: dieser Aufgabe stellt sich der Bischof aus Kärnten sehr wohl - und meistert sie in beinahe jeder Hinsicht.

Unersetzlich ist das Buch schließlich auch, weil es das Symbolische und das Heilige im christlichen und im traditionell-christlichen Sinn beleuchtet: Was alles heilig ist und warum - Raum, Wort, Klang, Zeit, Licht, Zahlen, Farben -, das alles ist vielen zwar bekannt, rutschte aber in der Reizüberflutung der Tage oft ins Unterbewußtsein. Egon Kapellari versucht, das zugeschüttete Kostbare mit einfachen Erklärungen und Zitaten wieder hervorzuholen. Selbiges - Verschüttetsein und Rückholversuch - gilt für Zeichen und Gebärden an sich, die der Alltag irgendwie verloren zu haben scheint, vor allem dann, wenn es um einen genuin christlich-rituellen oder liturgischen Zusammenhang geht. Daher sind auch die bischöflichen Betrachtungen zu Kirche, Reliquien, Tabernakel, Taufbrunnen, Rosenkranz und so weiter von großem Wert.

Ausgangspunkt des Bischofs bleiben die Elemente kirchlichen Gottesdienstes. Erklärt werden da auch Gebetsformen - Litanei, Rosenkranz (der gleichzeitig auch ein Symbol ist), Singen (Augustinus: "Wer singt, betet doppelt."), auch Schweigen, letzteres besonders betont durch eine Antithese von Manes Sperber: "Unsere Epoche, die redseligste der Weltgeschichte, äußert sich ununterbrochen millionenfach - aber sie kommt nicht zu Wort."

Ein unersättliches Buch.

Die Fülle, die Kapellari weitergibt, fordert stark. Denn er ruft den säkular gesinnten Zeitgenossen manch religiöses Zeichen oder liturgisches Gerät in Erinnerung, das eine reiche Geschichte, oft aber nur mehr eine spärliche "Gegenwart" hat. Es gelingt ihm dadurch, selbst einen Kultgegenstand wie die Monstranz mittels eines Wortes von Teilhard de Chardin ("Je größer die Liebe ist, desto stärker ist die Anbetung") dem Leser gegenwärtig zu machen. Oder Öl, Salz, Asche: Auch für Kundige ist Liturgie heute vielfach auf die Eucharistiefeier reduziert, im Bewußstein existieren oft nur die Zeichen von Brot und Wein. Aber Salben mit Öl, Asche aufs Haupt streuen oder der Ritus der Salzspende, bei dem in der frühen Kirche den Taufschülern ein Salzkorn auf die Zunge gelegt wurde (Kapellari: "... Botschaft, die man nicht nur hören, sondern auch schmecken kann."), sind kaum noch oder schon gar nicht mehr bekannt.

Ein fragmentarisches Buch.

Obwohl die Zahl von fünfzig Kapiteln schon reichlich vielzählig erscheint, gibt es viel mehr Zeichen und Riten, als der Kärntner Diözesanbischof darstellt. Zum Teil scheint die Auswahl nicht ganz logisch, denn Ring, Kreuz, Hirtenstab - Insignien des Bischofs -, auch die Kathedra, der Bischofssitz, wurden zu Gegenstand der Betrachtungen; die Mitra, die Kopfbedeckung des Bischofs hingegen bleibt unerwähnt. Doch angesichts der vielen großen Themen muß das Buch unvollständig bleiben.

Mitunter schleichen sich auch eher disziplinär anmutende Weisungen in die bischöflichen Betrachtungen ein; etwa wenn Kapellari über manch mangelnde Ehrfurcht beim Empfang der Kommunion schreibt: Auch wenn es hier Mißstände geben sollte (wäre über solches Thema nicht überhaupt in einem größeren Zusammenhang nachzudenken?) scheinen hier die Überlegungen eher von kirchenpolitischer oder pastoraler Sorge geprägt zu sein - und stehen etwas in Spannung mit den fast literarischen Zugängen in anderen Kapiteln des Buches.

Dennoch gibt Bischof Kapellari den Lesern ein Buch der Fülle mit, das zu Nachdenken, Neu- und Wiederentdecken christlicher Kultur anleitet. "An der Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan", schreibt der Bischof, "hat Michelangelo Gottvater dargestellt, wie er den Zeigefinger seiner rechten Hand dem jungen Adam entgegenstreckt und ihn an dessen Zeigefinger berührt: Gott und Mensch berühren einander Hand an Hand." Mit diesen Worten leitet Kapellari seine Betrachtung über das Handauflegen, den uralten Ritus als Zeichen für die Berührung Gottes, ein. Auch "Heilige Zeichen in Liturgie und Alltag" kann als Berührung des Christlichen für Kundige und Fernstehende empfohlen werden. Berührend sind die Näherungen Bischof Kapellaris allemal.

HEILIGE ZEICHEN IN LITURGIE UND ALLTAG Von Egon Kapellari. Völlig überarb. Neuaufl. Mit 16 Farbabb. Styria Verlag, Graz 1997, 188 Seiten, geb., öS 268,

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