Erlösung dem Erlöser

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Christoph Schlingensiefs "AREA 7 - Matthäusexpedition" am Burgtheater: Respektloser Umgang mit den Brettern, die die Welt nicht mehr (be)deuten.

Schon beim Einlass meint ein sichtlich verunsicherter Platzanweiser bedeutungsvoll (oder war es nicht vielmehr entschuldigend?): "Wir haben heute kein Stück, sondern ein Ereignis". Und tatsächlich ist alles ganz anders, als es sich ein Besucher des Burgtheaters wohl erwartet. Wo sonst ein gedämpftes, erwartungsschwangeres Gemurmel herrscht, hat man schon ohne uns begonnen. Ein Adolf-Hitler-Darsteller mimt lautstark eine von dessen stakkatoartigen Hassreden, während Michael Jackson eine seiner unmissverständlichen Gesten zur Nachahmung empfiehlt, ein afrikanischer Beuys noch an seiner Fettecke werkelt (oder war es Lehm?) und auf einer der zahlreich aufgespannten Videoleinwände (die echte) Elfriede Jelinek gerade einen ihrer erratischen Texte verlautbart, der schon deshalb schwer zu verstehen ist, weil er überlagert wird von anderen Stimmen, Geräuschen und Musikfragmenten. Passend zu dieser Kakophonie ist das ganze Mittelparkett von einer trashigen, wild bemalten und beschrifteten Bretterbuden-, Zelt-und Blechhüttenlandschaft überbaut.

African Twin Towers

Diese Mischung aus afrikanischem Township, caligareskem Jahrmarkt und Flüchtlingslager setzt sich - zahlreiche, mit allerhand anspielungsreichen Objekten aus der (nicht nur Schlingensief'schen) Kunstwelt und allerlei zivilisatorischem Unrat vollgestopfte Kojen und Nischen bergend - labyrinthisch bis zur Hinterbühne fort und mündet dort schließlich in einen kleinen Platz. Darauf steht auf einer kontinuierlich kreisenden Drehbühne das Schiff mit zwei in die Höhe ragenden Stofftürmen, den African Twin Towers.

Die Inszenierung des Ortes macht deutlich, dass hier wohl der Schlüssel zur Entzifferung des Schlingensief'schen Kosmos liegt. Wofür steht das Schiff, das Schlingensief eigens aus Namibia hat herbringen lassen? Die metaphorische Bedeutung reicht von Irrfahrt über Entdeckerdrang bis zu Schiffbruch. Oder steht es für die biblische "Arche Noah", für den "fliegenden Holländer", der nicht sterben kann, für die "Nelly" aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis" oder für eines jener namenlosen Schiffe, auf denen junge Afrikaner dem Sterben ihres Kontinents zu entkommen hoffen?

Nichts erklären

Klar, dass dieser Theaterabend ohne Anfang und kathartisches Ende, aber dennoch nur scheinbar struktur-und zusammenhanglos, dem Besucher eine ganz andere Herangehensweise abverlangt. War "Bambiland" noch in einem durchaus konventionellen Sinne als Theater verstehbar und eine Art Vorübung für Schlingensiefs Inszenierung auf dem grünen Hügel von Bayreuth, wo er sich (nicht nur) dem eisernen Takt der musikalischen Partitur von Wagners "Parsifal" zu fügen hatte, so zelebriert er in dieser szenischen Installation gleichsam antagonistisch die offene Struktur mit einer freien, ungeleiteten Betrachtung. Er entlastet sich damit von der positiven Sinnsetzung, befreit sich aus dem Korsett der Verstehbarkeit. Erlösung dem Künstler als Erlöser!

Schlingensief will nichts erklären, weil er nichts erklären kann. Mit der Überfülle an Material, Anspielungsreichtum und Gleichzeitigkeit der Aktionen drängt er überkommene Verstehenshierarchien zur Implosion. Stattdessen legt er Spuren, sendet Signale, provoziert Echos. Der Besucher ist aufgefordert selbst zu erkunden, zu ahnen, Verknüpfungen in sich herzustellen, ein eigenes Bedeutungs-Feld zu organisieren. Möglich auch, dass die Erfahrung die Priorität gegenüber dem Begreifen eines Sinns hat. Vielleicht.

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