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Der Autor von "Schlafes Bruder" vergoldet das trockene Brot der unerwiederten Liebe Robert Schneiders neuer Roman "Schatten".

Wer Luxusvillen mit Wörtern errichtet, braucht bei der Dienerschaft nicht zu sparen. Robert Schneider konnte also aus dem Vollen schöpfen und Collin Lamont mit einem Ambiente ausstatten, von dem der verdrückte Tweedanzug, der dreckige Hemdkragen, die lächerliche rote Mütze, der ganze Aufzug eben, in dem er Florence so tief beeindruckt, krass abstechen. Dabei geht es in der elterlichen Villa so vornehm zu, dass kein Familienmitglied den Hörer abhebt, wenn das Telefon klingelt, dazu ist schließlich die Dienerschaft da. Er aber versteht sich als Dichter und Bohemien. Und dazu gehört wohl auch, dass er ohne Umschweife mit Florence schläft, sie aber nachher systematisch ignoriert.

Das alles ist unendlich lang her. Collin ist nur insofern die Haupt-figur in Robert Schneiders neuem Roman "Schatten", als 200 Seiten lang hauptsächlich über ihn geredet wird. Die über ihn reden, sind zwei alte Damen. Sie sitzen im Pacific, dem in der Zwischenzeit stark verblichenen einstigen In-Lokal beim ehemaligen Yachthafen von Sidney. Collin ist seit 15 Jahren tot und Florence hat das Wiedersehen so inszeniert, dass Kasha genau auf dem Platz sitzt, auf dem Collin saß, damals, als sie einander kennen lernten, zur selben Zeit, im selben Abendlicht.

Robert Schneider ist ein Spezialist des erotischen Urknalls, der bedingungslosen, im Sekundenbruchteil ausbrechenden und nimmer vergehenden Liebe, und er lässt sie gerne so überlebensgroß andauern, wie man sie im wohlbekannten meist kurzen, an Wahnsinn grenzenden Ausnahmezustand erlebt. Da eine solche Liebe auch die Abgründe der Zeit überwindet, ließ er in der ,Luftgängerin" die junge Esther auf einem Dachboden das Bild eines jungen Mannes und etwas später in New York auch tatsächlich den mittlerweile Siebzigjährigen finden und die beiden in absoluter Liebe aufeinanderprallen: "Im ersten Moment. In der Sekunde. Ohne Umweg. Augenblicklich. Jäh."

Diesmal ist es nun Florence die Collin mit ihrer Liebe verfolgt, sich bloßstellt, keinen Geburtstag vergisst und sich ihr Gefühl auch von der Nebensächlichkeit, dass er längst tot ist, nicht schmälern lässt. Was im Leben eher ein Problem für Psychotherapeuten darstellt, wird hier zur Lebensform überhöht.

Dabei ist aber Robert Schneider kaum wieder zu erkennen. Er, der einst mit gekünstelten Wortschöpfungen um sich warf, hat zur Sparsamkeit gefunden, zum einfachen, klaren Stil der besten Passagen seiner früheren Romane. Diese neue Einfachheit seiner Sprache hält er von Anfang bis Ende durch, rettet sich nicht mehr in den kaum erträglichen Schwulst der ,Luftgängerin" oder das Wortgeklingel der "Unberührten".

Florence liebt Collin, Kasha wurde von ihm geheiratet, nun wird das Ganze einen Abend lang besprochen. Márais Buch "Die Kerzen brennen ab" könnte Pate dieses Romans sein; der Titel der um 1950 erschienenen ersten Übersetzung von Márais Buch ins Deutsche war viel besser als der unsägliche "Die Kerzen brennen herab", unter dem es vor wenigen Jahren wieder entdeckt wurde. Schneider gelingt eine ungemein spannende Exposition, und ob das Interesse vorübergehend etwas abflaut, ist - möglicherweise keine ganz geschlechtsneutrale - Geschmackssache.

Sobald Florence ihre Lebensbeichte beendet hat und Kasha zu reden beginnt, ist das Interesse jedenfalls wieder da. Wobei die immanente Spannung der Erzählung und die externe, ob Schneider nach "Schlafes Bruder" endlich wieder ein großer Wurf gelungen sei, einander überlagern. Nun, "Schatten" ist tatsächlich sein stärkstes Buch seit jenem Welterfolg.

Er versteht es in diesem Roman, der allerdings eher die Bezeichnung Erzählung verdienen würde, mit einfachen Mitteln die emotionale Spannung zwischen den beiden Frauen in Sprache zu fassen und die aufgeladene Atmosphäre des Gesprächs spürbar zu machen. Eifersucht steht nicht zwischen ihnen, sie sind sogar, wie sie nun selbst erkennen, in den Jahrzehnten. in denen sie einander nicht gesehen haben, Freundinnen geblieben. Und erst die alte Florence erkennt, welche wichtige Rolle sie schon als Kind in Kashas Leben gespielt hat. Wir erfahren immer mehr über die beiden alten Damen. Doch je mehr wir über sie erfahren, desto mehr verliert Florence an Leben, an Ursprünglichkeit, wird zum Kunstprodukt, während ihre Zuhörerin, die statt Schauspielerin Psychoanalytikerin geworden ist und Florence schon als Kind bewunderte, zusehends an Leben gewinnt und das Buch davor bewahrt, im Sumpf der Trivialität zu versinken.

Die Scylla der aufgeblasenen Sprache, der geschwollenen Wortwahl und der missglückten Bilder hat Robert Schneider mit dem Roman "Schatten" fürs Erste glücklich umschifft. An der Charybdis der Trivialität ist er noch nicht vorbei. Die Kitschgefahr kündigt sich leise an, wenn er Kasha mit dem Satz einführt: "Sie war eine gepflegte Erscheinung von exquisitem Geschmack in Kleidung und Schmuck", verdichtet sich im Ambiente der Millionärsvilla und duftet aus den riesigen Rosensträußen mit denen Collin Kasha erobert. Zuletzt könnte Florence Collin sogar noch in die Arme schließen, weist ihn aber zurück, weil das nicht die echte Liebe sei. Dafür ist Robert Schneider hier glatt Hedwig Couhrts-Mahler in die Arme gesunken.

SCHATTEN.

Roman von Robert Schneider. Reclam Verlag, Leipzig 2002

208 Seiten. geb.,o 19.50

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