"Erschüttert von inwendigem Gesang"

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Eine Auswahl von Johannes Lindners poetischem Werk macht interessante Facetten seiner Lyrik sichtbar.

Kurt Adel hat 1990 das dichterische Werk des Kärntner Lyrikers Johannes Lindner (1896-1985), der zu Lebzeiten nur wenig veröffentlichte, in einer kritischen Gesamtausgabe herausgebracht. Das von Demus und Guttenbrunner vorgelegte Bändchen "Der kentaurische Knecht" bietet mit 46 Gedichten einen kleinen Querschnitt daraus und will die Aufmerksamkeit auf diesen weithin unbekannt gebliebenen Autor lenken, weil, wovon die Heraugeber überzeugt sind, das "Erstaunen" über die "Leuchtkraft" dieser Gedichte "immer mehr wachsen wird."

Die Auswahl lässt eine bemerkenswerte Entwicklung des Autors erkennen. Am Beginn stehen Gedichte, die heutigen Lesern antiquiert und eigentlich nicht mehr lesenswert erscheinen, sind sie doch stark vom Zeitgeist einer Heimatkunst aus den zwanziger und dreißiger Jahren geprägt, die eine archaisch-rustikale Dorfwelt mit ihren naturverbundenen Lebensformen und magisch-heidnischen Bräuchen ("Die Geister der Ahnen") in den traditionellen Formen der Lyrik expressiv besingt und beschwört. Das mythische Doppelwesen aus Mensch und Natur, der "Kentaurische Knecht", wird somit zu jener Gestalt, in der sich diese Welt symbolisch verdichtet. Interessant werden diese Gedichte dort, wo sich die mythische Idylle ins Dämonisch-Bedrohliche verwandelt und ihre Abgründe öffnet ("Flußballade"), oder wo das lyrische Ich die Perspektive sozialer Randgestalten einnimmt und in berührend unsentimentale Szenen kleidet ("Alter Fischer zieht sein Sterbehemd an", "Altes Auszüglerpaar", "Ländliche Biographie"). Formal und stilistisch zeigt sich, wie im Gedicht "Du fragst, was ich so treib...", ein Nebeneinander von originärer Stimme ("Neugierig steckt ein Hahn ins offne Fenster / sein Feuerhaupt, er kräht und klirrt im Zorn / und ritzt das Glas mit diamantnem Sporn, / es hallt das leere Haus und blitzt im Fenster!") und deutlicher Prägung beispielsweise durch den Trakl-Ton ("Der Traufe Gurgeln, Föhn, ein jäher Schimmer / bricht durchs Gewölk und färbt den Schatten blau, / das starke junge Lachen einer Frau, / Geruch der Äpfel, süß im kalten Zimmer.").

Mit Gedichten wie "Schreiben - noch einmal" oder "Verlor das Laub" werden andere, weitaus interessantere Facetten der Lyrik Lindners sichtbar, die mehr Berücksichtigung verdient hätten, nämlich Gedichte in freier Form mit eigenwilligen Metaphern und Bildern, die Interpretationsspielräume bereit halten. Oder Gedichte in einem schmucklos nüchternen Erzählton, wie er in dem sozialkritischen Gedicht "Ein Mann, links von mir" oder in den herausragenden Gedichten über die Maler "Luca Signorelli" und "Lovis Corinth" zu hören ist, in denen die Kunst als Möglichkeit erscheint, den Schmerz und das Zerbrechen menschlicher Existenz aufzufangen. Wenngleich bestimmte Themen wie Tod und Vergänglichkeit, Traum und Mythos bestehen bleiben, werden sie in dieser Art von Gedichten in der Intensität einer lyrischen Sprache gestaltet, die an die Entwicklungen der Lyrik nach 1945 anschließt; so im Gedicht "Kindheitserinnerung", in deren Zeilen sich die Poetologie dieser Gedichte verbirgt: "Kritzeleien, / die eine Wand bedecken, / Zeichen / für unentschlüsselte Gleichnisse - / das Bild vertritt drohend die Welt."

Wenn von den Herausgebern verbürgt wird, dass Lindner mit der Veröffentlichung seiner Gedichte deshalb so zurückhaltend gewesen ist, "weil seine literarischen Freunde, und durch ihr Urteil er selbst, Zweifel an der Gültigkeit seines unablässigen Ringens um das wahre Gedicht gehabt hätte", so möchte man ihm im Hinblick auf seine frühen Gedichte Recht geben, angesichts eines Gedichtes wie "Selbstbildnis", in dem er die selbstkritische Position reflektiert, aber wiederum nicht: "Erschüttert von inwendigem Gesang, / doch ohne Macht, das Wort zu finden. / Gehofft, gewartet. Jahre lang. / Der innern Sehkraft langsames Erblinden."

Der kentaurische Knecht

Gedichte von Johannes Lindner

Hg. von Klaus Demus und Michael Guttenbrunner. Löcker Verlag, Wien 2003. 120 Seiten, brosch., e 14,80

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