Erst im totalen Trash gibt es Erlösung

Werbung
Werbung
Werbung

Calderón de la Barcas "Das Leben ein Traum" am Burgtheater: Regisseurin Karin Beier vergibt die Chance, dem barocken Versdrama neues Leben einzuhauchen.

Als eine der letzten Produktionen unter Klaus Bachler stellt sich das Burgtheater der besonderen Herausforderung, Pedro Calderón de la Barcas barockes Drama "Das Leben ein Traum" auf den Spielplan zu setzen. Wie später in seinem "Großen Welttheater" versteht er die Menschen als Komödianten und Gott als Schauspieldirektor, womit Calderón die wesentliche Frage nach Schein und Sein in jene nach einer überpersönlichen Ordnung einbettet.

Regisseurin (und seit 2007 Intendantin am Schauspiel Köln) Karin Beier, die mit immerhin neun Inszenierungen am Burgtheater fast zur Hausregisseurin geworden ist, sollte sich wohl mit ihrer bewährten Stärke für pragmatische Lösungen diesem großen Stoffkomplex stellen.

Vielversprechender Beginn

Und tatsächlich, es wird hier mehr als deutlich, bietet dieses bedeutende Drama der Weltliteratur eine Vielzahl an Interpretationmöglichkeiten: "Wer bin ich?", "Wohin gehe ich?", "Was definiert unsere Wahrnehmung von Realität?", "Ist der Mensch Herrscher über sein Schicksal oder das Schicksal über ihn?"

Beiers Inszenierung beginnt vorerst vielversprechend und offen: Nicholas Ofczarek liegt als Sigismund am Boden, er wälzt sich gleichsam durch die Prognosen der Gestirne oder wenn man so will: der göttlichen Vorsehung, rund um ihn sitzen die Mitspieler, die auf ihren Auftritt warten.

Sein Vater, König Basilio (Peter Simonischek) verbannt den Sohn in einen Turm, um den göttlichen Plan zu unterwandern. Doch gerade diese radikale Erziehungsmaßnahme führt dazu, dass alle Prognosen eintreffen, als Basilio sich zu seinem Sohn bekennt und ihm vorerst für einen Tag die Macht überträgt, mit der dieser naturgemäß nicht umgehen kann. Im Traum realisiert Sigismund, dass es einzig darauf ankommt, "gut zu handeln".

Die Täuschung des Lebens als Spiel entlarvt das Theater Beiers phasenweise jedoch allzu deutlich. Spätestens in der zweiten Hälfte ist die Orientierungslosigkeit, wie mit diesem Topos und dem Versdrama umzugehen sei, nicht mehr zu verbergen. Offenbar in der Inszenierungssackgasse angekommen, täuscht Beier neue Wege vor, die allerdings nirgendwohin führen. Das Versmaß wird auf Trivialität reduziert. Um Calderóns moralischen Absichten zu entkommen, zitiert sie in der Gewissheit auf Wiedererkennung alles an, was an christliche Handlungsweisen und deren Gegenteil mahnt. Sigismund vereint etwa die bekannten Diktatoren der Geschichte, von Castro bis zu Hitler. Und Johannes Terne muss als schwer bewaffneter Revolutionär eine verblödete Militärkarikatur mimen. Da die Inszenierung keiner Dramaturgie folgt, bleiben auch sämtliche Nebenfiguren, wie Rosaura (Christiane von Poelnitz), Estrella (Myriam Schröder) oder Astolfo (Johannes Krisch) unklar. Erst im totalen Trash wird Erlösung angedeutet und diese lautet: Eine neue Ordnung muss her!

Riesenspektakel mit bewegten Bildern

Die Frage nach dem System - nach einer göttlichen und irdischen Ordnung - war sowohl für den Dichter als auch Priester Calderón zentral. Er variierte sie in seinen 120 weltlichen und 80 geistlichen Stücken, und sie ist auch jener Angelpunkt, der für eine heutige Gesellschaft interessant ist. Beier dürfte sie hingegen zu spät entdeckt haben. Sie verliert sich in archaischen Bildern, in denen Rosaura als blutiger Todesengel das Jenseits andeutet und Sigismund als Popstar zwischen einem Streicherorchester und Einspielungen von den Rolling Stones flippt. Auch hier eine Schwäche der Inszenierung: Beier hat sichtlich die Führung über das Ensemble verloren. Da sie über ein Team an Virtuosen verfügt, macht das zwar nicht soviel, dennoch: Von Ensemblearbeit ist nichts zu sehen. Bei ihr wird "Das Leben ein Traum" zu einem Riesenspektakel mit bewegten Bildern. Beier inszeniert Tableaux vivants und erzeugt damit jene barocken Bilder, die durch die Schauspieler imaginiert werden. Es ist schade um diese vergebene Chance, Calderóns Stück neues Leben einzuhauchen. Beier hat sich in ihrer Ratlosigkeit für eine amüsante Kosmetik der Oberfläche entschieden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung