Erstaunliches unter der Hohen Tatra

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Der Politikneuling Andrej Kiska wird neuer Präsident der Slowakei. Der unabhängige Millionär gewinnt mit klarem Vorsprung gegen den Ministerpräsidenten Robert Fico.

Wer von den Slowaken es nach einem sonnigen Wahlsamstag noch bis nach Mitternacht vor den Fernsehschirmen aushielt, erlebte Unglaubliches: Der erfolgsverwöhnte linkspopulistische Regierungschef Robert Fico, der das Land mit absoluter Mehrheit im Parlament führt und vor ein paar Monaten noch klarer Favorit für die Wahl des neuen Staatsoberhauptes war, erlitt eine nicht für möglich gehaltene Demütigung. Dag Daniˇs, Chefkommentator der wirtschaftsliberalen Hospodarske noviny postete noch während der Auszählung: "Das wird keine Niederlage für Fico, das wird eine regelrechte Hinrichtung“. Fast 20 Prozentpunkte Vorsprung fuhr sein Gegenkandidat Andrej Kiska ein, der auf 59,4 Prozent kam. Ein Mann, den vor zwei Jahren niemand kannte.

Der studierte Elektrotechniker aus Deutschendorf/Poprad stammt aus einer kommunistischen Familie. Sein Vater war der Chef der Kreisschulbehörde und bemühte sich in der stark katholisch geprägten Region unterhalb der Hohen Tatra, Lehrer und Schüler vom Gang in die Kirche abzuhalten. Als Kiska später selbst in die KP eintreten wollte, erschien er den zuständigen Genossen nicht reif genug dafür. Auf diese Weise ist er der erste neuzeitliche slowakische Präsident ohne ehemals rotes Parteibuch.

Kiska unterstützte Krebskranke

1989 läutete er mit vielen anderen per Schlüsselbund dem alten Regime das Ende ein. Mit seinem Bruder gründete er Mitte der Neunzigerjahre eine Gesellschaft, die Verbraucherkredite gewährte. Acht Jahre später verkaufte er die Firma an eine Bank für umgerechnet etwa zehn Millionen Euro. Sein Geld steckte er 2006 in seine Stiftung, die Familien mit krebskranken Kindern unterstützt. Als in der Zeit der Krise sein Plan misslang, eine Kinderkrebsklinik zu bauen, entschloss sich Kiska, es in der Politik zu versuchen. Seine zweijährige Kampagne bezahlte er aus eigener Tasche, wie er jetzt auch ankündigte, auf sein Gehalt als Präsident verzichten zu wollen. Kiska machte alles allein, er verband sich mit keiner Partei, setzte bewusst auf Abstand zu ihnen, egal, welcher Couleur sie waren.

Diese "Parteilosigkeit“ war am Ende einer seiner großen Trümpfe. Die Slowaken nämlich zeigen sich zunehmend politikverdrossen, können den etablierten Parteien, deren Vetternwirtschaft und Filz, nichts mehr abgewinnen. Zudem glaubten seine Wähler, dass ein Mensch mit so viel Geld wie Kiska nicht anfällig für Bestechungsversuche sein werde.

Dass Kiska im Wahlkampf, namentlich in den Fernsehduellen der Kandidaten, anfangs äußerst blass blieb, gereichte ihm nicht zum Nachteil. Die Slowaken sind nicht mehr erpicht auf wohlformulierte Sätze aus Politikermündern. Vor der Stichwahl gegen Fico holte Kiska freilich auch in Sachen Rhetorik auf. Er ließ sich vom amtierenden Regierungschef, der sich immer gut zu verkaufen wusste, nicht mehr über den Mund fahren. Zudem wehrte er sich. Fico hatte ihm vorgehalten, sein Vermögen mit "Wucherzinsen“ gemacht zu haben. Ebenso sagte Fico seinem Widerpart dubiose Verbindungen zu Scientology nach. Kiska hörte sich das eine Weile an. Dann platzte ihm der Kragen und er erstattete Anzeige gegen Fico wegen übler Nachrede. Der Premier mäßigte sich hernach mit seinen Vorwürfen und setzte darauf, den völligen Politikneuling als Sicherheitsrisiko darzustellen.

Dabei versuchte er vor allem, mit der Außenpolitik zu argumentieren. Fico erinnerte an die turbulenten Ereignisse im Nachbarland Ukraine. Er habe keine Vorstellung, wie Kiska darauf zu reagieren gedenke. Ähnlich beim Thema Kosovo: Die Slowakei ist eines von fünf Ländern der EU, die Kosovo bis heute nicht anerkennen. Fico lehnte das aus der Sorge davor ab, dass die Regierung so womöglich separatistischen Neigungen der mit zehn Prozent der Bevölkerung starken ungarischen Minderheit im Süden der Slowakei Vorschub leisten könne. Kiska hielt diesen Kurs für völlig übertrieben.

Um sich rasch selbst auch noch bei den ethnischen Ungarn beliebt zu machen, warb Fico in der Schlussphase des Wahlkampfes auch mit Plakaten auf Ungarisch. Doch die ungarischen Slowaken nahmen ihm dies nicht ab. Sie erinnerten sich sehr gut daran, dass Fico in seiner ersten Amtszeit unter anderem mit der ungarnfeindlichen Slowakischen Nationalpartei koaliert hatte. Die Folge: Kiska errang in deren Wahlkreisen teilweise mehr als 90 Prozent der Stimmen. Fico konnte zwar für die Stichwahl viele seiner Anhänger, die in der ersten Runde nicht an den Wahlen teilgenommen hatten, zum Gang an die Wahlurne mobilisieren. Aber manchen von ihnen konnte er bis zum Schluss nicht vermitteln, weshalb er eigentlich aus dem Zentrum der Gestaltungsmöglichkeiten - der Regierung - in das eher repräsentative Amt des Staatsoberhauptes zu wechseln gedachte.

Fico wird in Vergessenheit geraten

Dies ist auch als Flucht aus der Verantwortung und nicht anders zu bewerten. Fico steht mitten in seiner Amtszeit, die vor allem von der Bevölkerung nicht eben als rosig empfunden wird. Das Land ist zwar wirtschaftlich relativ gut aus der Krise gekommen; doch die Massenarbeitslosigkeit ist hoch. Zwar gibt es die Boomregion Preßburg. Aber in der Provinz sieht es teilweise tieftraurig aus. Es ist diese soziale Schieflage des Landes, die Kiska zu einem seiner Wahlkampfschlager machte. Wenn die Politik nichts für die "anständigen Bürger dieses Landes“ tue, dann wolle er deren Anwalt sein. Und - so sagten sich die Slowaken - wer mit seiner Stiftung so viel Gutes schon getan habe, der sei bestens geeignet, sich für die kleinen Leute insgesamt zu engagieren.

Die Wähler zeigten großen Optimismus. Als Präsident kann Kiska nicht gar so viel ausrichten. Er hat eine klare Parlamentsmehrheit der Fico-Partei gegen sich. Und diese Mehrheit könnte jedes Veto des Präsidenten bei der Wiedervorlage von Gesetzen locker noch einmal aushebeln. Es gibt nicht wenige, die sagen, als Wohltäter hätte Kiska sehr viel mehr bewegen können als in der Rolle des Präsidenten.

Bleibt die Frage, was mit Fico passiert. Er hat den Mythos des Unbesiegbaren verloren. Zwar gilt er in der Partei als einziger mit Führungsqualitäten. Doch die hungrigen jungen Wölfe könnten dem angeschlagenen Rudelführer trotzdem an die Gurgel gehen, mutmaßen Kommentatoren. Wenn Fico die nicht abwehren könne, werde er so vergessen enden wie einer seiner berühmt-berüchtigten Vorgänger im Regierungsamt - der autokratische Premier Vladimír Meˇciar.

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