Erzählen mit der Sprache der Hände

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Eine junge Frau reiste um die halbe Welt, um den einst von den Briten verbotenen und nur von Männern ausgeübten Kathakali-Tanz zu erlernen. Zurück in Europa präsentiert sie perfekte indische Kunst im Dienste der Religion.

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Eine junge Frau reiste um die halbe Welt, um den einst von den Briten verbotenen und nur von Männern ausgeübten Kathakali-Tanz zu erlernen. Zurück in Europa präsentiert sie perfekte indische Kunst im Dienste der Religion.

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Den Zettel mit dem vielsilbigen, unaussprechlichen Namen des Dorfes halte ich kampfhaft in der Hand, während der Taxichauffeur sein klappriges Fahrzeug zwischen Schlaglöchern hin- und hersteuert. Für die 30 Kilometer von der südindischen Stadt Trivandrum in den Urwald brauchen wir eineinhalb Stunden. Die Luft ist um neun Uhr abends noch immer drückend schwül. Nach vielem Halten und Fragen erreichen wir das Ziel: Ein Dorf, in dem die ganze Nacht eine Kathakali-Tanzvorstellung stattfindet. Die Dorfbewohner sitzen auf dem staubigen Boden, während auf einer primitiven Bretterbühne dramatisch geschminkte, mit schweren, bunten Kostümen angetane Tänzer Szenen aus dem größen indischen Epos, dem Mahabharata, präsentieren. Ich suche nach der Hütte, von der mir Monica de la Fuente sagte, dort würde ich sie finden.

Da liegt das junge Mädchen tatsächlich auf dem nackten Fußboden; ich erkenne sie nur an ihren Augen und weil sie mich leise grüßt. Über ihrem Gesicht kniet ein Mann, der sie schon fast vollständig entpersönlicht hat. Sie stellt in dieser Nacht Gott Krishna dar. Dieser strahlende Gott hat als ihm zugeordnete Farbe das leuchtende Grün. Monicas Gesicht ist grün geschminkt, dicke schwarze Striche betonen ihre Augen. Jetzt wird sie mit schweren Gewändern angezogen, die ihren zarten Körper immer mehr verschwinden lassen; schließlich bekommt sie auf den Kopf eine riesige Krone.

Und dann ihr Auftritt: unter Trommelwirbei betritt sie gemessenen Schrittes die Bühne. Ein Sänger rezitiert einen Text. Mit gebeugten Knien steht sie da, das Gewicht des Körpers lastet jedoch nicht auf den Fußsohlen, sondern auf den äußeren Fußkanten.

Ich beobachte ihre Hände: jede Geste, hat sie mir am Vortag erklärt, bedeutet etwas. Und dann bemerke ich ihre blutunterlaufenen Augen, die sie weit aufreißt und rollt. Ich solle mich nicht schrecken, hatte sie gesagt; die Augenreizung geschehe mittels kleiner Samenkörner, auch das sei eine uralte Tradition. Wissen die Dorfbewohner, dass hier, inmitten eines rituellen Tanzes, der traditionell nur von Männern ausgeführt werden darf, eine Ausländerin tanzt, eine 24jährige Spanierin?

Ihr Weg in die professionelle indische Tranztruppe war lang und aufregend. Als sie acht Jahre alt war, sah sie in der alten Königsstadt Valladolid zum erstenmal kastilische Volkstänze; sofort wollte das kleine Mädchen auch tanzen lernen. Ihre Truppe wurde in ganz Europa eingeladen. Mit 17 ging sie, gegen den Willen ihrer Eltern, mit ihrem Freund auf eine Reise nach Asien. Über Frankreich, Österreich, Rumänien - die Stationen, an die sie sich noch gut erinnert - kamen die beiden in den Himalaya. Hier erfuhr sie von der vielfältigen, uralten indischen Tanztradition. Als sie in den Tempeln von Khajuraho in Zentralindien, auf denen sich die berüchtigten erotischen Darstellung in Stein befinden, einen Tempeltanz sah, stand für sie fest: das mußte sie auch lernen.

Zwei Monate auf einem Hausboot in Benares ließen sie "Indien pur" aufnehmen. Doch erst in einem Künstlerdorf außerhalb von Madras fand sie die Ausbildung, die sie suchte. Sie erhielt Stimmtraining, Musikunterricht, lernte Yoga, begann, in indische Mythen einzutauchen. Und begriff die Gefahr, ihre Identität zu verlieren, sah sie doch viele Europäer, die älter waren als sie und in Indien bewußt eine neue Identität suchten oder im Hippie-dolce-far-niente versumpften. Monica lernte den unter den Briten verbotenen Tempeltanz - verboten hatten die Briten ihn, weil ihnen die Tempeltänzerinnen nicht keusch genug waren. Inzwischen war sie ihren indischen Lehrern so sehr aufgefallen, daß diese ihr ein indisches (!) Stipendium verschafften. Weitere zwei Jahre Ausbildung folgten, diesmal in Kerala, der Heimat des Kathakali-Tanzes. Für diese klassische Verbindung von Tanz und Drama werden nur Männer zugelassen.

Nur mehr für Touristen Die Buben beginnen mit acht Jahren ihren Körper "neu" zu formen wer später damit anfängt, schafft es nicht, weil die Biegsamkeit nicht mehr gegeben ist. Monica mit ihrer europäischen Tanzvergangenheit konnte -wochenlang kaum gehen, so hatte sie ihre Muskeln überbeansprucht. Sie wurde schließlich als einzige Frau, weil sie Ausländerin war, in eine professionelle Kathakali-Truppe aufgenommen, die mit minimaler Staatsunterstützung von Dorf zu Dorf zieht, um dort die großen Epen, die die hinduistische Religion ausmachen, durch Tanz, Wort und Musik vorzuführen. Freilich ist diese Tradition heute bedroht. Einerseits finden sich immer weniger junge Inder, die sich der harten Schule unterziehen wollen, welche ihnen dann nur eine prekäre wirtschaftliche Existenz sichert. Zum anderen wird das Publikum für klassischen indischen Tanz kleiner. Die Jungen ziehen moderne westliche Disco-Tänze vor, und zunehmend macht sich die Gefahr breit, dass indischer Tanz hauptsächlich zur Touristenattraktion degeneriert.

Monica de la Fuente ist jetzt, nach sechs Jahren, in ihre spanische Heimat zurückgkehrt. Sie hat ein Solo-Programm entwickelt, das sie bereits in Deutschland, Frankreich und Spanien präsentiert hat. Sie hat die strenge Tradition aufgebrochen, indem sie erklärt, was sie tanzt. Ein Buch über "Die Sprache der Hände" ist in Vorbereitung. Sie ist überzeugt, daß das stark physisch orientierte indische Theater dem kopflastigen europäischen Wertvolles hinzufügen kann: den Einsatz des gesamten Körpers. Derzeit lehrt sie daher diese Dinge in Paris und Valladolid. Westliche Kunst ist profan. Indische Kunst steht im Dienst der Religion.

Rituelles Theater, ritueller Tanz sind nur sinnerfüllt, wen ein Glaube als Basis da ist: diese Einsicht hat Monica de la Fuente unverlierbar aus Indien mitgebracht.

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