Es brennt - und wenige löschen

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Die Probleme unseres Landes mögen - auch - auf der Straße artikuliert, aber sie können nicht dort entschieden werden.

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Die Probleme unseres Landes mögen - auch - auf der Straße artikuliert, aber sie können nicht dort entschieden werden.

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War das nötig? Daß ein FPÖ-Politiker angesichts von mindestens 150.000 Demonstranten gegen die neue schwarz-blaue Regierung von nur 60.000 Teilnehmern, darunter hauptsächlich ausländischen Linken, sprach? Daß der neue Bundeskanzler schon vorher meinte, hier werde sich neben Altlinken und 68ern die Internet-Generation noch einmal austoben und dann werde Ruhe sein? Und daß anderseits auf Seite der Veranstalter der Anspruch erhoben wurde, hier sei "das andere, das anständige Österreich" versammelt gewesen, als ob automatisch alle Nichtanwesenden unanständige Österreicher seien? Oder daß einzelne die neue Regierung nur mehr konsequent als "Regime" apostrophieren, als ob wir in einer Diktatur mit einem "Überkanzler" Jörg Haider lebten?

Es ist in den letzten Wochen im In- und im Ausland angesichts der Bildung der österreichischen Regierung soviel Öl ins Feuer gegossen worden, daß nichts nötiger wäre als die schon vielfach eingeforderte "Abrüstung der Worte". Mit Polemik und Diffamierungen gegenüber politischen Gegnern dient man nicht der von allen Seiten beschworenen Demokratie und dem von allen Seiten beschworenen Wohl des Staates Österreich. Aber womit kann man ihm jetzt dienen? Was wäre jetzt vorrangig nötig?

Vor dem Blick in die Zukunft ist nüchtern festzustellen, daß manche Ereignisse der jüngeren Vergangenheit wirklich nötig, vielleicht sogar unvermeidlich waren. Und so paradox es klingen mag: Es waren offenbar auch völlig einander widersprechende Entwicklungen nötig und bei Verständnis für den jeweils anderen Blickwinkel auch legitim.

Das Scheitern der SPÖ-ÖVP-Verhandlungen im Jänner war vielleicht nicht unvermeidlich, aber früher oder später fällig war sicher ein Wechsel an der Spitze der Regierung: 30 Jahre Kanzlerschaft einer Partei, egal welcher, sind nicht normal in einem demokratischen Staat. Der Wechsel war die Folge des Wahlergebnisses vom 3. Oktober 1999 und der folgenden Gespräche, aber auch des zunächst von allen Parteien geäußerten Wunsches, rasche Neuwahlen zu vermeiden. Gerade, wenn man den Höhenflug der FPÖ stoppen wollte, mußte spätestens jetzt der Versuch gemacht werden, sie in die Regierungsverantwortung einzubinden. Natürlich war es unvermeidlich, dafür einen Schuldigen an den Pranger zu stellen: den in seiner Glaubwürdigkeit bereits arg beschädigten neuen Kanzler Wolfgang Schüssel. In seinem Vorgehen sind persönliches Machtstreben und das legitime Motiv, die FPÖ durch Regierungsbeteiligung zu entzaubern, schwer voneinander zu trennen.

Es war wohl unvermeidlich, daß sich das Ausland energisch zu Wort meldete, als sich eine ÖVP-FPÖ-Koalition abzeichnete. Es kann heilsam werden, daß Österreich in diesen Tagen aus dem Traum erwachte, daß wir everybody's darling sind, uns ohnehin die ganze Welt liebt und nichts lieber macht als Urlaub auf unserer Insel der Seligen. Ob die Ressentiments mehr auf Österreichs schlampigem Umgang mit der NS-Vergangenheit, auf unserer zeitweise manchen Ländern wenig genehmen Außenpolitik oder anderen Ursachen beruhen, darüber läßt sich streiten. Die 14 anderen EU-Staaten ergriffen jedenfalls die Chance, wieder einmal etwas gemeinsam zu tun, nämlich am kleinen Österreich ein Exempel zu statuieren.

Es war aber wohl ebenso nötig, in dieser Situation dem äußeren Druck nicht nachzugeben und die Entscheidung über eine solche Regierung in Österreich zu treffen. Daß sich die neue Opposition aus SPÖ und Grünen der Kritik aus dem Ausland anschloß, war nicht nötig, aber parteipolitisch verständlich. Daß große Teile der Bevölkerung der neuen Regierung aus unterschiedlichen Gründen ablehnend gegenüberstehen und dies deutlich - bis zum Höhepunkt der Demonstration am 19. Februar - signalisieren, ist legitim und zeigt ein neues politisches Erwachen, das Österreich auch schon bitter nötig hatte. Nur: Die Probleme unseres Landes mögen - auch - auf der Straße artikuliert, aber sie können nicht dort entschieden werden.

Man mag das Zustandekommen der jetzigen Regierung verfluchen, mag die daran Beteiligten verdammen, aber wäre es wirklich eine Lösung, wenn diese Regierung nun den Demonstranten nachgäbe und resignierte? Oder wenn sie durch eine alles sabotierende Fundamentalopposition innerhalb und außerhalb des Parlamentes rasch "auf den Misthaufen der Geschichte", so ein französischer Redner, befördert würde? Dorthin wünschte auch schon 1970 vergeblich ein ÖVP-Politiker, dem Machtverlust seiner Partei nachtrauernd, die damalige SPÖ-Minderheitsregierung von Bruno Kreisky.

Diese kämpfte mit dem Slogan: "Laßt Kreisky und sein Team arbeiten!" Was jetzt nötig wäre, sind kühle Köpfe und der Verzicht auf verbale Entgleisungen, kein neues Öl ins Feuer, sondern Löscharbeiten. Erhält die Regierung keine Chance zur Arbeit, entstehen Dolchstoßlegenden und Märtyrer. Man lasse diese Koalition mit ihren eigenen Leistungen reüssieren oder scheitern. Daß sie zum Beispiel die Abschaffung der Strafbarkeit der fahrlässigen Krida betreibt - zufällig zugleich mit einem 70-Millionen-Konkurs des Gatten der FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer - wirkt bereits wie ein Eigentor.

Die Regierung hätte zunächst viel Wichtigeres zu tun: Es ist nötig, einen sozial vertretbaren Sparkurs zu fahren, um das Budget zu sanieren. Es ist nötig, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. Es ist dringend nötig, mit dem Ausland durch konstruktive Weiterarbeit in der EU ins Reine zu kommen. Österreich könnte angesichts der Isolation im Westen wenigstens versuchen, seine Kontakte mit Ländern Osteuropas und der "Dritten Welt" sowie seine Entwicklungspolitik zu verbessern, was beides den Nebeneffekt hätte, den Vorwurf von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu entkräften. Vor allem aber ist es nötig, das NS-Erbe ehrlich und endgültig aufzuarbeiten, insbesondere durch eine großzügige Entschädigung aller noch lebenden Opfer. Die FPÖ wird dabei rasch und glaubhaft mitziehen müssen, um zu beweisen, daß sie zu einer akzeptablen Partei gereift ist, oder ein "outcast" bleiben.

Letztlich müssen demokratische Mittel - Wahlen, aber vielleicht auch der Regierung ihr Vertrauen entziehende Mandatare im Parlament - darüber entscheiden, wie lange diese Koalition besteht.

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