Es geht nur ums Täuschen

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Paulus Hochgatterers "Makulatur“ bei den Wiener Festwochen: Wie in seinen Romanen verwebt der Autor und Psychiater Beziehungen zu einem sonderbar versponnenen Netz. Ein gelungenes Stück - in teilweise überzeugender Umsetzung.

Über die Philosophie des Wurstsemmelaufschneidens (Wie viele Räder liegen am Deckel und wie viele am Boden? Mit oder ohne Essiggurkerl? Wird die Wurstsemmel bei der Wurstverkäuferin erworben oder selbst zubereitet?) steigt der österreichische Autor und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer in ein problematisches Thema ein: Wo die Liebe fehlt, wird Qual zum Ersatzgefühl, zur letzten Möglichkeit, sich zu spüren.

Wie auch in seinen großartigen Romanen verwebt Hochgatterer in "Makulatur“ langsam, aber systematisch die Beziehungen zu einem sonderbar versponnenen Netz. Ein Erzählfaden ergibt den nächsten, und am Ende entsteht ein seltsames Bild, das Ursache und Wirkung aus immer neuen Perspektiven beleuchtet.

Erotisierende Katastrophenmeldungen

Hauptschauplatz ist die U-Bahn-Station Schwedenplatz, auf der Bühne des Schauspielhauses erweitert um eine Trafik, eine Polizeistation sowie einen Keller. Damian Hitz hat drei Ebenen eingezogen, auf jeder sind Monitore angebracht, welche die Bilder der Überwachungskameras wiedergeben. Hochgatterer fächert die bizarren Beziehungskonstellationen im Laufe dieses gut eineinhalbstündigen Abends breit auf und lässt in tiefe Abgründe blicken. Da ist einerseits die toughe Polizistin (Franziska Hackl), die nicht nur die absolute Kontrolle über die U-Bahn-Station sucht, sondern auch über das eigene Erscheinungsbild: Die nicht optimal sitzende, weil leicht an der Hüfte wegstehende Pistole, nach ihrem Hersteller "Glock“ genannt, wird ihr zum ästhetischen Problem. In einem grotesken Dialog mit ihrem Kollegen (Christoph Rothenbuchner) eröffnen sich aberwitzige Situationen, die sich vor allem durch Hackls präzises Spiel zur komödiantischen Farce steigern.

Während die Waffe zum Fetisch für die junge Polizistin wird, wirken auf ihren Kollegen Katastrophenmeldungen erotisierend. Die Zahl der Todesopfer steigert seine libidinös besetzte Aufregung, und in dieser pervertierten Ausgangsposition entgehen ihm die Annäherungsversuche der einarmigen Trafikantin (Katja Jung). Angeblich hatte sie Knochenkrebs, sodass ihr der Arm amputiert werden musste. Ob diese Version der Wahrheit entspricht, bleibt offen, denn eines ist in diesem Stück klar: Die Frage, was wirklich ist oder nur unsere Übereinkunft dazu, wird keine Antwort finden. Zwischen der Kosmetik der glatten Oberfläche und den Schichten darunter liegt mehr Unglaubliches, als man zu befürchten wagt.

Es ist das Bild der Makulatur, das Hochgatterer heranzieht, jene Schicht zwischen Wand und Tapete, die Unebenheiten glättet, aber es geht auch um jenen Fleck (Macula) im menschlichen Auge, der für unsere Wahrnehmung verantwortlich ist. Makulatur bedeutet, dass es "im Leben nur ums Täuschen geht“, so der Chirurg Jablonski (Steffen Höld), der im Keller unterhalb der U-Bahn eine medizinische Station einrichtet. Zur Seite steht ihm ein mäßig erfolgreicher Architekt (Max Mayer), der von seiner gestrengen Ehefrau (Barbara Horvath) sekkiert wird.

Spüren des Lebens durch Schmerz

Die gemeinsame Tochter Kerstin (Nikola Rudle) ist Spiegel dieser Gesellschaft voller Keller- und Kontrollzwangs-Fantasien. Sie reißt aus dem Elternhaus aus und sucht Gleichgesinnte - im Spüren des Lebens durch körperlichen Schmerz. Kerstin geht an die Grenze, ist Borderlinerin, Selbstverstümmelungen kennzeichnen ihren Grenzgang.

Regisseurin Barbara-David Brüesch trennt hart (geschnitten) die Szenen, ein hochgezogener Spielgestus bringt das Banale mit dem Abgründigen auf eine Ebene. Brüesch outriert allerdings mit angezogener Handbremse, Hochgatterers trockener Humor bleibt dadurch manchmal stecken. Dennoch ein gelungenes Stück und eine - zumindest teilweise - überzeugende Umsetzung.

Weitere Termine

6., 7., 8., 9., 10. Juni

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