Suizid: "Es gibt keine Auflösung für diese Fragen"

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Vor vier Jahren hat sich Jakob Bohun das Leben genommen. Im Film "Bruder Jakob, schläfst du noch?" begeben sich seine vier Brüder nun auf Spurensuche in die Vergangenheit. Ein Gespräch mit Regisseur Stefan Bohun über Suizid und Geschwisterlichkeit.

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Vor vier Jahren hat sich Jakob Bohun das Leben genommen. Im Film "Bruder Jakob, schläfst du noch?" begeben sich seine vier Brüder nun auf Spurensuche in die Vergangenheit. Ein Gespräch mit Regisseur Stefan Bohun über Suizid und Geschwisterlichkeit.

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Am 12. Jänner 2014 ändert Jakob Bohun sein Profilbild auf WhatsApp. Das neue Foto zeigt das Lareintal zwischen Ischgl und Galtür, in dem er als Kind mit seinen Eltern und den vier Brüdern gemeinsame Urlaube verbracht hat -eine Gegend und Gemeinschaft, nach der er sich als Anästhesist in Portugal seit Langem sehnt. Drei Tage später nimmt sich Jakob mit Medikamenten das Leben. Im Film "Bruder Jakob, schläfst du noch?", der diese Woche in die Kinos kommt (siehe Kritik), unternehmen seine Geschwister eine gemeinsame Erinnerungs-und Aufarbeitungsreise: Sie beginnt in den Tiroler Bergen, zeigt alte Fotos und Videos aus Kindheitstagen und endet in einem Hotelzimmer in Porto. Stefan Bohun, Viertgeborener der Familie und Absolvent der Wiener Filmakademie, hat bei dem Film Regie geführt. Ein Gespräch über Schuld und Wut, Sprechen und Schweigen.

DIE FURCHE: Über das Thema Suizid zu reden, ist schwierig. In betroffenen Familien wird das Geschehene oft tabuisiert. Was hat Sie bewogen, den Tod Ihres Bruders so offen filmisch zu thematisieren?

Stefan Bohun: Es war eine Entwicklung. Für uns drei jüngeren Brüder war bald klar, dass wir darüber etwas machen wollen. Matthias, der Älteste, war anfangs noch dagegen, weil ihm das zu persönlich schien, aber am Ende hat er auch mitgemacht. Insgesamt stand zu Beginn noch das Thema Psychopharmaka im Fokus, weil es für alle eine Überraschung war, dass Jakob offenbar längere Zeit starke Schlafmittel genommen hatte, so genannte Benzodiazepine. Später habe ich mit vielen Menschen gesprochen, die mit Suizid zu tun hatten, doch die Erzählungen waren so unterschiedlich, dass die persönliche Geschichte von Jakob immer mehr in den Mittelpunkt gerückt ist - und damit auch meine, unsere Beziehung zu ihm.

DIE FURCHE: Tatsächlich steht die Geschwisterbeziehung im Zentrum des Films. Die vier Brüder machen sich gemeinsam auf Spurensuche - sie wandern im Tiroler Bergtal, gehen in Portugal den Strand entlang, den Jakob entlanggegangen ist, und legen sich zu viert auf das Bett des Hotels in Porto, in dem er sich umgebracht hat. Warum haben Sie diesen Zugang gewählt?

Bohun: Ich habe einfach nach Fragmenten, nach Anhaltspunkten dieser Geschichte gesucht. Durch dieses WhatsApp-Foto hat das Lareintal für mich einen besonderen Sog entwickelt, weil es ein Symbol für unsere Kindheit war - was auch immer Jakob mit diesem letzten Posting gemeint hat. Ich versuche im Film auch nicht für alles eine Auflösung zu finden, ich versuche gar keine Auflösungen zu finden, weil es für die Fragen, die gestellt werden, auch keine Auflösungen gibt.

DIE FURCHE: Eine zentrale Frage nach Suizid ist jene nach der Schuld. Einer der Brüder sagt im Film, dass man ohne den ältesten besser über das Geschehene reden könne, weil er meist die Trennung der Eltern ins Spiel bringe. "Man kann die Eltern nicht für alles verantwortlich machen", heißt es da. Eine heikle Passage.

Bohun: Ja, aber dieser Satz war insofern wichtig, als es diese Dynamik zeigt, die innerhalb der Brüder einfach da ist. Ich habe mich im Film auch bewusst auf diese Geschwisterebene konzentriert und anderes bewusst weggelassen. Schuldgefühle gibt es jedenfalls bei jedem, ich hatte sie nach Jakobs Tod auch insofern, als ich zu ihm die engste Beziehung hatte und am meisten von ihm wusste. Er hat mir auch zwei Monate vor seinem Tod gesagt, dass er Probleme hat, auch die Schlaftabletten hat er angesprochen. Doch ich habe gedacht, dass er damit umgehen kann. Da fragt man sich später natürlich: Hätte ich nicht mehr sehen und ansprechen sollen?

DIE FURCHE: "Ich hätte ihn fragen sollen, wie es ihm wirklich geht", meint Matthias im Film.

Bohun: Das ist ein zentraler Punkt. Man redet und redet -aber hat man etwas verabsäumt, was wichtiger war? Das schmerzhafte an unserer Geschichte ist ja, dass wir nicht etwa eine zerrüttete Familie waren, sondern wir hatten Spaß miteinander, wir waren eine Familie, bei der man gedacht hat: So etwas wird hier nie passieren. Und trotzdem ist es passiert.

DIE FURCHE: Neben der Frage nach dem Warum kommt im Film auch das Gefühl von Wut zum Ausdruck. "Freitod", dieses "komische Wort", sei ein "Weg des geringsten Widerstandes", heißt es an einer Stelle. "Du Arsch" an einer anderen -oder, als alle vier Brüder im Hotelzimmer in Porto liegen: "Das ist ein unbeschreiblicher Trottel".

Bohun: Das ist ein Zitat aus dem Film "Der Bockerer", den wir als Kinder oft gesehen haben. Mein älterer Bruder Johannes hat ihn in seiner impulsiven Art gesagt, er lässt ganz viel raus, was eben an Emotion und Wut in der Luft liegt. Auch ich bin manchmal wütend auf ihn, an manchen Tagen spürt man diese Wut stärker, und dann geht es wieder zur Trauer zurück.

DIE FURCHE: Obwohl es in Ihrem Film zentral um Verlust geht, wirkt er insgesamt nicht traurig, sondern erstaunlich leicht, ja verspielt. Die Brüder toben miteinander, sie legen sich in ein eiskaltes Bachbett und machen in einem Operationssaal Musik. Wie wichtig war Ihnen diese Leichtigkeit?

Bohun: Das war mir sehr wichtig. Ich wollte gerade den Mythos umstoßen, dass man nach einem Suizid unter einer Trauerglocke sitzt, bis man alles vergessen hat. Sondern ich wollte dokumentarisch deutlich machen, dass das Leben auch weitergeht und dass dazu auch Banalitäten gehören -wie etwa die Frage im Film, wo der eine Bruder seine Fußballjacke gelassen hat. Man braucht auch Humor, um über etwas hinwegzukommen, und man muss auch über Banalitäten reden. Da muss alles Platz haben -und natürlich auch das Reden über den Tod.

DIE FURCHE: Das öffentliche Sprechen über Suizid bleibt aber heikel. Von Medien wird Zurückhaltung eingemahnt, um Nachahmungen ("Werther-Effekt") zu vermeiden. Auch sollen wenige Details genannt werden, Vorgaben, die eigentlich gegen einen Film sprechen.

Bohun: Natürlich muss man sich dieses möglichen Effekts bewusst sein, aber führende Personen in der Suizidprävention plädieren dafür, das Thema sensibel zu öffnen. In unserem Film geht es ja auch nicht darum, eine reißerische Schlagzeile zu liefern oder Suizid vermeintlich romantisch zu verklären, sondern das Thema zu reflektieren.

DIE FURCHE: Eine Szene wurde gleichwohl kritisiert -nämlich jene aus der Überwachungskamera des Hotels in Porto: Sie zeigt in verschwommenen Bildern, wie Jakob bei der Rezeption eincheckt. Warum wollten Sie das zeigen?

Bohun: Ich habe lange darüber nachgedacht, weil diese Szene im Film ja ein vollkommener Fremdkörper ist. Letztlich habe ich mich aber dafür entschieden, sie zu zeigen: Unsere ganzen Erinnerungen sind ja emotional gefärbt, aber Jakob hier so verschwommen wahrzunehmen, rüttelt noch einmal dahingehend auf, dass das Geschehene tatsächlich passiert ist.

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