Es gibt keine Normalität (mehr)

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Die documenta XIV steht im Ruf, allzu politisch zu sein: "Mit ihrer scheinbaren politischen Aufklärung bevormundet sie das Publikum", titelte die Süddeutsche. Wenn man sich bevormunden lässt.

Natürlich ist es einigermaßen irritierend, wenn Fotos von Ursula von der Leyen neben jenen von Beate Zschäpe unter dem Überbegriff "A War Machine" gehängt werden. Und natürlich ist es ambivalent, Flüchtlingsbootstrümmer im riesigen White cube der documenta-Halle zu positionieren und als überdimensionale Musikinstrumente zur Erschütterung des mitteleuropäischen Bildungsbürgertums zu nutzen.

Das und manches andere regt auf, setzt Widerstände frei. Im Ganzen stellte sich für mich aber auch dieses Mal wieder die Erfahrung ein: Die Alltagswahrnehmung, die ästhetische wie die politische, sie reklamieren eine Normalität und Alternativlosigkeit, die sie nicht haben. Die zentrale Bereicherung von Gegenwartskunst besteht in der Auffächerung des aktuellen Wahrnehmungsraumes, selbst dort, wo man persönlich nicht mehr folgen will. Das ist es, womit zeitgenössische Kunst Christen aus der Ruhe bringen kann.

Meine persönlichen Intensiverfahrungen: die seit langem aufgelassene U-Bahnstation unter dem Kasseler Hauptbahnhof, allein sie schon ein Erlebnis, und dann sieht man dort selbstgerechte Grausamkeiten von gestern und heute; die 20 gestapelten Betonröhren des Kurden Hiwa K. vor dem Fridericianum, von Studenten der Kunsthochschule Kassel innen wohnlich gestaltet. Sie erinnern an die Röhren, die im Hafen von Patras Flüchtlingen als Unterkunft dienten. Und Bill Violas Videoinstallation (mehr davon aktuell in Hamburg).

Die professionelle Kunstkritik hat diese documenta ziemlich heftig kritisiert. Genug Irritationen, um einen Besuch zu lohnen, löst sie allemal aus.

Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz

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