„Es gibt nichts mehr zu beschönigen“

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Der Ökonom Stefan Schleicher war Delegierter beim UNO-Weltklimagipfel in Kopenhagen. Er zieht bittere Bilanz, hofft aber noch auf die Energiewende. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Stefan Schleicher ist Professor für Ökonomie an der Uni Graz. Er beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels und ist Mitglied des Klimabeirats der Bundesregierung.

Die Furche: Die Klimakonferenz von Kopenhagen ist vorbei. Drei Seiten unverbindliche Absichtserklärungen sind dabei herausgekommen statt eines globalen Klimaprogramms. Nun heißt es vonseiten der Politiker, man solle nicht enttäuscht sein, es sei ein Schritt vorwärts gelungen. Sie sind Klimaexperte und waren selbst in Kopenhagen. Sind Sie enttäuscht?

Stefan Schleicher: Die Konferenz ist gescheitert, daran gibt es nichts mehr zu beschönigen. Aber sie ist in einer Weise gescheitert, wie wir es alle nicht erwartet haben. Kopenhagen ist ein Wendepunkt in der internationalen Klimapolitik. Der Abschied von der Kyoto-Architektur: Der Versuch einer multilateralen Klimapolitik, in der sich Staatengruppen gemeinsam zu einer Reduktion verpflichten, ist aufgegeben worden.

Die Furche: Sie glauben nicht, dass das reparabel ist? Zunächst soll es ja bis Ende Jänner neue Ziele der Staaten geben, dann eine Nachfolgekonferenz in Mexico-Stadt.

Schleicher: So einfach geht das nicht. Vor Kopenhagen war die große Frage: Was werden die Staaten zur Erreichung jener Ziele beitragen, die uns von wissenschaftlicher Seite empfohlen werden? Diese Ziele waren: 25 bis 40 Prozent Reduktion von Treibhausgasen bis 2020 und dann bis zu 95 Prozent Reduktionen für die Industrieländer bis 2050. Alle diese Zahlen sind in der Kopenhagen-Erklärung nicht mehr vorhanden. Sie waren in Vorversionen enthalten, nicht mehr aber im Schlusspapier. Außerdem wird alles, was nun kommt, rechtlich nicht bindend sein. Das Kyoto-Protokoll war völkerrechtlich bindender Vertrag.

Die Furche: Während der Konferenz sagten Sie, dass es vielleicht besser wäre, wenn überhaupt kein Abkommen zustande käme, um den Druck für eine Gesamtlösung 2010 zu erhöhen. Nun ist die Konferenz gescheitert, aber Sie sind nicht zufrieden. Was hat sich geändert?

Schleicher: Hinter meiner Äußerung stand die Erwartung, man würde nochmals neu mit einem multilateralen Vertrag starten. Inzwischen muss ich einsehen, dass diese Möglichkeit nicht gegeben ist. Dagegen gibt es zu vehemente Widerstände, vor allem in den Vereinigten Staaten und China.

Die Furche: An diesen beiden Staaten scheiterte der Gipfel?

Schleicher: Ja, aber aus unterschiedlichen Gründen. Die Obama-Administration hatte eigentlich den Willen zum Abkommen, ist aber durch innenpolitische Widerstände in Senat und Repräsentantenhaus gefesselt. Deshalb waren sie darauf angewiesen, dass China sich bewegen würde, um im gleichen Maß nachziehen zu können. Doch China bewegte sich nicht.

Die Furche: Was bedeutet Kopenhagen für die Glaubwürdigkeit internationaler Politik?

Schleicher: Was sich in der Klimapolitik abspielt, ist ein Spiegelbild dessen, was wir an großen Änderungen der globalen Politik erleben. Die Kräfte haben sich in einem unglaublichen Ausmaß verschoben. Das betrifft vor allem die Abhängigkeit der USA von China.

Die Furche: War die Konferenz auch sehr mangelhaft organisiert. Manchmal hatte man den Eindruck, die Organisatoren durchblickten das Chaos selbst nicht.

Schleicher: Dänemark hat seine Rolle überschätzt. Das Kalkül, mit den Staats- und Regierungschefs noch schnell in den letzten eineinhalb Tagen ein Abkommen zu schmieden, ist einfach nicht aufgegangen. De facto ist die Schlusserklärung nur durch fünf Staaten ausgehandelt worden: USA, China, Indien, Südafrika und Brasilien. Die EU war da nicht mehr dabei. Auch das sollte uns nachdenklich machen. Bedenklich ist auch, dass die UN ihre Rolle als Überwacher stark eingebüßt hat.

Die Furche: Wie beurteilen Sie, dass die Politiker jetzt reihum in die Öffentlichkeit gehen, um mitzuteilen, man solle das Ergebnis des Gipfels nicht kleinreden?

Schleicher: Natürlich hätte es noch schlimmer kommen können. Etwa indem es gar keine Übereinkunft gibt. Immerhin wird der Verhandlungsprozess fortgesetzt wird, wenn auch mit bescheidenem Mandat. Außerdem gibt es nun erste Konturen eines Systems für die finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer. Obwohl auch hier die Verbindlichkeit fehlt.

Die Furche: Vor der Konferenz hieß es, Kopenhagen wäre die letzte Chance für das Weltklima. Konsequenterweise wäre nun doch der Untergang die Folge.

Schleicher: Das ist eine Überzeichnung. Ich zähle nicht zu jenen, die hier mit Katastrophenszenarien argumentieren. Das Klimaproblem ist in vielen Facetten, nicht nur in Schwarz-Weiß darzustellen. Es gibt noch viele Unschärfen – auch was die Prognosen betrifft.

Die Furche: Aber öffnet der Kompromiss von Kopenhagen nicht jenen Ländern Tür und Tor, die sich nun aus nationalem Interesse einfach aus dem Klimaschutz zurückziehen? Sie brauchen ja nur noch mit der Wirtschaftskrise zu argumentieren und schon hat man eine Entschuldigung, um sich vom Klimaschutz zu verabschieden.

Schleicher: Das stimmt auf globaler Ebene ganz sicher. Die Verpflichtungen sind fühlbar reduziert. Auch die Rolle der UNO ist deutlich zurückgenommen worden. Aus naheliegenden ökonomischen Überlegungen gibt es aber gerade für Europa Gründe, weiter Kurs zu halten. Wir haben ein wachsendes Problem mit der Energieversorgung aufgrund der steigenden Importabhängigkeit. Das sollte genug Motivation sein, einen technologischen Quantensprung in Richtung Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu versuchen. Global gilt das ebenso: Sollten China und Indien den gleichen Pro-Kopf-Energiebedarf wie Europa in anspruch nehmen wollen, müsste sich die Erdölförderung verdoppeln. Das ist illusorisch. Der Zwang der Ernergieverknappung wird also früher greifen. Die Absichten und Ziele der Klimapolitik sind damit günstigerweise voll abgedeckt.

Die Furche: Weiß auch die Bundesregierung von den zukünftigen Herausforderungen? Wird sie nicht eher froh sein, dass der Kyoto-Prozess untergeht, weil man dann den lästigen Verpflichtungen entgeht?

Schleicher: Österreich ist das einzige EU-Land, das bekannt gegeben hat, die Klimaziele nicht mittels Zukauf von Zertifikaten erreichen zu können, weil nicht genügend budgetäre Mittel vorhanden sind. Es fehlt also hier an Bereitschaft der Politik. Auf Dauer wird diese Position allerdings nicht halten. Die Ziele der EU sind im Gegensatz zu den Beschlüssen in Kopenhagen verbindlich und reichen bis zum Jahr 2020.

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