"Es gilt: Mann und Frau sind gleichwertig"

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die furche: Über das Frauenbild im Islam gibt es viele Missverständnisse. Wie würden Sie es beschreiben?

Carla Amina Baghajati: Vom Religiösen her gilt die Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Es gibt viele Stellen im Koran, wo es heißt "Ihr gläubigen Männer und ihr gläubigen Frauen". Der Anspruch, religiöse Gebote zu halten und für die Gemeinschaft nützlich zu sein, gilt also auch für die Frauen. Ebenso steht ihnen von den Ämtern her viel offen. So kann eine Frau über ein religiöses Thema referieren, auch wenn männliche Zuhörer dabei sind. Das Gebet leiten kann sie aber nur, wenn die Frauen unter sich sind. Es wäre für eine Frau nicht angenehm, wenn sie in der ersten Reihe betet und hinter sich Männer hat. Darum sind die Frauen entweder direkt hinter den Männern, seitlich oder auf Emporen, wobei das nicht als Abwertung missverstanden werden darf.

die furche: Meist wird dies aber so interpretiert ...

Baghajati: Daher sage ich immer: Es gibt auch Emporen, wo die Frauen über den Männern sind. Aber tatsächlich gibt es viele muslimische Frauen, die aktiv sind, etwa in der Krankenhausseelsorge oder in den Schulen. Je größer der Bildungsstand, auch im religiösen Bereich, desto größer ist die Möglichkeit, religiös zu argumentieren und auf eventuelle Missstände hinzuweisen. Da ist schon eine Aufbruchsstimmung in der islamischen Welt zu spüren.

die furche: Trotz guter Ausbildung haben viele Musliminnen Probleme, eine Beschäftigung zu finden - wegen des Kopftuchs.

Baghajati: Der Islam ist eine anerkannte Religion in Österreich. Bis wir aber Akzeptanz erreichen, ist es noch ein weiter Weg. Viele Arbeitsämter stellen mit Bedauern fest, dass ein Kopftuch eigentlich wie eine Behinderung gesehen wird. Es ist ein Widerspruch, einerseits von der muslimischen Frau zu behaupten, die darf eh nichts lernen, die ist eh unterdrückt - was nicht stimmt -, und auf der anderen Seite zu sagen "wir brauchen dich nicht". Frauen müssen zeigen können, dass sie nicht auf den Kopf gefallen sind. Dadurch können wir Vorurteile aus dem Weg räumen.

die furche: Wie ist Ihre Beziehung zum Kopftuch?

Baghajati: Ich bin gerne Muslimin und das Kopftuch gehört für mich dazu. Diese Kleidung wird im Koran aus zwei Gründen empfohlen: "Damit sie als gläubige Frauen erkannt und nicht belästigt werden." (Anm: Sure 33,59) Wenn wir draußen mit Kopftuch gehen, darf das aber nicht die Vermutung nahelegen, dass wir körperfeindlich wären. Im öffentlichen Raum hat das Körperliche nicht den Platz, den es zu Hause hat - wo man kein Kopftuch trägt.

die furche: Für Missverständnisse sorgt auch die Haltung des Islam zur Polygamie.

Baghajati: Im Koran steht, dass der Mann bis zu vier Frauen haben kann. Doch wegen des Anspruchs der Gerechtigkeit geht die Empfehlung hin zu einer Frau. Denn wenn er sich entschließt, mehrere Frauen zu haben, muss er auch die Konsequenzen tragen, das heißt absolute Gleichbehandlung. Eigentlich geht das aber über die menschlichen Fähigkeiten hinaus. Von daher soll es nur eine Lösung in Krisensituationen sein, etwa nach Kriegen, wo es sehr wenige Männer gibt. Oder im Krankheitsfall, sowie wenn eine Frau keine Kinder bekommen kann. Für Muslime in Europa ist Mehrehe aber kein Thema. Kinderlosigkeit ist hier ein normaler Scheidungsgrund, wie auch Ehebruch oder die Feststellung beider, dass man nicht mehr zusammenpasst. Eine Scheidung kann auch von der Frau ausgehen. Wobei Scheidung jenes von den erlaubten Dingen ist, von dem es heißt, dass es Gott am meisten verabscheut.

die furche: Ist eine religiöse Wiederverheiratung möglich?

Baghajati: Ja, sowohl für den Mann als auch für die Frau. Dabei soll das kein Makel oder Stigma sein. Es kann halt einmal schiefgehen, aber das soll nicht die ganze Zukunft verbauen.

die furche: Während ein muslimischer Mann auch eine Frau heiraten kann, die den Buchreligionen Christentum und Judentum angehört, darf eine Muslimin keinen Mann anderen Glaubens ehelichen. Warum?

Baghajati: Was auf den ersten Blick vielleicht wie eine Ungleichbehandlung ausschaut, ist so gedacht, dass eine Frau in der Ehe ihre Rechte als Muslimin gewahrt sieht. Auch in der Kindererziehung.

die furche: Unter den Taliban werden die Frauenrechte mit Füßen getreten. Wie gehen Sie als Muslimin damit um?

Baghajati: Ich werde sehr oft darauf angesprochen, wobei ich mich dagegen sträube: Warum soll ich mich gezwungen sehen etwas zu rechtfertigen, was ich nicht rechtfertigen will und kann? Auch was in Nordirland passiert kann man nicht gutheißen. Soll ich deshalb die christliche Religion verurteilen? Gerade jetzt ist es wichtig, das Augenmaß nicht zu verlieren. Auf der anderen Seite muss man im Islam offen Stellung nehmen zu dem, was passiert, und die Islamische Glaubensgemeinschaft hat das wiederholt getan. Hier in Österreich entwickelt sich so etwas wie eine Identität "ich bin Muslim/Muslimin in Österreich". Aus diesem Selbstverständnis heraus können Impulse hinaus gehen in die islamische Welt. Was die Muslime hier erleben, fließt ein in die Auseinandersetzung - und das kann nur bereichernd sein.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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