"Es ist alles in meinem Kopf“

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Mit 17 Jahren zieht ihn der Film "Im Rausch der Tiefe“ in seinen Bann. Seither geht Christian Redl als Extremtaucher an seine Grenzen, wagt sich ohne Sauerstoff in Höhlen oder unter Eis - und glaubt, dass im Leben alles schaffbar ist, wenn man es nur will.

Sein Element ist eigentlich das Wasser, aber momentan ist Christian Redl meistens in der Luft. 20 Flüge hat er allein im Mai zu absolvieren: vorgestern Ägypten, gestern Moskau, heute Wien, morgen Berlin, übermorgen Seiersberg. Interessierten erklärt er, was ihn am Freitauchen fasziniert, Krankenschwestern, wie sie sich richtig motivieren können, und Studierenden, wie sie endlich richtig atmen. Dazwischen trainiert er als Model mit einem Fotografen für die Unterwasser-Fotoweltmeisterschaft in der Türkei, macht Shootings für sauerstoffangereichertes Wasser, kommt hierher ins Wiener "Haus des Meeres“, um beim "Sharkdiving“ die Haie zu füttern - und bereitet sich für seinen baldigen Einsatz als Hamburger Wasserleiche vor. In der ZDF-Serie "Küstenwache“ wird er einen Freitaucher mimen, der bei einem Weltrekordversuch ums Leben kommt. Nahe liegender Titel der Folge: "Tiefenrausch“.

Nicht Angst, aber Respekt

"Schön langsam wird es fast zu viel“, stöhnt der drahtige 35-Jährige, "aber es macht eben extrem viel Spaß, das Element Wasser mit allen möglichen Facetten zu versehen.“ Erst Anfang des Monats hat er beim Saisonauftakt im Taucher-Paradies Sharm El-Sheikh seine persönliche Bestleistung im Tieftauchen hingelegt. Er hat sich in Neoprenanzug und Flossen gezwängt, die Tauchmaske aufgesetzt, ist von einer Plattform ins 24 Grad warme Rote Meer gesprungen und aus eigener Kraft an einem Seil entlang in die Tiefe gestochen, hat bei zugehaltener Nase den Druckausgleich gemacht und Meter für Meter bleierner den Wasserdruck gespürt - bis seine Lunge in 40 Metern Tiefe so klein wie eine Orange war und begonnen hat, Gewebsflüssigkeit zu bilden. In 85 Metern Tiefe schließlich, bei einem Druck von 9 bar - dreieinhalb mal so viel wie in einem Autoreifen - hat er die Beweismarkierung abgerissen, kehrtgemacht und ist zwei Minuten nach seinem letzten Atemzug wieder aufgetaucht.

Mit Wahnsinn habe das nichts zu tun. "Wir Extremsportler sind viel vernünftiger als Hobbysportler“, sagt Christian Redl. "Wenn ein Hobbytaucher alleine tauchen geht und ihm etwas passiert, dann ist er tot. Wenn mir etwas passiert, sind zehn bis 15 Leute um mich, die nichts anderes tun, als mir zu helfen.“ Neben zahlreichen Sicherungstauchern sei auch stets sein befreundeter Arzt mit dabei: beim Tieftauchen ebenso wie beim Streckentauchen unter Eis, bei dem er 2003 mit 90 Metern seinen ersten Weltrekord aufgestellt hat. In gefluteten Höhlen oder unter Eis könne er zwar zwischen Ein- und Ausstiegsloch nicht auftauchen, sich im Notfall aber zu einem Sicherungstaucher mit Pressluftgerät retten. Angst habe er dabei noch nie empfunden, meint der Extremsportler kühl: "Das würde mich ja limitieren. Aber ohne Respekt würde ich heute nicht dasitzen.“

Das Ausloten der eigenen Grenzen hat Redl schon immer gereizt. Mit sechs Jahren bekommt er von seinem Onkel Schnorchel, Maske und Flossen geschenkt und ist fortan beim Urlaub am Meer permanent unter Wasser. Mit zehn Jahren beginnt er im Swimming-Pool seiner Eltern mit dem Gerätetauchen - und mit 17 Jahren sieht er jenen Film, der ihn nicht mehr loslassen wird: "Im Rausch der Tiefe“, Luc Bessons Hommage an die Apnoe-Taucher Jacques Mayol und Enzo Maiorca. Gemeinsam mit seinem Freund Alexander Schwaiger arbeitet er sich in die Materie ein, stellt bald fest, dass er ohne störende Luftblasen dem Leben unter Wasser noch viel näher kommt, und fährt 1996 zur ersten Freitauch-WM nach Nizza. Kurz darauf fliegt Schwaiger zum Tieftauchen in die Karibik - und stirbt. "Das war ein massiver Einschnitt in meinem Leben“, erinnert sich Redl. Seine Familie bedrängt ihn, aufzuhören. Doch die mentale Droge Freitauchen lässt ihn nicht mehr los.

Immerhin beginnt der junge Mann, die Risken seines Tuns zu überdenken. Er lässt sich von Umberto Pelizzari, dem Hero der Apnoe-Szene, ausbilden und wird 1999 erster Freitauch-Instruktor im deutschsprachigen Raum. Vorerst frönt er nur in seiner Freizeit dieser Passion. Hauptberuflich ist er in der Wertpapierabteilung einer Bank beschäftigt, ein Terrain, auf das er ebenfalls mit 17 Jahren durch den Film "Wall Street“ gestoßen ist. Erst kurz vor seinem 30. Geburtstag wacht er eines Morgens schweißgebadet auf, fühlt sich dem Burnout nahe - und macht das Tauchen zum Beruf.

Fünf Jahre sind seither vergangen. Manch schwierige Phase habe er meistern müssen - doch dabei gelernt, dass nichts unmöglich sei. "Es ist alles in meinem Kopf“, behauptet Christian Redl, der mittlerweile auch als Mentalcoach tätig ist. "Egal, was ich erreichen möchte, ich schaffe es.“ Doch was will er noch? Sechs Minuten unter Wasser bleiben (bei einem Puls von 28) kann er längst. Vielleicht wird er eines Tages im höchstgelegenen See Österreichs tauchen gehen. Und mit Glück als 80-Jähriger noch unter Wasser sein. "Ich bin kein Adrenalin-Junkie, der 200 Meter tief tauchen muss, und wenn er dabei stirbt - Pech gehabt.“, sagt der drahtige Mann und hockt sich im "Haus des Meeres“ unter eine Glaskuppel des Brandungsbeckens. "Mir geht es darum, Unmögliches zu ermöglichen, aber der Weg ist das Ziel. Ob ich acht oder zehn Mal im Guinness-Buch der Rekorde lande, ist mir völlig egal.“

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