Es ist der Mensch, nicht die Religion

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Mit Christoph Willibald Glucks "Iphigénie en Tauride" bei den Salzburger Pfingstfestspielen und Georg Friedrich Händels "Jephtha" bei den Wiener Festwochen rückte die antike Thematik Opfertod gleich zweimal in den Mittelpunkt avancierter Produktionen.

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Mit Christoph Willibald Glucks "Iphigénie en Tauride" bei den Salzburger Pfingstfestspielen und Georg Friedrich Händels "Jephtha" bei den Wiener Festwochen rückte die antike Thematik Opfertod gleich zweimal in den Mittelpunkt avancierter Produktionen.

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Haben sich Salzburger Pfingstfestspiele und Wiener Festwochen abgesprochen oder hat der Zufall Regie geführt? Jedenfalls: Besser hätte es nicht kommen können! Wie oft ist es der Fall, dass sich zwei bedeutende Festivals innerhalb weniger Tage in avancierten Produktionen einer spezifischen antiken Thematik widmen, die, entsprechend dargelegt, nichts an Aktualität verloren hat? Die Rede ist vom Opfertod, wie er die Libretti von Christoph Willibald Glucks letzter Reformoper, "Iphigénie en Tauride", und Georg Friedrich Händels Oratorium "Jephtha" gleichermaßen prägt.

Warum diese Thematik gerade jetzt das Interesse der Veranstalter gefunden hat? In Salzburg, weil sich die Künstlerische Verantwortliche, Cecilia Bartoli, für dieses Pfingsten unter dem Motto "So ruf ich alle Götter" einen Iphigénie-Schwerpunkt ausgesucht hatte. Bei den Wiener Festwochen, weil man damit in Wien eine junge amerikanische Regisseurin vorstellen wollte, die schon einmal mit einem Händel-Oratorium reüssiert hatte: Lydia Steier. Ihre szenische Auseinandersetzung mit "Saul" erhielt eine Nominierung für den Theaterpreis "Faust" 2012.

Waren die Vorschusslorbeeren zu groß, ist ihr das Thema Jephtha weniger gelegen? "Es ist immer der Mensch, nicht die Religion oder die Götter", fasst der Sprecher die Moral dieses Händel zusammen. Wie wenn man dies nicht beim konzentrierten Hören dieses Oratoriums selbst hätte erkennen können, so einem dieses Sujet nicht ohnedies bekannt ist! Wollte Steier sicher gehen, dass das Publikum diese Botschaft verstanden hat, dass sie sich für eine derart lehrerhaftmoralische Darstellung entschieden hat?

Plakative Verzweiflung

Wenigstens am Anfang macht die Szenerie - ein den Raum der Halle E des Messepalastes dominierender, lang gestreckter Bibliothekstisch, gegenüber zwei Glaskästen mit anatomischen Präparaten (Bühne: Elisabeth Vogetseder) - neugierig. Auch der Idee, dieses Sujet durch einen an einem amerikanischen College tätigen Professor (exzellent: Christian Ballhaus) in Form einer Vorlesung abzuhandeln und kommentieren zu lassen, damit vor allem die Titelfigur und ihre Nöte deutlich herauszustreichen, lässt sich einiges abgewinnen.

Aber muss man Jephthas Verzweiflung, in die er sich durch seinen Schwur, die erste Person, der er nach seinem Sieg über die Ammoniter begegnet (seiner Tochter Iphis), den Göttern als Brandopfer darzubringen, mit solcher Plakativität zeigen? Auch noch durch unnötige Bombenangriffe und einem beliebig gewählten Satz aus einem Händel'schen Concerto unterstützen, womit die originale Musik beinahe in den Hintergrund rückt? Gab es keine andere Möglichkeit, als den das Brandopfer verhindernden, als Dea ex machina agierenden Engel in einem kitschigen Kostüm á la Hollywood (Kostüme: Ursula Kudrna) auftreten zu lassen, womit der Erlösungsgedanke geradezu karikiert erscheint? Als ob Erlösung etwas wäre, das heute keinen Platz mehr in der Gesellschaft hat?

Schade, denn gesungen wurde hervorragend: Angefangen von Lothar Odinius als Jephtha, Maria Streijffert als Storge, Katja Stuber als Iphis, Magid El-Bushra als Hamor und Raimund Nolte als Zebul bis zum wortdeutlich-deklamierenden Chor der Potsdamer Winteroper und der von Konrad Junghänel mit wissendem Animo geführten Kammerakademie Potsdam, die, am Ende des Saales postiert, mit ihrer Botschaft zu oft in den Hintergrund gerückt war.

Auch bei den Pfingstfestspielen Salzburg ist dem hier seit der Ära Bartoli amtierenden Regie-Duo Moshe Leiser/Patrice Caurier für die als Retterin auftretende Diane (rollendeckend: Rebeca Olvera) nichts anderes eingefallen, als sie in einem schreienden gold-gelben Gewand (Kostüme: Agostino Cavalca) auftreten zu lassen.

Wort und Musik gleichberechtigt

Ansonsten aber ist Leiser/Caurier eine packende Realisierung dieses Gluck gelungen, den sie, versetzt in die Gegenwart, in ein lagerhallenartiges Verlies (Bühne: Christian Fenouillat), das erst am Schluss den Blick zum die Freiheit bedeutenden Meer zulässt, transferieren. Vor allem, weil sie das Diktum von Glucks Reformoper, Wort und Musik gleichermaßen zur Geltung zu bringen, ernst nehmen, und so die auf die Bühne gestellten Beziehungen nicht überfrachten, sondern aus ihrer Unmittelbarkeit wirken lassen.

Ausgezeichnet auch die musikalische Seite der (auch im Sommer zu sehenden) Produktion mit Cecilia Bartoli als alle übrigen Protagonisten beherrschenden, mit berückender Pianissimokultur aufwartenden Titelfigur, Christopher Maltman und Topi Lehtipuu als ihr Schicksal berührend darstellende Oreste und Pylade, Michael Kraus als zu polterndem Thoas, dem gut auf seine Aufgabe vorbereiteten Coro della Radiotelevisione Svizzera und den subtil aufspielenden I Barocchisti unter dem umsichtigen Diego Fasolis, die sämtlichen Protagonisten einen idealen Teppich legten.

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