Artmann - © Foto: picturedesk.com / Imagno / Otto Breicha (1969)

Es ist immer Artmann

19451960198020002020

Drei Neuausgaben von Werken des österreichischen Dichters H. C. Artmann sind Grund genug, an den Zauberer des Wortes zu erinnern.

19451960198020002020

Drei Neuausgaben von Werken des österreichischen Dichters H. C. Artmann sind Grund genug, an den Zauberer des Wortes zu erinnern.

Werbung
Werbung
Werbung

Als Dichter ist H. C. Artmann berühmt geworden, und als solcher hat er sich zeit seines Lebens gefühlt. "Dichter", das war ihm wichtig, nicht "Lyriker" - das klang ihm zu technisch, zu wenig nach jener Intuition, aus der sein Werk lebt. Doch während Artmanns "Gesammelte Prosa" unter dem schönen Titel "Grammatik der Rosen" schon lange zugänglich ist, stand es mit der Edition seiner Gedichte nicht zum Besten. Umso lieber nimmt man den handlichen Dünndruckband zur Hand, dessen 800 Seiten die Leichtigkeit von Artmanns Dichtung verkörpern und seine sämtlichen Gedichte vereinen.

Liebe alte Bekannte trifft man da, allen voran natürlich "med ana schwoazzn dintn", den 1958 erstmals erschienenen Band mit Gedichten im Wiener Dialekt. Zusammen mit Gerhard Rühm hatte Artmann dafür eine phonetische Schreibweise entwickelt, die ein starkes Moment der Verfremdung darstellt: Auf diese Weise muss sich auch der gebürtige Wiener seine eigene Sprache buchstabierend neu aneignen. Eine ganze Dialektwelle hat Artmann damit in Gang gesetzt und ist auf einen Schlag berühmt geworden - aus Missverständnis. Denn Artmann, dem Internationalisten der Poesie, ging es dabei gerade nicht um Lokalkolorit, sondern um einen Großstadtdialekt. In diesen Wiener Dialekt hat er übrigens auch die "Baladn" des Francois Villon übertragen und dabei ganz neue Töne und Untertöne zum Klingen gebracht.

Zaubersprüchen zugehört

Noch einmal steigt die Vielfalt der Artmannschen Lyrik vor uns auf: die den Märchentönen und Zaubersprüchen abgelauschten Kindergedichte vor allem des Bandes "allerleirausch", die Balladen "Aus meiner Botanisiertrommel" und am Schluss die "gedichte von der wollust des dichtens, in worte gefaßt von H. C. Artmann" - jene späten, von Aussparen und Weglassen, von äußerster Verknappung geprägten Zeilen, in denen ein großer europäischer Dichter, der die Weltliteratur wie kaum ein anderer kannte, seine ureigensten Möglichkeiten noch einmal neu aktiviert und vollendet hat. Und zwischen diesen Polen stehen die Texte des Bandes "ein lilienweißer brief aus lincolnshire", die Epigrammata und persischen Quatrainen, aber vor allem viele, lang schon unzugängliche Fundstücke wie etwa die ganz frühen, nur in Zeitschriften publizierten Gedichte oder jene Dialektgedichte, die nicht in die "schwoazze dintn" aufgenommen wurden, darunter etwa "drei weanabemesche schuasdadanz / med ana r iwasezzung / das ma was wos s auf deidsch hast" oder das wunderbare "requiem viennense" mit seiner Eingangsstrophe:

ka rua

ka rua

ka rua

gib eana ka rua

leicht eana ham

mid deina latean

daß blean

und rean

in wean

In Wien hat sich die oft mystifizierte "Wiener Gruppe" - Gerhard Rühm, Konrad Bayer und Friedrich Achleitner - um Artmann, den älteren und Beleseneren, geschart. Aus Wien ist Artmann geflohen und hat einige Zeit in Schweden gelebt. Und doch ist diese Stadt über die Sprache hinaus ein Gravitationszentrum in seinem Werk, was auch in den frühen Texten "Von der Wiener Seite" - eine Sammlung von Zeitungsglossen, die später in erweiterter Form unter dem Titel "Im Schatten der Burenwurst" aufgelegt wurde - zum Ausdruck kommt. Hier wird ein Artmann sichtbar, der sich mit eigenen Einfällen zurückhält, um eine liebevolle Archäologie des Alltags zu betreiben und dabei vor allem sprachliche Fundstücke zu präsentieren. An der Burenwurst hängt ja die Wiener Identität noch immer - "Burenwurscht bleibt Burenwurscht, da Rest is ma wurscht", wurde ein Wiener zum EU-Beitritt Österreichs in der Presse zitiert -, aber Artmanns Texte sind mittlerweile auch deswegen interessant, weil sie das poetische Refugium eines bereits untergegangenen Wien sind. Als das Espresso das gute alte Café zu verdrängen drohte - wie lang ist das her ... Inhaltlich haben diese Texte Artmanns Patina angesetzt, sprachlich nicht. "Im Schatten der Burenwurst" wurde neu aufgelegt - mit Zeichnungen von Ironimus, die eine amüsante Zutat sind und die Texte nicht verstellen.

Zum Verwechseln ähnlich

Artmanns Texte beziehen sich oft auf die Vergangenheit; allerdings nicht auf geschichtliche Ereignisse, sondern auf literarische Traditionen, Stile und Genres, denen sie bis zum Verwechseln ähnlich werden können. Die Maske des Barockdichters kann Artmann sprachlich ebenso überzeugend aufsetzen wie er die Muster der Abenteuer- und Spukgeschichten, Reiseerzählungen und Robinsonaden oder der Kriminalromane beherrscht. Auch Trivialmythen haben es ihm angetan, allen voran der Dracula-Stoff. Und dabei kommt er über simple Stilrückgriffe oder bloße Parodien hinaus und schafft eine eigene Welt - oft eine Fluchtwelt aus der modernen Gegenwart und der verlorenen Unmittelbarkeit. Seine Texte beziehen sich nicht auf die außersprachliche Wirklichkeit, sondern bauen Assoziationen auf, die sich selbst genügen und einer "Poetik des Einfalls" folgen, wie Artmann-Herausgeber Klaus Reichert schreibt. "über die phantasie das reale, wie es sich mir zeigt, zu bannen" - so hat Artmann in der Büchnerpreis-Rede seine Methode beschrieben.

Mit Barockmaske

Artmanns Barockmaske ist nun ebenfalls neu zu besichtigen. Klaus G. Renner hat unter dem Titel "Auf Todt & Leben" eine "barocke Blütenlese" herausgegeben. "Der Aeronautische Sindtbart", ausgegeben als Fragment "von dem autore selbst aus dem yucatekischen anno 1958 ins teutsche gebracht" darf darin ebenso wenig fehlen wie "Von denen Husaren und anderen Seil-Tänzern" mit dem berühmten Anfangssatz: "Wer unter den menschenfressern erzogen, dem schmeckt keine zuspeis, es sei denn, sie hat hand oder fuß." Wortspiele hat sich Artmann nie entgehen lassen. Seine Dichtung ist insgesamt ein raffiniertes Spiel, kein Bekenntnis, keine Aufforderung, aber immer ein Genuss. Artmann war wie König Midas: Alles, was er angriff, wurde - nein, nicht zu Gold - zu Literatur; auch das eigene Leben, das hinter den literarischen Posen oft kaum zu erkennen war. Und gern hat er damit dem Leser einen Possen gespielt; etwa wenn er St. Achaz am Walde, das viele vergeblich auf der Landkarte gesucht haben, als seinen Geburtsort fingierte.

"Es ist immer Artmann. Aber wer ist Artmann?" hat der Schriftsteller Peter Chotjewitz einmal geschrieben. Auch die drei hier vorgestellten Editionen sind Dokumente der literarischen Verwandlungskünste dieses Poeten, der die Avantgarde in das biedere Österreich der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eingeschmuggelt hat und dessen Texte doch nie in einer avantgardistischen Methode festgefahren sind. Die sorgfältig edierte Gedichtausgabe (mit Glossar zu den Dialektausdrücken, alphabetischem Gedichtverzeichnis und editorischen Notizen) sind ein Muss für jeden Artmann-Leser und ein Markstein österreichischer Literatur des 20. Jahrhunderts. Die illustrierte "Burenwurst" und die "Barocke Blütenlese" sind eine charmante Draufgabe.

Sämtliche Gedichte

Von H. C. Artmann

Unter Mitwirk. u. in d. Anordnung d. Autors hg. v. Klaus Reichert

Jung und Jung Verlag, Salzburg 2003

799 Seiten, geb., e 29,80

Auf Todt & Leben

Eine barocke Blütenlese

Von Hans C. Artmann

Hg. v. Klaus G. Renner

Manesse Verlag, München 2003

123 Seiten, geb., e 13,30

Im Schatten der Burenwurst

Skizzen aus Wien von H.C. Artmann

Mit Zeichnungen von Ironimus

Residenz, Salzburg 2003

154 Seiten, geb., e 17,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung