Es ist immer Gefahr in Verzug

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Peter Zimmermann stößt seine Leser in "Stille" vorsätzlich vor den Kopf. Zwei befreundete Paare suchen nach dem, was sie einmal zusammengehalten hat.

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Peter Zimmermann stößt seine Leser in "Stille" vorsätzlich vor den Kopf. Zwei befreundete Paare suchen nach dem, was sie einmal zusammengehalten hat.

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Wenn Stille angesagt ist, bleibt der Sturm nicht weit. Äußerlich geht es tatsächlich recht ruhig zu in diesem Roman, aber innen, dort wo die Unbehaustheit ihren düsteren Chic verbreitet und wo jeder auf sich allein gestellt ist, rumort es ganz gewaltig. Man sieht, auf einen Plot, der den Leser reinzieht und sich deshalb dringend versichern muss, wo das Ganze eigentlich hinführt, geht es Peter Zimmermann nicht. Großes Zutrauen in die Friedfertigkeit der Menschen kennt er auch nicht, und er unternimmt nichts, um das zu kaschieren. An einer überschaubaren Gruppe von Menschen zeigt er das. Zusammenleben ist brüchig, Bindungen zur Auflösung bereit, der Einzelne sieht sich beständig auf sein eigenes Ich zurückgeworfen, Verlass ist auf niemanden. Das macht die Grundstimmung des Romans aus, einer Aufforderung zum Mistrauen in persönlichen Dingen.

Der landläufige Realismus, etwas bieder zumeist, weil sich an die Chronologie der Ereignisse haftend, reicht für Zimmermanns Unterfangen gar nicht. Wie sonst sollten wir Jan in unsere Alltagsrealität einbinden? Er haust in einer Hütte im Wald offenbar als Gefangener, ein Bewacher in Montur und mit Gewehr schaut bei Gelegenheit vorbei bei ihm. Ein See ist nicht weit, der liefert ein Motiv, das prägend ist für den ganzen Roman. Immer, wenn es brisant wird, ist Wasser im Spiel.

Parallelgeschichten

Einmal, in besseren Zeiten, waren Jan und Paul mit dem Segelboot auf einem stürmischen Gewässer unterwegs und Paul ertrinkt. Mit einem Schlag ist das Gefüge zweier befreundeter Paare zerstört. Aber was heißt schon Freunde. Wie Pech und Schwefel hielten Paul und Jan schon lange nicht mehr zusammen. "... sie waren keine Freunde mehr", schreibt Katharina viel später. "Sie hatten sich kurzfristig daran erinnert, dass sie einmal welche gewesen waren." Liest man die Szene des Unglücks aber, bekommt man nicht den Eindruck, dass Entfremdung zwischen beiden geherrscht hätte. Sie bildeten ein starkes Team, dazu Katharina und Iris, so könnten Beziehungen aussehen, auf die Verlass ist.

Überall Wasser, ein Symbol des Unheils. "Aber seltsam war es doch, fand Jan, dass einen am Ende immer das Wasser von der Erdoberfläche spülte. Johanna Nachtigall, war sie nicht in der Elbe ertrunken? Und Paul. Und die Krähe. Und all das Ungeziefer, das ihm ungebeten Gesellschaft leistete."

Freundschaften sind zerbrochen, Paare haben sich getrennt, aber was das war, was sie früher einmal zusammengehalten hat, lässt sie nicht mehr los. Als Historiker in eigener Sache graben sie die Vergangenheit auf, um eine Form von Wahrheit zu erhalten. Aber die ist immer subjektiv, deshalb diese divergierenden Ansichten, Parallelgeschichten eigentlich, die sich allenfalls in der Unendlichkeit treffen.

Fragmente der Erinnerung

Wo man hinsieht Verstörung und spätes Leid. Ein Roman, wie ihn Peter Zimmermann schreibt, muss aus Österreich kommen. Er pfeift auf eine ordentlich frisierte Ästhetik, in der ein Rädchen ins andere greift und das Erzählmaschinchen herrlich abschnurrt. Dieser Motor rasselt gewaltig, weil er gar nicht will, dass es der Leser bequem hat und sich tragen lässt. Peter Zimmermann stößt seine Leser vorsätzlich vor den Kopf. Er versorgt sie mit kleinen Erzähleinheiten, Bruchstücken des Bewusstseins, Fragmenten der Erinnerung, die ein einwandfreies Ganzes einer geschlossenen Wirklichkeit gar nicht zulassen. Hier grübelt einer, dort erinnert sich eine, Querschüsse und Seitentriebe machen diese Prosa aus, die unter dem Zeichen der Verweigerung Sinnstiftung hintertreibt. Rätselhaft das Ganze, wie Menschen einander finden und wieder verlieren und wie sie miteinander umgehen, was sie voneinander halten und wie einer den anderen aus den Augenwinkeln beobachtet. Der Stille ist nicht zu trauen. Nicht jener, die Jan in seiner Hütte erlebt und nicht der anderen, die sich zwischen Menschen breitmacht. Bei Peter Zimmermann ist immer Gefahr in Verzug.

Stille

Von Peter Zimmermann, Secession 2013.

224 Seiten, gebunden, € 20,60

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